Essen. Hunderte Lehrkräfte haben 2024 in NRW gekündigt. „Die Nerven liegen blank“, sagen zwei Lehrerinnen. Warum auch die Eltern daran Schuld sind.
Knapp 700 Lehrerkräfte in NRW haben 2024 gekündigt. Im Vorjahr waren es laut NRW-Schulministerium noch 930 Pädagoginnen und Pädagogen, die nicht mehr unterrichten wollten. Im Zehnjahresvergleich hat die Zahl der Kündigungen jedoch stark zugenommen. Überraschend ist, dass im vergangenen Jahr erneut rund 290 Lehrkräfte ihre Verbeamtung freiwillig aufgegeben haben. Der Großteil von ihnen war erst zwischen 31 und 40 Jahre alt. Wie kann das sein? Hier erzählen zwei Lehrerinnen aus dem Ruhrgebiet, warum sie trotz Beamtenstatus fast täglich daran denken, aufzugeben – und was sich ihrer Meinung nach ändern muss.
Lehrerin aus NRW: „Meine Nerven liegen blank“
Katrin (Name geändert) hat aus Verzweiflung schon dreimal die Schule gewechselt. Jahrelang hat die 41-Jährige an Real- und Gesamtschulen Deutsch und Sport unterrichtet, heute arbeitet sie an einer Grundschule: „Ich denke jeden Tag ans Kündigen. Meine Nerven liegen blank. Dabei war es schon immer mein Traum, als Lehrerin zu arbeiten. Nach meinem Referendariat habe ich mehr als zehn Jahre lang an einer Realschule im Brennpunkt unterrichtet. Das war sehr anstrengend und oft sehr frustrierend.
Auch, weil ich mal etwas Neues wagen wollte, habe ich die Schule gewechselt. Das war leider keine gute Idee. Ich kam aus der Hölle, aber an der neuen Schule wurde mir klar, dass es noch tiefer geht. Die Sporthalle war zum Beispiel so weit weg, dass ich mit 30 Fünftklässlern mit der Bahn durch die ganze Stadt fahren musste.
Und dann war die Halle auch noch in einem katastrophalen Zustand, mit schwarzem Schimmel an den Wänden. Die Schulgebäude sind generell so ein Thema. Alles ist marode, die Gemäuer bröckeln und wenn ein Fenster kaputt geht, wird es einfach mit Brettern zugenagelt.
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An der neuen Schule gab es außerdem keine Strategie, wie man mit schwierigen Kindern umgeht. Einmal hat ein Schüler die Tür aus den Angeln getreten. Die Schulleitung sagte mir, ich solle eine Missbilligung schreiben. Die Eltern also informieren und sie bitten, mit ihrem Kind darüber zu sprechen. An dem Tag bin ich weinend nach Hause gefahren.
Hinzu kam der Druck durch den Lehrplan. Obwohl immer mehr Schüler kaum oder nur schlecht Deutsch sprechen, musste ich zusehen, dass sie alle paar Wochen eine Gedichtanalyse oder eine Argumentation aufs Papier bringen. Dabei war normaler Unterricht, in dem es wirklich um fachliche Inhalte geht, kaum möglich.
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Für mich stand fest: Ich schaffe es so nicht mehr, ich brauche Hilfe. Also habe ich eine Überlastungsanzeige geschrieben und um Versetzung gebeten. Obwohl ich klar gemacht habe, dass mir ein Burnout droht, bekam ich lange nicht mal eine Antwort.
Nach Ewigkeiten konnte ich endlich an eine Grundschule wechseln. Hier geht es mir etwas besser. Aber ob ich bis zur Pension durchhalte? Das bezweifle ich. Am liebsten möchte ich in Teilzeit wechseln. Aber weil ich selbst keine Kinder habe, geht das nicht so einfach. Das Schulministerium hat schließlich entschieden, dass alle Teilzeitanträge streng geprüft und wenn möglich abgelehnt werden. Man wird als Lehrkraft so lange verheizt, bis man nicht mehr kann.“
„Der Respekt vor Lehrern ist verloren gegangen“
Vanessa (Name geändert, 35) ist Deutsch- und Geschichtslehrerin an einer Realschule im Essener Brennpunktviertel: „Jetzt im Winter ist die Belastung besonders hoch, weil so viele krank sind. Es gibt viele ältere Lehrer, die ihre Pension kaum abwarten können. Ich verstehe sie. Die Klassen sind viel zu groß, normaler Unterricht ist kaum möglich. Ein großes Problem ist, dass viele Kinder kaum oder nur schlecht Deutsch sprechen. Da fehlen wichtige Grundlagen.
Die Sprachbarriere macht auch die Zusammenarbeit mit den Eltern schwer. Und die ist sowieso schon kompliziert genug. Der Respekt vor uns Lehrern ist verloren gegangen. Einmal habe ich zum Beispiel eine Mutter informiert, dass ihr Kind sich permanent danebenbenimmt. Sie ist ausgerastet und meinte, das läge an mir. Aber dass ihr Kind auf dem Schulhof mit Böllern wirft, ist doch nicht meine Schuld.
Dann gibt es noch die Helikopter-Eltern, die alles besser wissen und mir vorschreiben wollen, wie ich zu unterrichten habe. Eine Mutter hat mit einer Klage gedroht, weil ihr eine Note nicht gepasst hat. Man erlebt Sachen, mit denen man im Studium niemals gerechnet hätte.
Was mich durchhalten lässt? Meine Klasse. Als Klassenleitung hat man die Chance, eine Bindung zu den Schülern aufzubauen. Und Kinder im Brennpunkt arbeiten nicht für die Note, sondern nur, wenn sie die Lehrkraft mögen und respektieren. In meiner Klasse erfahre ich viel Wertschätzung, auch von den Eltern. Deshalb ist es schon noch mein Traumberuf.
Trotzdem würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich nicht schon mal gefragt habe, wie lange ich das alles noch ertrage. Damit es endlich besser wird, müsste sich das System schon grundlegend verändern. Eine wichtige Maßnahme, die sich schnell umsetzen ließe, wäre die Einführung der Zeiterfassung. Dann kann zumindest keiner mehr leugnen, wie viel wir leisten.“
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