Berlin. Die Pubertät beginnt bei Kindern immer früher. Laut einer Studie ist dies unter anderem auf bestimmte Familiendynamiken zurückzuführen.

Mit neun gereizt, mit zehn aufmüpfig, mit elf kaum auszuhalten – und dann kommt die erste Regelblutung. Die Pubertät hat in den letzten Jahrhunderten im Durchschnitt immer früher eingesetzt: Während im 19. Jahrhundert die Menarche, also die erste Regelblutung, in Europa noch mit fast 17 Jahren einsetzte, liegt das Durchschnittsalter heute bei 12 bis 13 Jahren. Wissenschaftler führen diese Entwicklung auf veränderte Lebensbedingungen, Ernährungsgewohnheiten und gesundheitliche Faktoren zurück.

Eine neue Studie der Universität Aarhus und des Max-Planck-Instituts wirft nun eine weitere These auf: Auch die Familienkonstellation könnte eine Rolle bei der früheren Geschlechtsreife spielen. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift „Science Direct“ veröffentlicht.

Studie: Frühere Pubertät bei Einzelkindern und Halbgeschwistern

Die Forscherinnen und Forscher analysierten die Daten von 10.657 dänischen Kindern ab 11 Jahren und begleiteten sie durch die Pubertät. Untersucht wurden unter anderem das Wachstum der Scham- und Achselhaare, die Entwicklung der Brust und der Genitalien sowie der Zeitpunkt der ersten Menstruation, der Samenerguss, der Stimmbruch und das Auftreten von Akne. 

Dabei zeigte sich, dass Kinder mit Halb- oder Stiefgeschwistern früher in die Pubertät kamen als Kinder mit nur leiblichen Geschwistern. Mädchen mit Halb- oder Stiefgeschwistern kamen im Durchschnitt mehr als zwei Monate früher in die Pubertät, Jungen mit solchen Geschwisterbeziehungen 1,2 bis 1,4 Monate früher als Kinder mit Vollgeschwistern. Am ausgeprägtesten war der Effekt jedoch bei Einzelkindern, die im Durchschnitt fünf Monate früher in die Pubertät kamen als Kinder mit leiblichen Geschwistern.

Früherer Pubertätsbeginn: Familiendynamik und innerfamiliärer Stress als mögliche Ursachen

Studienleiterin Katrine Andersen und ihr Team vermuten, dass die Unterschiede in der Pubertätsentwicklung auf die Familiendynamik zurückzuführen sind, die je nach Anzahl und Beziehung der Geschwister variiert. Veränderte Familienstrukturen, wie die Trennung der Eltern oder die Bildung von Patchwork-Familien, könnten zu innerfamiliärem Stress führen und damit den Pubertätsbeginn vorverlegen. Allerdings konnte die Studie keinen eindeutigen Kausalzusammenhang nachweisen, da die Dauer der Geschwister- und Familienkonstellationen nicht erfasst wurde.

Zudem waren die Kinder in solchen Familienkonstellationen häufiger belastenden Umständen ausgesetzt, wie ungewollte Schwangerschaften der Mütter, vermehrtes Rauchen während der Schwangerschaft, niedriges Geburtsgewicht und psychische Auffälligkeiten, die den Stress noch verstärkt haben könnten.

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Forscher glauben: Auch genetische Faktoren können frühen Pubertätsbeginn beeinflussen

Auch genetische Faktoren könnten das Phänomen des frühen Pubertätsbeginns bei unterschiedlichen Geschwisterkonstellationen erklären. „Wenn Kinder Vollgeschwister haben, kann es für sie evolutionär vorteilhaft sein, in ihre Gesundheit zu investieren, damit sie ihre gemeinsamen Gene weitergeben können“, erklärt Koautorin Cecilia Ramlau-Hansen, ebenfalls von der Universität Aarhus. Dieser unbewusste, biologisch tief verankerte Effekt könnte bei Vollgeschwistern den Eintritt der Geschlechtsreife verzögern.

Anders sieht es bei Halb- oder Stiefgeschwistern aus, bei denen die genetische Verwandtschaft geringer ist. In diesen Fällen könnte es vorteilhafter sein, früher in die Pubertät zu kommen, um die eigene Fortpflanzung und damit den Erhalt der eigenen Gene zu sichern, erklärt Ramlau-Hansen.

Stress beschleunigt Pubertät: Erkenntnisse aus früheren Studien

Die Ergebnisse der dänischen Studie fügen sich in ein internationales Bild: Studien aus den USA, Großbritannien und Tschechien zeigen ebenfalls, dass innerfamiliärer Stress die Pubertät beschleunigen kann, da Kinder unter Druck evolutionsbedingt früher geschlechtsreif werden.

Eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2018, die 250 Kinder im Alter von 8 bis 17 Jahren untersuchte, fand beispielsweise heraus, dass Kinder, die familiäre Gewalt oder Missbrauch erlebt hatten, in ihrer Pubertät weiter fortgeschritten waren als Kinder, die unter Hunger litten. Die Forschenden stellten fest, dass diese Kinder vermehrt epigenetische Veränderungen in ihrer DNA aufwiesen, sogenannte Methylierungen, die als Reaktion auf psychischen Stress die körperliche Entwicklung langfristig beeinflussen.

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