Gladbeck. Es fehlen 31,3 Millionen Euro im Gladbecker Haushalt. Stadtkämmerin zeichnet ein düsteres Bild. Trotz des Defizits sind Investitionen geplant.
Nein, Geschenke hatte Silke Ehrbar-Wulfen für die Lokalpolitik in der jüngsten Ratssitzung nicht in petto. Weder Bitterschokolade, um die jüngsten Hiobsbotschaften zu versüßen, noch Lupen. Aber auch mit einem Vergrößerungsglas hätte niemand einen dringend benötigten, erklecklichen Betrag entdecken können. Die Finanzlage Gladbecks ist schlichtweg dramatisch mies. Und wenn die ansonsten positiv gestimmte Stadtkämmerin Ehrbar-Wulfen, im wahrsten Sinne des Wortes, auf den Tisch haut, dann brennt‘s wirklich.
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Eine Aussprache nach den Reden der Gladbecker Bürgermeisterin Bettina Weist und der Hüterin der städtischen Etats zur finanziellen Lage war, wie es so üblich ist, nicht vorgesehen. Was hätte das Gremium dazu auch sagen sollen? Die grundsätzlichen Fakten waren wohl allen bewusst. Selbst Zahlenmuffeln war und ist klar: So kann es nicht weitergehen. Wohin soll die sich verschärfende Not noch führen?
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Diese Frage warfen auch Bürgermeisterin und Stadtkämmerin auf. Obwohl die Ursachen der Misere hinlänglich bekannt sein dürften, sind diese Faktoren unverändert. Weist sagte: „Gerade erst musste Wirtschaftsminister Robert Habeck ein erneutes Schrumpfen der Wirtschaft vermelden, um 0,2 Prozent wird die Konjunkturaussicht für 2025 nach unter korrigiert. Das ist die bundesweite Lage. Und hier, in unseren Kommunen und Kreisen, vor allem in NRW, ist die Lage noch prekärer.“
Die Situation ist nicht nur in Gladbeck prekär
Lediglich 18 von landesweit 396 Städten und Gemeinden könnten 2025 noch einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen. „Es ist für die Kommunen die schlechteste Finanzlage seit Jahrzehnten“, unterstrich die Bürgermeisterin. Eine Kommune, die keinen Finanzausgleich schaffe, sei eben auch Gladbeck. Jedoch habe es die Stadt im vorigen Jahr hinbekommen, trotz eines Minus‘ von 16,8 Millionen Euro einen genehmigungsfähigen Haushalt zu erreichen. Weists Parole erinnerte so manch einen Skeptiker im Rat und Publikum an den Ausspruch der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der Flüchtlingswelle 2015: „Wir schaffen das!“ Die Formulierung der Bürgermeisterin zu einem zukünftigen, genehmigungsfähigen Haushalt: „Das schaffen wir auch in diesem Jahr!“ Dabei „müssen wir erneut ein noch höheres Defizit ausweisen“.
Sie rechnete vor: Einnahmen von 326,1 Millionen Euro stehen Aufwendungen von 354,7 Millionen gegenüber: „Rechnen wir unsere Finanzerträge und die Zinsen und sonstigen Finanzaufwendungen mit ein, steht unter dem Strich ein Minus von 31,3 Millionen Euro.“ Damit befindet sich Gladbeck in großer Gesellschaft, fehlen doch laut Weist den Städten im Kreis Recklinghausen insgesamt sage und schreibe 252 Millionen Euro.
„ Rechnen wir unsere Finanzerträge und die Zinsen und sonstigen Finanzaufwendungen mit ein, steht unter dem Strich ein Minus von 31,3 Millionen Euro“
Das Problem sei nicht hausgemacht: eine jahrzehntelange Unterfinanzierung der Kommunen, immer mehr Aufgaben, zu wenig Geld. Mit 44,5 Millionen Euro schlage allein der Kita-Bereich zu Buche: „Knapp 23 Millionen werden uns vom Land erstattet.“ Diese Lücke können Elternbeiträge und Verpflegungsentgelte mit nur 2,3 Millionen Euro ein bisschen füllen.
Entscheidet der Wohnort über Wohl und Wehe der Familien?
Man muss kein Rechengenie sein, um festzustellen: Das ergibt keine finanzielle Deckung. Mal ganz davon abgesehen, dass eine Erhöhung der Beiträge, mit denen Eltern zur Kasse gebeten werden, wohl kaum mit Chancengleichheit einhergehen. Städte, die womöglich ganz auf diese Zahlungen verzichten können, auf der einen Seite; arme Städte wie Gladbeck auf der anderen Seite: Also entscheidet der Wohnort über Wohl und Wehe der Familien?
