Gladbeck. Otto von Bismarck war kein Freund der katholischen Kirche. Trotzdem hängt er in Gladbeck in St. Lamberti. Warum? Da gibt es mehrere Theorien.

Wer aufmerksam durch die St.-Lamberti-Kirche in Gladbeck wandelt, entdeckt sie vielleicht: eine Kuriosität, die so gar nicht in dieses religiöse Umfeld zu passen scheint. Der deutsche „eiserne Kanzler“ Otto von Bismarck blickt mit steinerner Miene auf die Menschen unter ihm herab. Und wirft Rätsel auf. Warum ist der Staatsmann und Politiker hier verewigt? Ausgerechnet in einem katholischen Gotteshaus?

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Nicht nur die Antwort ist mit einem dicken Fragezeichen versehen. Wahrscheinlich weiß überhaupt kaum jemand, dass der erste Kanzler des Deutschen Reiches als Kopf in Stein gemeißelt in St. Lamberti einen Platz gefunden hat. Zwar ziemlich versteckt in einer der hinteren Seitenkapelle, aber immerhin.

Verehrter Reichskanzler oder verhasster Feind der katholischen Kirche?

Grimmig wirkt er, mit zusammengezogenen Brauen über den Augen, die wie zugekniffen wirken. Markant sind Tränensäcke und Kinn gearbeitet, ausgeprägt der gewaltige Schnauzbart. Ist er das denn überhaupt, der Mann, der als Gründer des modernen Sozialstaates Geschichte geschrieben hat? Ja, das ist Otto vom Bismarck, darin sind sich Elke Dißelbeck-Tewes, die Pfarreiarchivarin von St. Lamberti, und der Gladbecker Heimatforscher Heinz Enxing einig.

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Dabei könnte es sich doch durchaus ebenso um eine Persönlichkeit aus Gladbeck handeln, oder etwa nicht? Immerhin sehen auch illustre lokale Größen ewiglich auf das Geschehen in der katholischen Kirche herab. Elke Dißelbeck-Tewes räumt ein:„Es existieren in meinem Archiv leider keinerlei Hinweise darauf, warum in der Gladbecker Kirche ein Bismarck-Kopf zu finden ist. Alles, was ich dazu sagen könnte, wäre reine Spekulation.“

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Doch die Pfarreiarchivarin von St. Lamberti verweist auf Ausführungen von Ludwig Bette, der sich in einem Zeitungsbericht, erschienen am 13. Januar 1954, mit den „geheimnisumwitterten Menschenköpfen“ beschäftigt hat. Zwei fast kreisrunde Räume eingangs der St.-Lamberti-Kirche seien einst als Kapellchen genutzt wurden – daher die Bezeichnung Turmkapellchen. Mittlerweile dienen sie nicht mehr dem ursprünglichen Zweck, seit dem Umbau des Gebäudeinneren anno 1973 handele es sich „gewissermaßen um Vorhallen“.

Fratzen sollen das Böse aus dem katholischen Gladbecker Gotteshaus St. Lamberti vergraulen.
Fratzen sollen das Böse aus dem katholischen Gladbecker Gotteshaus St. Lamberti vergraulen. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

In den Kapellchen befinden sich jeweils sieben Säulenköpfe, künstlerisch wertvolle Arbeiten eines namentlich nicht bekannten Meisters der Bildhauerei, wie Bette einst lobte. Fratzen sind’s: weit aufgerissene Münder, aufgeblähte Nasenlöcher, spitze Ohren. „Sie sollten das Böse abwehren“, erklärt Heinz Enxing. Doch dazwischen befinden sich stumme Zeitzeugen. Wie den beliebten Bauführer Peter Grett. Er war es, so Ludwig Bette, der am 31. Mai 1898 den Wetterhahn unter persönlichem Körpereinsatz auf der Turmspitze in schwindelerregender Höhe von 83 Metern befestigte – indem er das eiserne Federvieh auf den Rücken nahm, den Turmkranz erklomm und seinen tierischen Begleiter höchstselbst gen Himmel beförderte.

Deutlich erkennbar: Dieser Papstkopf sticht stilistisch aus der illustren steinernen St.-Lamberti-Gesellschaft in Gladbeck heraus.
Deutlich erkennbar: Dieser Papstkopf sticht stilistisch aus der illustren steinernen St.-Lamberti-Gesellschaft in Gladbeck heraus. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Übrigens: Eine Frau ist Mitglied der honorigen steinernen Gesellschaft in der Lambertikirche: eine Nonne. Anders als eine Fratze sticht stilistisch ebenfalls ein Säulenkopf heraus, der feiner gearbeitet ist. Heinz Enxing weiß: „Diese Arbeit wurde nach dem Krieg angebracht.“ Wahrscheinlich hat dieser Kopf einen anderen, zerstörten ersetzt. Am Papsthut, so Enxing, sei eindeutig der Pontifex Maximus, das Oberhaupt der katholischen Kirche, identifizierbar. Apropos katholische Kirche.

Einzige Frau unter den Säulenköpfen von St. Lamberti: eine Nonne.
Einzige Frau unter den Säulenköpfen von St. Lamberti: eine Nonne. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Ziehen wir die Verbindung zu Otto von Bismarck, der nicht nur Sozialreformer war. Expertin Elke Dißelbeck-Tewes: „Der Kulturkampf endete nur wenige Jahre vor dem Baubeginn der Lambertikirche. Ich stelle mir vor, dass der Baumeister mit dem Humor des Künstlers Bismarck wegen seiner ablehnenden Haltung zur katholischen Kirche hier verewigt hat, vielleicht in einer ähnlichen Rolle, wie sie die Teufelchen an großen gotischen Kathedralen haben, aber wie gesagt, reine Spekulation.“

Der Gladbecker Heimatforscher Heinz Enxing weiß: „Otto von Bismarck war kein Freund der katholischen Kirche.“
Der Gladbecker Heimatforscher Heinz Enxing weiß: „Otto von Bismarck war kein Freund der katholischen Kirche.“ © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Enxing erzählt: „Bismarck war kein Freund der katholischen Kirche. Deswegen wurde er in vielen Gotteshäusern diffamiert.“ Doch irgendwie wirkt er fehl am Platz im „Marien-Kapellchen“, wo die Fratzen gar nicht so gruselig, sogar ein bisschen lustig wirken – trotz ihrer Riesenohren und ihrer viereckigen Mäuler samt Zähnen. „Bismarck muss hier das Gewölbe tragen und kann sich nicht wehren“, interpretiert der Gladbecker Heimatforscher die Rolle des Politikers, der zu einem der wichtigsten Deutschlands zählt.https://www.waz.de/staedte/gladbeck/was-haelt-junge-gladbecker-noch-in-der-katholischen-kirche-id234688381.html

Doch vielleicht wandeln wir ja bei unseren Erklärungsversuchen für die Anwesenheit des steinernen Reichskanzlers in St. Lamberti auf einem Holzweg. Otto von Bismarck war ein Charakter mit vielerlei Facetten. Als Mann, der durch seine aggressive Politik Preußen an die führende Macht führte, avancierte er zum Volkshelden. Er führte eine Kranken- und Unfallversicherung sowie eine Altersversorgung ein. Wäre da nicht der Kulturkampf, die Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche, die Bismarcks Abbild im Gladbecker Gotteshaus St. Lamberti so verblüffend macht.

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