Essen. Eine Brustkrebs-Studie zeigt: Es geht oft auch ohne Chemotherapie bei hormonabhängigen Tumoren. Selbst wenn sie eigentlich Standard gewesen wäre.
Weihnachten 2020 stand vor der Tür, als Anke Hoppe in ihrer rechten Brust einen Knubbel ertastete. Das neue Jahr war wenige Tage alt, als ihr die Ärzte im Krankenhaus bestätigten, was sie gleich gewusst hatte: Es war Krebs. Antihormontherapie, Operation, Chemo und Bestrahlung sollten folgten; man sagte Hoppe, das sei „alternativlos“; zwei Lymphknoten seien ja ebenfalls befallen. Ob die Brust erhalten werde könne, fragte die 42-Jährige aus Hattingen. „Sehr fraglich“, hieß es. In Anke Hoppes Kopf startete das Kino, ein fruchtbarer Film, der sich vor allem um ein Thema drehte: „Steht meine kleine Tochter bald ohne mich da?“ Dem Schock folgte dennoch rasch der Entschluss: „Chemo will ich nicht!“
Anke Hoppe machte sich auf die Suche nach einer Klinik, in der sie eine Zweitmeinung einholen könne. Sie landete im Huyssensstift der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM), einem der größten Frauenkrebszentren Deutschlands, 2100 Mammakarzinome werden hier jährlich operiert. Dort schlug man ihr die Teilnahme an einer Studie vor, bei der Patientinnen mit hormongesteuerten Brusttumoren statt einer Chemotherapie das Medikament „Ribociclib“, einen sogenannten Kinasehemmer, erhalten sollten.
„Chemo? Als Mutter muss man funktionieren...“
Hoppe willigte sofort ein: „Chemotherapie ist in meinen Augen nur verlängertes Leben auf ganz niedrigem Niveau. Und sie hätte zu meinem Lebensstil absolut nicht gepasst...“ Sie sei sehr „naturverbunden“, arbeite für den RVR Ruhr Grün, lebe ländlich, jage, reite – „und auch meine Zehnjährige sitzt jeden Tag auf dem Pferd, da muss ich hinterher. Als Mutter muss man funktionieren“, erklärt sie.
Der Studie, an der Hoppe teilnehmen sollte, ging eine andere voraus – und der wiederum folgende Erkenntnis: „Wir wissen nicht wirklich, welche Brustkrebs-Patientin zusätzlich zur Antihormontherapie eine Chemotherapie braucht und welche nicht“, erläutert Prof. Sherko Kümmel, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde an den KEM, und Mitglied der „Westdeutschen Studiengruppe“ (WSG), einer nationalen Forschungseinrichtung, die sich der Therapie-Optimierung bei Brustkrebs widmet. In der bundesweiten Vorstudie ging es daher darum, Grenzwerte für zwei bestimmte „Marker“ (Onkotype-Test und KI67) zu finden, anhand deren die Frage „Wer und wer nicht?“ zu beantworten war: 5600 Frauen mit einem hormonabhängigen Mammakarzinom (HR-positiv, HER2-negativ), die nach medizinischem Standard eine Chemotherapie hätten erhalten müssen, wurden getestet; die 40 Prozent von ihnen mit entsprechenden Werten erhielten: keine.
No-Chemo-Studienergebnisse führten weltweit zum Umdenken
„Die ganze Welt sagte damals: sehr mutig“, erinnert sich Kümmel. Doch fünf Jahre später zeigte sich: „Sensationelle“ 97 Prozent der Patientinnen lebten noch, Metastasen-frei; eine Chemotherapie hätte „nichts verbessert“. Die Ergebnisse der Studie hätten weltweit zu einem Umdenken geführt, erläutert Kümmel, und „ja, deshalb darf man auch mal stolz auf NRW sein“. „Es geht ja nicht nur um Haarverlust. Chemotherapien können sehr ernste Nebenwirkungen haben. Und Chemotherapien bringen Menschen auch um.“ Er wolle niemandem Angst machen, sagt der Brustkrebs-Experte, wer wirklich eine Chemo brauche, für den sei der Nutzen größer als möglicher Schaden. Aber „mit der Gießkanne“ dürfe man sie nicht verordnen, nicht immer profitierten Patientinnen davon.
Anke Hoppe hatte furchtbare Angst vor einer Chemo. Und als Frau sei ihr tatsächlich auch das Äußere, seien ihr die Haare wichtig, räumt sie ein. Sie war darum froh, dass sie in die neue „No Chemo“-Studie der WSG aufgenommen werden sollte. Selbst Frauen, die den Ergebnissen der Vorstudie zufolge tatsächlich eine Chemotherapie benötigt hätten, wollten die Forscher nun stattdessen das Medikament Ribociclib zur Verstärkung der Hormontherapie verordnen. Wieder wurden über 5000 Patientinnen getestet, 1670 als geeignete Kandidatinnen ausgewählt. Anke Hoppe war nicht darunter. „Ich bin im Screening rausgeflogen, meine Werte waren zu gut“, erzählt sie. Sie hätte – den Ergebnissen der ersten Studie zufolge – sowieso keine Chemo gebraucht. Das Medikament Anke Hoppe dennoch zu geben, wäre Körperverletzung gewesen, findet Sherko Kümmel. Ob es wirkt, werde man 2027 wissen. Die inzwischen vollständig rekrutierten Studienteilnehmerinnen werden erneut fünf Jahre lang beobachtet.
Brustkrebs: Verzicht auf Chemotherapie nie bereut
Anke Hoppe bekam eine normale Antihormontherapie, wurde anschließend operiert, danach bestrahlt. Heute lebt sie beschwerdefrei, fühlt sich gesund und strahlt das auch aus. Sie habe alles gut „verpackt“, sagt sie. Die Familie habe dabei geholfen und auch der Jagdhund, mit dem sie viel draußen gewesen sei. An ihrer Entscheidung, auf eine Chemotherapie zu verzichten, habe sie bis heute nie gezweifelt. Und sie glaubt auch nicht, dass das passieren würde, wenn sich irgendwann doch noch mal ein Rezidiv bildet. „Ich kann auch morgen vom Auto überfahren werden...“.
Operiert hätten die Ärzte im Huyssensstift übrigens brusterhaltend, betont Hoppe. Ihrem Mann wäre es egal gewesen, ergänzt sie, aber sie selbst habe sich vor der OP schon gefragt, wie sie danach wohl aussehen werde. Und? „Der Schnitt geht rund um die Brustwarze, die Narbe ist nicht zu sehen“, erklärt Hoppe. Gut genug für „Bikini am Strand“? Hoppe lacht: „Gut genug für oben ohne!“