Mülheim. Zahlen Hausbesitzer und Mieter in Mülheim bald bis zu acht Millionen Euro Grundsteuer mehr? Um dieses Szenario abzuwenden, ist Eile geboten.
Die Verärgerung in der kommunalen Familie zum Umgang der Landesregierung mit den absehbar riesigen Verwerfungen bei der Grundsteuer ist groß. Dass jede einzelne Stadt und Gemeinde in NRW nun selbst aktiv werden soll, um eine absehbar millionenschwere Belastung von Hauseigentümerinnen und -eigentümern sowie mittelbar auch Mieterinnen und Mietern abzuwenden, bereitet Mülheims Stadtkämmerer Frank Mendack große Bauchschmerzen.
Bereits im Vorjahr schrillten in Mülheims Kämmerei die Alarmglocken, als ihr nach einer Abfrage die neuen Steuermessbeträge für die 20 größten Gewerbegrundstücke der Stadt vorlagen. Da wurde deutlich, dass mit den neuen Berechnungsformeln zur Grundsteuerreform 2025 Gewerbe- gegenüber Wohngrundstücken deutlich entlastet werden. NRW hatte diese Unwucht aus dem Bundesmodell zur Reform unverändert übernommen, andere Bundesländer hatten sie erkannt: Der Freistaat Sachsen etwa hatte schon vor drei Jahren die Steuermesszahl für Nichtwohngrundstücke deutlich angehoben, um eine einseitige Mehrbelastung von Wohngrundstücken zu vermeiden.
Landesregierung will seine Verantwortung auf die Kommunen abwälzen
NRW ließ seine gesetzlich fixierten Steuermesszahlen unberührt. Das Drängen der Kommunen, dies noch rasch nachzuholen, prallte an Finanzminister Marcus Optendrenk und den regierungstragenden Parteien von CDU und Grünen ab. Die Regierungsfraktionen wollen stattdessen nun noch auf den letzten Drücker per Gesetz den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden selbst die Möglichkeit einräumen, Wohn- und Gewerbegrundstücke unterschiedlich zu besteuern, um die millionenschwere Lastenverschiebung zulasten von Hauseigentümern und Mietern mindestens abzufedern.
Unzählige rechtliche Gutachten sind laut Mendack wohl in Auftrag zu geben, um eine solche Regelung in den 396 Städten und Gemeinden im Land rechtssicher zu verankern, woran seitens der Kommunen große rechtliche Zweifel bestehen. Das absehbare Dilemma der Reform, das Bund und Land zu verantworten hätten, werde so „komplett den Kommunen vor die Füße geworfen“, klagt Mülheims oberster Kassenwart. Dabei sei eine Lösung à la Sachsen oder anderer Bundesländer „so einfach gewesen“.
Modellrechnung in Essen zeigt millionenschweres Ausmaß bei Umverteilung der Steuerlast
Die Stadt Essen war zuletzt mit einer Modellrechnung an die Öffentlichkeit gegangen, um das Ausmaß möglicher Belastungen für Wohngrundstücke aufzuzeigen. Nach den Bewertungen der Essener Gewerbegrundstücke entstünde eine Lücke von fast 20 Millionen Euro bei den Steuereinnahmen, belasse man den Grundsteuer-Hebesatz bei den aktuell festgesetzten 670 Prozent, hieß es da. Um dies zu kompensieren und am Ende wie bisher 136 Millionen Euro Grundsteuer im Jahr für die chronisch klamme Stadt verbuchen zu können, müsste man den Hebesatz nach jetziger Kalkulation auf 791 Prozent erhöhen.
Mülheim hat seit 2019 ohnehin einen Spitzen-Hebesatz von 890 Prozent, den Ärger über die massive Erhöhung des Hebesatzes um 39 Prozent ist bei vielen nicht verflogen. Nun droht mit der Reform neues Ungemach, weil es sich auch das überschuldete Mülheim schwerlich leisten kann, auf Einnahmen zu verzichten. Analog zu den Essener Rechnungen kommt Kämmerer Mendack für Mülheim auf sechs bis acht Millionen Euro Mindereinnahmen bei der Grundsteuer für Gewerbegrundstücke, sollte es beim aktuellen Hebesatz bleiben.
