Mülheim. Jetzt haben Mülheims Haus- und Wohnungseigentümer schwarz auf weiß, wie viel sie die Grundsteuerreform kostet. Die Beschwerde-Hotline läuft heiß.

Die Stadt Mülheim hat nach Inkrafttreten der Reform ihre Grundsteuer-Bescheide rausgeschickt. Der Frust vieler Bürgerinnen und Bürger ist groß, weil sie mitunter enorme Mehrbelastungen zu tragen haben, die das Wohnen noch mal teurer machen.

„Seit Mittwochmorgen wird die Grundsteuer-Hotline der Stadt rege genutzt“, stellte Stadtsprecherin Sindy Peukert schon Ende vergangener Woche fest. Fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter telefonierten nahezu durchgehend. Es kämen auch viele Mails zum Thema im Rathaus rein. Für zwei bis drei Wochen rechne man in der Verwaltung „mit einem steigenden Beschwerdeaufkommen“.

Zehntausende Grundsteuer-Bescheide sind in Mülheim raus

Mit dem Grundsteuer-Bescheid der Stadt wird den Mülheimer Grund- und Hausbesitzern erstmals auf Heller und Pfennig vor Augen geführt, welche finanziellen Auswirkungen die durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil 2018 erzwungene Grundsteuerreform für jeden Einzelnen hat.

Auch interessant

Dass viele Besitzer von reinen Wohngrundstücken deutlich mehr zahlen müssen, war dabei länger schon klar. Nicht nur, weil das Verfassungsgerichtsurteil eine Verschiebung zulasten Eigentümern älterer Häuser, die bislang unverhältnismäßig wenig Grundsteuer zahlen mussten, eingefordert hatte. Sondern auch, weil im von NRW übernommenen Bundesmodell zur Grundstücksbewertung Wohngrundstücke gegenüber Nichtwohngrundstücken deutlich stärker belastet werden.

Mülheims Stadtkämmerer hatte im Dezember Ausmaß der Mehrbelastung publik gemacht

Mülheims Stadtkämmerer Frank Mendack hatte die Auswirkungen schon zu jenem Zeitpunkt verdeutlicht, als der Stadtrat im Dezember vor der Entscheidung stand, mit welchem Hebesatz oder gegebenenfalls gar mit welchen separaten Hebesätzen für die zwei Grundstücksarten die Stadt ins Jahr der Umsetzung der Reform gehen sollte.

So rechnete Mendack vor, dass bei gleichbleibendem städtischen Hebesatz von 890 Prozent, für den sich die Politik letztlich entschied, knapp die Hälfte aller 46.100 Wohngrundstücke mit höheren Steuern belegt würden. 17 Prozent der Wohngrundstücke würden mit einer mindestens doppelten Steuerlast belegt, listete er auf, dass für vier Prozent der Grundstücke, also knapp 1850, sogar mit Steuerforderungen zu rechnen sei, die 300 oder mehr Prozent höher lägen als zuvor.

Fast 2000 Mülheimer Eigentümer sollen jetzt 300 Prozent oder mehr Grundsteuer zahlen

Auch interessant

Nach Absurdistan geführt sieht sich da manch ein betroffener Bürger. Etwa jener, der ein altes Fachwerkhaus in Holthausen sein Eigen nennt. Der Bürger, der anonym bleiben möchte, legte dieser Redaktion seinen Steuerbescheid der Stadt vor, der von ihm eine Jahreszahlung in Höhe von 1176,94 Euro verlangt, obwohl er noch im vergangenen Jahr nur 267,36 Euro zu berappen hatte. Eine Steigerung um 340 Prozent.

Er zahle nun so viel Grundsteuer für sein altes Haus mit Baujahr um das Jahr 1800 wie seine Nachbarn, die im Neubau leben, klagt der Holthausener. Er zeigt auch seinen Messbescheid aus Juli 2023 vor, mit dem ihm das Finanzamt mitgeteilt hatte, wie sein Grundsteuermessbetrag nach neuer Bewertungsmethode nach oben schnellen würde. Was den Holthausener daran stört: Das Finanzamt hatte für sein altes Fachwerkhaus ein „fiktives Baujahr“ 2002 festgesetzt, entsprechend hoch auch die erzielbaren Mieteinnahmen. Beides trieb die nun geforderte Steuerzahlung in die Höhe.

