Gladbeck. Kriegsschäden, ein Altar aus Süddeutschland und spanische Trompeten. Diese Besonderheiten sind in der Propsteikirche versteckt. Ein Rundgang

Angenehm kühl ist es, hier in der Gladbecker Kirche St. Lamberti. Die dicken Mauern lassen die Wärme draußen. Propst Thomas Zander schaut zufrieden durch „seine“ Kirche. Mit 125 Jahren ist sie eines der ältesten Gebäude in der Stadt. Dementsprechend viel gibt es zu entdecken, auch hinter der Kulisse, die der Öffentlichkeit normalerweise zugänglich ist. Vorausgesetzt man hat die richtigen Schlüssel dabei.

Dort, wo das inzwischen denkmalgeschützte Kirchengebäude 1899 eingeweiht wurde, stand schon zu früheren Zeiten eine Kirche. Zumindest ungefähr, so genau sei das nicht mehr bekannt, sagt Zander. „Die vorherige Kirche wurde für Gladbeck irgendwann zu klein“, erzählt er. Die 1804 gebaute Kirche stammte noch aus vorindustrieller Zeit, als Gladbeck nur eine kleine Bauernschaft war. Als im Zuge des aufkommenden Bergbaus die Bevölkerung Gladbecks anwuchs, war eine neue Kirche von Nöten. „Die alte Kirche wurde einfach abgerissen, Denkmalschutz gab es damals noch nicht“, so der Propst. Schade eigentlich: Die alte Kirche hatte einen Zwiebelturm – das sei selten gewesen für so eine kleine Dorfkirche.

Teile der alten Gladbecker St. Lamberti Kirche wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört

Der Industrialisierung verdankte Gladbeck also eine große Kirche. Aufmerksamen Menschen aus dem Revier wird aufgefallen sein: St. Lamberti ähnelt unter anderem der Gelsenkirchener St. Hippolytus oder auch der Bottroper Liebfrauenkirche. Das sei kein Zufall, erklärt Zander. „Die Kirchen stammen aus einer ähnlichen Zeit und wurden vom selben Architekten entworfen.“ Der Bau sollte aufgrund des damaligen raschen Bevölkerungswachstums in der Region möglichst schnell gehen. Das Grundkonzept der Kirchen sei daher ähnlich gewesen.

Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Am Standort der heutigen St. Lamberti gab es bereits früher eine Dorfkirche. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Am Ende kommt es eben auf die inneren Werte an. Leider ging der alte, große Hochalter in St. Lamberti im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs verloren, ebenso wie alle Fenster der Kirche, die dem Druck der Explosionen nicht standhielten. Noch heute sind hier und da Spuren des Krieges in der Kirche sichtbar. Um den Altar herum zieren sogenannte Maßwerke die Wände. Bei genauem Blick fällt auf: Teilweise ist das Maßwerk nur aufgemalt, während es daneben kunstvoll aus Stein gemeißelt ist. Auf der linken Seite wurde das ursprüngliche Maßwerk durch den Krieg zerstört und daher malerisch nachgestellt. „Die anderen Malereien sind hinzugefügt worden, da an diesen Stellen vorher der Hochaltar beziehungsweise Seitenaltäre standen“, berichtet Zander.

Propst Zander kannte den Hochaltar bereits

Heute hat die Gladbecker Gemeinde einen kleineren Hochaltar. Propst Zander, der seit Dezember vergangenen Jahres in Gladbeck tätig ist, hat zu diesem eine ganz besondere Beziehung. „Ich begegne dem Altar hier schon zum zweiten Mal“, sagt er und lacht. Während seiner Tätigkeit als Direktor des Kardinal-Hengsbach-Hauses in Essen stieß Zander erstmals auf den Altar, der damals dort in einer kleinen Kapelle stand. „Die Kapelle sollte aber in ihren ursprünglichen Zustand umgebaut werden“, so Zander. Wohin also mit dem Altar? „Wir haben ihn dann erstmal eingelagert, bis der damalige Gladbecker Propst Karl-Heinz Berger Interesse bekundete“, sagt Zander. In St. Lamberti sei der Altar sowieso besser aufgehoben und könne wieder vollständig ausgeklappt werden. An seinem neuen Standort wurde der Hochaltar zudem restauriert. „Und jetzt bin ich als Propst wieder für ihn zuständig“, sagt Zander.