Droht Mülheims Grundsteuer-Hebesatz auf über 1000 Prozent zu steigen?
Sollten Hauseigentümer und Mieter (über ihre Nebenkostenabrechnung) dies durch eine höhere Steuerbelastung auszugleichen haben, wäre im Kommunalwahljahr 2025 ein hitziges Thema am Markt. „Kommunikativ ist das kaum zu gewinnen“, hätte sich Mendack auch deshalb gewünscht, dass die Landesregierung ihre Verantwortung wahrnimmt für eine einheitliche Regelung, die Besteuerung für Gewerbegrundstücke so anzuheben, dass den privaten Hauseigentümern die Last genommen wäre. So aber mache sich die Landesregierung, die den vorprogrammierten Ärger in den Städten zu verantworten habe, einen schlanken Fuß.
Aktuell nimmt Mülheim laut Mendack rund 60 Millionen Euro über die Grundsteuer ein. Auch wenn der Kämmerer selbst dazu aktuell keine Aussage treffen will: Bei den benannten Mindereinnahmen für Gewerbegrundstücke in Höhe von sechs bis acht Millionen Euro lässt sich leicht abschätzen, dass Mülheim womöglich gar auf einen Hebesatz jenseits der 1000 Prozent gehen müsste, um das Minus auszugleichen. Oder die Stadt findet nun auf den letzten Drücker noch einen rechtssicheren Weg, wie sie selbst die Steuerlast für Gewerbegrundstücke auf ein Maß hieven kann, das ihr neuerlichen Ärger mit Hauseigentümern und Mietern erspart.
Die Kommunen haben aber Zweifel, verfassungsrechtlich sichere Lösungen jenseits des Willkürverbotes finden zu können. Die Landesregierung selbst hatte in der Vergangenheit gesagt, für eine Landesregelung erscheine die Zeit zu knapp. Nun will sie jeder einzelnen Kommune aber abverlangen, in Kürze der Zeit zur Differenzierung ihrer Hebesätze „verfassungsrechtliche Rechtfertigungsgründe“ dafür darzulegen. „Juristisches Neuland“ sei das für die Stadt, sagt Mendack. Mit dem kaum kalkulierbaren Risiko unzähliger Klagen.
Grundsteuer-Hebesatz 2025: Welche Optionen der Stadt Mülheim im Zweifel bleiben
Schafft Mülheim das nicht mehr rechtzeitig, blieben der Stadt zwei Optionen. Erstens: die Last von den Hauseigentümern und Mietern tragen zu lassen und dafür massiven Ärger im Kommunalwahljahr zu riskieren. Oder zweitens: die millionenschwere Mindereinnahme auszuhalten und durch Verschiebungen im Haushalt mindestens so lange zu kompensieren, bis es vielleicht doch noch eine Landeslösung gibt. Ob dem Kämmerer dies gelingen könnte, ist aber fraglich. Schon im Haushalt 2024 musste er zwölf Millionen Euro mehr Zinsbelastung einplanen, dazu noch 15 Millionen Euro mehr Personalkosten und zwölf Millionen Euro mehr für Hilfen zur Erziehung.
Seinen Etat-Entwurf für 2025 plant Mendack erst im Dezember einzubringen, „da das Land die Altschuldenlösung noch auf den Weg bringen muss“. Ohne eine Klärung dazu mache es keinen Sinn, einen Etat-Entwurf vorzulegen, der im Zweifel „nicht das Papier wert ist, auf dem er steht“. Dass die Mülheimer Bürger aber bis Dezember warten müssen, um Klarheit zur Mülheimer Grundsteuer im Jahr 2025 zu bekommen, sieht Mendack nicht. Er rechnet im August oder September mit den zugesagten Modellrechnungen des Landes, mit welchen Hebesätzen die einzelnen Kommunen ihre bisherigen Steuereinnahmen halten könnten. Zu einer politischen Bewertung zur Umsetzung in Mülheim könne es deshalb womöglich schon in der ersten Ratssitzung nach den Sommerferien kommen.
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