Gladbeck/Bottrop. Ehemaliger Stadtjugendseelsorger von Gladbeck und Bottrop hat jetzt eine Familie. Warum und wie er mit der Kirche hadert, hat er aufgeschrieben.
Entspannt sitzt Michael Rasche am Tisch, vor ihm sprudelt eine Cola. Dabei erzählt der 50-Jährige von seinen Kindern, zwei Söhne, sieben und drei Jahre alt. Das wäre zunächst einmal nicht besonders erstaunlich, vielleicht nicht einmal berichtenswert. Doch Michael Rasche hat einen Großteil seines Lebens in der katholischen Kirche verbracht, bis 2016 war er Priester. Inzwischen ist der promovierte Theologe und Philosoph verheiratet, lebt in den Niederlanden und schult Führungskräfte.
Gladbeckern und Bottropern ist Michael Rasche wahrscheinlich noch als Stadtjugendseelsorger bekannt. Zuvor war er Kaplan in Essen-Heisingen, hat dort das Projekt „Krasse Kirche“ ins Leben gerufen. Von 2006 bis 2012 war er dann in Gladbeck und Bottrop Ansprechpartner für Jugendliche in der katholischen Kirche und für die Jugendverbände. Gemeinsam mit ihnen hat er die Umwälzungen im Bistum und die damit verbundenen Schließungen von Kirchen und Jugendtreffs begleitet. Auch in dieser Zeit wuchs seine Distanz zur Kirche.
Das Buch ist keine Abrechnung des ehemaligen Priesters mit der Kirche
Doch der Reihe nach: Seine Erfahrungen hat Michael Rasche jetzt in einem Buch veröffentlicht. „Bekenntnisse – Auflösung eines katholischen Lebens“ hat er es genannt. Darin taucht er tief ein in die Geschichte der Kirche, beschreibt ihre Entwicklung und warum sie so geworden ist, wie sie sich im Moment darstelle. Es sei keine Abrechnung, macht er sofort deutlich, es ist aber auch keine Liebeserklärung. Vielmehr ist es eine nüchterne Bestandsaufnahme.
Dabei kommen Rasche seine praktischen Erfahrungen und Einblicke als Priester zugute, aber auch seine tiefen theoretischen Kenntnisse der Kirche und der Kirchenlehre als Theologe. Das Buch ist in Teilen autobiografisch, es enthält aber immer wieder tiefe Einblicke und Exkursionen in die Kirchengeschichte. Nicht umsonst ist der Titel dem christlichen Lehrer Augustinus entliehen, der seine Bekenntnisse zwischen 400 nach Christus ablegte. Dort schildert er, wie er zum christlichen Glauben gelangte.
„Die Kirche muss sich radikal ihrem Versagen stellen“
Bei Michael Rasche ist es anders. Er schildert, wie er sich dieser Kirche immer mehr entfremdete, je tiefer er hineintauchte. Es ist nicht dieser eine Punkt, der ihn zweifeln lässt, vielmehr sei es die Institution gewesen, die Unbeweglichkeit, die ihm zusetzt. „Die Kirche muss sich radikal ihrem Versagen stellen“, so seine Forderung. Das Versagen der Kirche, etwa bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, ist für ihn „eine logische Konsequenz ihrer Strukturen“.
Auch hier bemüht Michael Rasche die Kirchengeschichte, zeichnet ihr Selbstverständnis als eucharistiefeiernde Gemeinschaft nach. Eine Definition, die auch Papst Benedikt noch bemüht habe, so Rasche. Damit aber werde dem Priester eine herausragende Stellung zugebilligt, ist sein Amt und damit auch seine Person doch für die Eucharistiefeier unverzichtbar. „Damit aber gilt es, den Priester um jeden Preis zu schützen“, führt Rasche ein großes Problem aus.
Habilitation in Philosophie an der Universität in Eichstätt
Nach seiner Zeit in Gladbeck und Bottrop ging es für Rasche zunächst an die Universität in Eichstätt. Dort habilitiert er in Philosophie, parallel dazu ist er Priester in einer Gemeinde in Thalmässing. Er habe zwar mit der Kirche gehadert, sagt er rückblickend, doch habe er damals noch nicht daran gedacht, sein Amt als Priester aufzugeben. Vielmehr habe er sich bemüht, die Institution von innen heraus zu verändern.