6400 Einsprüche gegen Mülheimer Grundsteuermessbeträge - Bearbeitung hinkt hinterher

„Das kann nicht angehen, dass nun völlig negiert wird, dass es ein altes Haus ist“, sagt er. Zwar sei es saniert und gedämmt, aber es sei nicht zu akzeptieren, dass jetzt so getan werde, als sei das Haus aus dem Baujahr 2002. Über seinen Steuerberater hat der Holthausener seinerzeit - wie fast 6400 andere Eigentümerinnen und Eigentümer auch - Einspruch gegen den Messbescheid des Finanzamtes eingelegt.

„Wir haben aber natürlich noch nichts dazu gehört“, spricht Sarkasmus aus der Feststellung des Bürgers, dass die Finanzämter die Masse an Einsprüchen nicht bis zur Umsetzung der Reform abgearbeitet bekommen hat. In Mülheim sind aktuell erst zwölf Prozent besagter Einsprüche bearbeitet.

Ein großes Ärgernis: Unbebaubares Gartenland kommt Mülheimer teuer zu stehen

Ortswechsel nach Saarn, die Problematik lässt sich aber vielerorts in Mülheim wiederfinden: Auch aus der Saarnberg- und der Oemberg-Siedlung liegen dem Finanzamt seit weit mehr als einem Jahr zahlreiche Einsprüche von Bürgern gegen ihre Messbescheide vor. Auch hier sind sie vielfach bislang unbearbeitet geblieben. In den Siedlungen ärgern sich Bewohner nicht über fiktive Baujahre für ihre Häuser, sondern darüber, dass mit der neuen Grundsteuer auch ihr komplettes, unbebaubares Gartenland nicht mehr als solches, sondern als Bauland mit entsprechend hohem Bodenrichtwert bewertet worden ist.

Einsprüche von Anwohnern zielen darauf ab, das Gartenland mit einem deutlich geringeren Wert zu bemessen. Die Stadt Mülheim hatte in der Vergangenheit darauf verzichtet, Gartenland als solches in den städtischen Bodenrichtwertkarten zu kennzeichnen - das kommt viele Bürger nun teuer zu stehen. Ein Hausbesitzer von der Straße „Am Schlaghecken“ zahlt ab sofort jährlich 1355,47 statt 332,95 Euro Grundsteuer. „Ich hatte schon mit einer Verdopplung gerechnet, aber eine Erhöhung auf über 1000 Euro ist doch happig“, wartet auch dieser Saarner noch auf Reaktion des Finanzamtes zu seinem Einspruch.

Mülheims Stadtverwaltung: Einspruch schützt nicht vor Zahlungspflicht

Derweil machte Mülheims Stadtverwaltung den Steuerzahlern dieser Tage mit dem Versenden ihres Steuerbescheides deutlich, dass Einsprüche nicht vor einer Zahlungsverpflichtung schützten. So steht es geschrieben in einem Begleitschreiben, das den Grundsteuerbescheiden beigelegt wurde. Es bringe auch nichts, jetzt Widerspruch gegen den aktuellen Bescheid der Stadt einzulegen. Solange der Einspruch beim Finanzamt nicht bearbeitet und von dort ein geänderter Messbetrag an die Stadt übermittelt sei, bestehe für Bürger eine Pflicht zu fristgerechten Zahlung der jetzt geforderten Beträge.

Wegen der erwartet hohen Zahl von Beschwerden und Fragen hat die Stadt eigens eine Grundsteuer-Hotline eingerichtet: Sie ist von Montag bis Freitag von 8 bis 16 Uhr erreichbar unter 0208 455 2000. Informationen gibt es auch unter grundsteuer.nrw.de.

Wohnen in Mülheim - lesen Sie auch:

Bleiben Sie in Mülheim auf dem Laufenden!

>> Alle Nachrichten aus Mülheim lesen Sie hier. +++ Abonnieren Sie kostenlos unseren Newsletter per Mail oder Whatsapp! +++ Hier kommen Sie zu unseren Schwerpunktseiten Wohnen, Gastronomie, Handel/Einkaufen und Blaulicht. +++ Zu unserem Freizeitkalender geht es hier. Legen Sie sich doch einen Favoriten-Link an, um kein Event zu verpassen! +++ Lokale Nachrichten direkt auf dem Smartphone: Laden Sie sich unsere News-App herunter (Android-VersionApple-Version).