„Ich begegne dem Hochaltar hier schon zum zweiten Mal.“

Propst Thomas Zander

Tatsächlich ist der Hochaltar am Ende der Kirche deutlich älter als das Kirchengebäude, genauer gesagt 382 Jahre älter. 1517 wurde der Altar in der Nähe von Regensburg gebaut. Wo genau, wisse man heute nicht mehr, gibt Zander zu.

Die versteckten Geheimnisse von St. Lamberti in Gladbeck

Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Mitten in der Innenstadt Gladbecks steht die Kirche St. Lamberti. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Thomas Zander ist seit Dezember 2023 Propst der Kirche. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
An den Maßwerken lassen sich Spuren des Bombenkriegs erkennen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Der Hochaltar von 1517 stammt eigentlich aus der Nähe von Regensburg. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Der Hochaltar von 1517 stammt eigentlich aus der Nähe von Regensburg. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Die Kirche feiert in diesem Jahr 125. Geburtstag. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Die ursprünglich grauen Heiligenfiguren wurden nachträglich bunt bemalt. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Vier Steinfiguren des alten Hochaltars konnten aus der kriegszerstörten Kirche gerettet werden. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Die Kirchenorgel wurde 1960 gebaut. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Eine steile Wendeltreppe führt in den Kirchturm. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Propst Zander gibt einen Einblick in die Kirchenorgel. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Die Kirche feiert in diesem Jahr 125. Geburtstag. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Der Schaden an der Säule stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Die Kirche feiert in diesem Jahr 125. Geburtstag. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Der Dachstuhl wurde 2000 erneuert. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Propst Thomas Zander (r.) und Verwaltungsmitarbeiter Eugen Gibkes führen durch die Gladbecker Kirche. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Ein Holzsteg verhindert, direkt auf dem Gewölbe der Kirche laufen zu müssen. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Je höher die Wendeltreppe führt, desto staubiger wird es. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Auf dem Weg zu den Kirchenglocken führt eine steile Holztreppe nach oben. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Die Kirche feiert in diesem Jahr 125. Geburtstag. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde
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Das liege nicht zuletzt an der Geschichte des Bistums Essen, das erst 1958 aus Teilen der Bistümer Paderborn, Münster und Köln gebildet wurde. „Das Bistum kaufte damals kirchenhistorische Objekte, da die Region hier nicht reich an Kunstwerken war“, erzählt der Propst. Für die neugotische Gladbecker Kirche sei damals nach einem gotischen Altar gesucht worden. Irgendwo in Süddeutschland sei man fündig geworden. Zander hebt eine Besonderheit des Altars hervor: „Das Jesu-Kind ist hier nicht in einer Krippe abgebildet, sondern auf einem Mantel auf dem Boden.“ Die Botschaft dahinter: Der große Gott sei ganz klein. „Das lässt das theologische Herz höher schlagen“, schwärmt Zander.

Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Der Hochaltar in St. Lamberti ist deutlich älter als das Kirchengebäude selbst. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Strenggenommen ist St. Lamberti dreistöckig

An beiden Seiten des Hochaltars führen Türen in Seitenräume, die von jeweils zwei kleinen Steinfiguren eingerahmt werden. Von den Kirchenbänken aus sind sie kaum zu sehen, doch ihr historischer Wert ist hoch. „Die Figuren stammen noch vom alten Hochaltar der Kirche“, erzählt Zander. Viel mehr sei von dem alten Altar nach dem Bombentreffer im Krieg nicht übrig geblieben. Unter den Kirchenfenstern am Hochaltar zieren zudem große Heiligenfiguren die Wand. Ihre Kleidung und Mäntel sind bunt. „Ursprünglich waren sie nicht farbig“, so Zander. Allerdings: „Früher waren die Kirchen viel bunter, als sie es heute sind.“ Insofern kämen die bemalten Figuren eher an die kirchenhistorischen Originale ran.