Dabei holt er sich einige Male eine blutige Nase. In seinem Buch schildert er ein Erlebnis aus Bottrop. Dort war er zusätzlich in der Pfarrei St. Joseph tätig. In seinen Predigten macht er keinen Hehl daraus, dass er die Entwicklung des Bistums, die Zusammenlegung von Gemeinden, die Schließung von Kirchen und das Sparen, insbesondere auf Kosten der Jugend, nicht gutheißt.
Kritik aus Essen an seinen „feurigen Predigten“ in Bottroper Gemeinde
Das habe man auch in Essen mitbekommen. Bei einer Diakonweihe habe er einen höheren Geistlichen des Bistums getroffen, der ihn auf seine „feurigen“ Predigten angesprochen habe. Es sei doch schön, wenn ein Prediger noch ein gewisses Feuer entfachen könne, so seine Replik. Die Antwort, die dann gekommen sei: „Aber doch nicht gegen das Bistum.“ Und auch wenn dieser Satz mit einem Lächeln verbunden gewesen sei, so Rasche, habe er diese Warnung genau verstanden. „Ich nahm darauf etwas Biss aus meinen Predigten, behielt aber den kritischen Ton bei, wenn ich über die Bistumsreform sprach.“
In Bayern gewinnt er von alldem zunächst etwas Abstand, widmet sich der Wissenschaft und wird schließlich Professor. Gleichzeitig lernt er dort seine jetzige Ehefrau kennen, die ebenfalls an der Uni unterrichtet. 2014 fällt dann die Entscheidung, das Priesteramt aufzugeben. Trotzdem habe er noch zwei Jahre ein Doppelleben geführt, um seine Arbeit an der Uni abzuschließen und dort auf den Lehrstuhl zu wechseln. In diesen zwei Jahren wird Dortmund, die Heimatstadt seiner Frau, zum Zufluchtsort. Dort treffen sie sich, bis Rasche 2016 seine Entscheidung, sein Priesteramt aufzugeben, öffentlich macht.
„Ich glaube, dass die katholische Kirche in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten keine wahrnehmbare Größe mehr ist.“
Inzwischen ist er im Laienstand, aber weiter Mitglied der Kirche. Schließlich sei er von Kind auf katholisch sozialisiert, war in seiner Heimatgemeinde St. Barbara in Mülheim Messdiener, engagiert in der Gemeinde, dann Priester. „Das streift man nicht sofort ab.“ Billigt er der Kirche eine Zukunft zu? Die Antwort nach längerem Nachdenken: „Ich glaube, dass die katholische Kirche in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten keine wahrnehmbare Größe mehr ist.“ Michael Rasche lebt inzwischen in Rotterdam, seine Erfahrung mit einer weitgehend entkirchlichten Gesellschaft in den Niederlanden zeigten, dass auch solch eine Gesellschaft möglich ist. „Ich glaube, dass wir in Deutschland diese Erfahrung noch vor uns haben.“
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Seine Entscheidung für eine eigene Familie, für Ehefrau und Kinder hat zur Folge, dass er mehr als sein halbes Leben infrage stellt. Doch das, habe er nie bereut, sagt er. Auch sein Umfeld, Freunde und Bekannte hätten überwiegend positiv auf seine Entscheidung reagiert, auch zu anderen Priestern aus seiner Zeit im Bistum habe er weiter Kontakt. Allein seine engste Familie habe es nicht verstanden, das sei bis heute ein Konflikt.
Trotzdem gelte, wie auch für andere Entscheidungen, dass er nichts bereue. Auch der Entschluss, Priester zu werden, sei zur damaligen Zeit richtig gewesen, sagt er deutlich.
Rasche, Michael: Bekenntnisse – Auflösung eines katholischen Lebens, 388 Seiten, ISBN: 978-3-7597-88436
Verlag: Books on demand, 24,99 Euro oder 14,99 Euro (eBook).
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