Um beim Punkt „Kinder“ zu bleiben: Gladbeck wolle im kommenden Jahr rund 60 Millionen Euro investieren, das Gros für den Nachwuchs – 25,8 Millionen sollen in Schulen fließen, 20 Millionen in Kitas. Aber auch Investitionen in Infrastruktur und Stadtentwicklung sowie Klimaschutz und Mobilität, Sicherheit und Ordnung sollen nicht auf der Strecke bleiben.
Bürgermeisterin und Kämmerin: Trotz aller Widrigkeiten Verbesserungen möglich
Gemeinsam mit der Bevölkerung und mit einer Politik der kleinen Schritte seien trotz der desolaten Lage Verbesserungen möglich, versuchte Weist Aufbruchstimmung zu versprühen. Wer sich durch diese Worte optimistisch gestimmt fühlte, landete bei den nüchternen Zahlen der Stadtkämmerin wieder im Null-Komma-Nix im unschönen Reich der Zahlen.
Der erste Dämpfer: „Schon 2024 werden wir das geplante Defizit von 16,8 Millionen Euro voraussichtlich leicht überschreiten.“ Dicke Brocken, die Finanz-Fachleuten zu schaffen machen, seien Einnahmeverluste bei Steuern, hohe Tarif- und Besoldungsanpassungen, explodierende Sozialabgaben. Dass dies keine bloßen Rechenexempel sind, zeigt das Unternehmen Pilkington, das bis zu 150 Arbeitsplätze streichen will. Silke Ehrbar-Wulfen: „All dies führt dazu (...), dass ich Ihnen für 2025 einen Haushalt mit einem prognostizierten Defizit von (...) 31,3 Millionen Euro vorlegen muss.“
„Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich Ihnen ein Budget wünschen würde, das Ihnen Spielraum für eine gestalterische Arbeit im Sinne der Stadtgesellschaft böte. Leider haben wir diesen Spielraum nicht“
Für 2028 drohe sogar ein noch größeres Finanzloch von 38,2 Millionen Euro. Das sei verursacht durch eine weiter steigende Umlage des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). Und das, so kritisierten Bürgermeisterin und Kämmerin unisono scharf, obwohl dieser über Rücklagen von gut 600 Millionen Euro verfüge. Ehrbar-Wulfen sagte, durch deren Einsatz könne die Belastung der Kommunen gemildert werden. Sichtlich aufgebracht: „Aus meiner Sicht ist das genau der Zweck dieser Rücklagen!“
Thema „Altschulden“ bleibt ein Aufreger
Nicht zu vergessen der Riesenbatzen Altschulden, ein Dauerthema, bislang immer noch ungelöst. Ein Problem, das Bürgermeisterin und Stadtkämmerin umtreibt. Die sonst stets gutgelaunte Ehrbar-Wulfen ließ ihre Hand aufs Rednerpult niedersausen, um der Dringlichkeit ihres Anliegens Nachdruck zu verleihen. Die Städte lechzen seit einer gefühlten Ewigkeit geradezu nach einer Übernahme der Altschulden durch Land und Bund. Ehrbar-Wulfen verlangt dies gekoppelt „mit einer spürbaren Erhöhung der Schlüsselzuweisungen, einer anteiligen Übernahme der Eingliederungshilfe und der vollständigen “Einhaltung des Konnexitätsprinzips“ bei auferlegten Aufgaben. Flapsig gesprochen: Wer die Musik bestellt, muss sie auch zahlen – was seit Jahren nicht der Fall ist. Schon jetzt sei beispielsweise absehbar, dass die bereitgestellten Gelder nicht ausreichen werden, um die Voraussetzungen zur Realisierung den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung zu schaffen.
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Die Finanzexpertin kehrte aber zum Optimismus zurück: „Trotz aller Schwarzmalerei, die eigentlich nicht meinem Naturell entspricht, gebe ich die Hoffnung nicht auf. Ich bin der Ansicht, dass die flächendeckend dramatische Verschlechterung der Finanzsituation praktisch aller Kommunen in NRW ein Umdenken der übergeordneten Instanzen erfordern muss. Dem werden sich Bund und Land nicht verschließen können.“
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Sie zeigte sich jedoch entgegen aller Widrigkeiten zuversichtlich, bis spätestens 2034 einen Haushaltsausgleich vorlegen zu können. Ehrbar-Wulfen mahnte an, dass bei Anträgen immer auch die finanzielle Seite mitgedacht werden müsse. An die Adresse der Ratsmitglieder: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich Ihnen ein Budget wünschen würde, das Ihnen Spielraum für eine gestalterische Arbeit im Sinne der Stadtgesellschaft böte. Leider haben wir diesen Spielraum nicht.“