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Auf dem Weg zur Wendeltreppe, die Richtung Orgel, Dachstuhl und Kirchturm führt, weist Zander auf den Steinsims hin, der die Kirche auf einigen Metern Höhe umrundet. „Aus architektonischer Sicht ist dieses Kirchengebäude dreistöckig“, sagt er. Das erste Geschoss reicht vom Boden bis zum Sims, der zweite vom Sims bis zum Beginn der Steinbögen. „Der dritte Stock umfasst das Gewölbe und das Dach“, erklärt Zander. Diese Aufteilung sei typisch für Kirchen.

Ein Schaden an der Säule stammt noch aus dem Krieg

Die Wendeltreppe ist eng und die Stufen abgenutzt. Es wird zunehmend staubiger, je weiter es nach oben geht. Angekommen auf der Empore zeigt Zander auf die Orgel der bekannten Baufirma Klais aus dem Jahr 1960. Stolz sei die Gemeinde auf die spanischen Trompeten, die Richtung Hauptschiff ragen. „Sowas hat nicht jede Orgel“, meint Zander. Eugen Gibkes, der in der Gemeindeverwaltung tätig ist, weist auf eine Säule rechts neben der Orgel hin. Deutlich ist hier ein versetzter Stein zu sehen, der hervorragt. „Ein Kriegsschaden“, sagt Gibkes. Bei einer Bombenexplosion habe sich das Kirchendach angehoben und den Stein verschoben haben. Gibkes stellt direkt klar: „Der Stein und die Säule halten die Last weiterhin.“

Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Ein Bombentreffer führte zu dem Schaden an einer Säule. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Auf Zander wartet nun ein kleines Highlight. „Für mich geht es jetzt zum ersten Mal zum Dachstuhl der Kirche“, sagt er und lacht. Ob er seine Aussage bereut? Denn oben angekommen fühlt es sich eher so an, als gäbe es eine finnische Sauna in der Kirche. Die Sommersonne hat den Dachstuhl ordentlich aufgeheizt. Die unzähligen Holzbalken sorgen für den passenden Geruch eines frischen Aufgusses. Doch die dicke Luft täuscht nicht über die beeindruckende Architektur hinweg, die hier geleistet wurde.

Dachstuhl der Kirche ist ein architektonisches Highlight

„Der Dachstuhl wurde wie die gesamte Kirche im Jahr 2000 aufwendig renoviert“, erzählt Gibkes. Ein Steg führt einmal hindurch, um nicht direkt auf den steinernden Kuppeln der Kirchendecke laufen zu müssen. Durch die Lampenschächte kann hier und da auf den Boden geschaut werden. Es ist wirklich sehr hoch, so viel sei gesagt. Zander ist von der hölzernden Architektur angetan. „Sowohl Dachstuhl als auch Gewölbe sind klassisch gehalten.“ Das Besondere: Die Technik habe sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum verändert. „Ein Gewölbe vor 500 Jahren würde genauso aussehen“, behauptet Zander.

Propst Thomas Zander führt durch die Kirche St. Lamberti in Gladbeck
Propst Thomas Zander (r.) und Verwaltungsmitarbeiter Eugen Gibkes bestaunen den Kirchendachstuhl. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Im Vorraum des Dachstuhls führt eine schmale Holztreppe eine Etage höher, fast bis zu den Kirchenglocken. Die Ziegelsteine sind unverputzt, überall liegt Staub in der Luft. „Weiter nach oben dürfen wir heute leider nicht, da die Glockentöne zu laut wären“, sagt Gibkes. Auch ein Schild an der Wand weist auf diese Gefahr hin. Propst Zander zeigt auf die hölzerne Verkleidung an den Fenstern. „So wird der Schall gelenkt“, erklärt er. Danach geht es wieder schnell runter vom Turm. Nicht, dass gleich die Glocken ertönen.

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