Essen-Altenessen. Soll man als Bürger Altenessen verlassen? Zwei lange im Stadtteil lebende Paare denken nicht daran und berichten über ihr Leben im Stadtteil.

Vor dem Einfamilien-Reihenhaus blühen noch ein paar Rosen, der Segen der Sternsinger prangt dreifach über der Haustür: Henriette und Gerd Reichert fühlen sich wohl in Altenessen. 1980 wurde ihr Haus gebaut, seitdem leben sie in dem Stadtteil, von dem Thomas Spilker, Chef der FDP im Norden, zuletzt mit klaren Worten abriet - und damit eine heftige, aber vielleicht auch notwendige Debatte auslöste.

Clans und Müllprobleme kennt Reichert nicht aus seiner Nachbarschaft in Altenessen

Die Nachbarschaft sei top, keiner ziehe es in Erwägung wegzuziehen, erzählt Gerd Reichert. Man kenne sich, seitdem die Häuser gebaut wurden, die meisten vertreten die Ansicht: „Mich muss man hier raustragen, von alleine gehe ich nicht.“ Drogengeschäfte, Probleme mit Clans, Vermüllung? Das kennt der 66-Jährige hauptsächlich aus der Zeitung, aber nicht aus seiner Nachbarschaft.

„Ich kann meine Sportschuhe anziehen und von hier direkt bis Zollverein laufen“, schwärmt Reichert, der auch viel mit dem Fahrrad unterwegs ist, ins Allee-Center und zum Schweinemarkt fährt. Die beiden sind Stammkunden beim Herrenausstatter Engeland an der Altenessener Straße, auch der 30-jährige Nachwuchs wird dort eingekleidet. Das Ehepaar Reichert wohnt zwischen Bürgerpark und Nordfriedhof: „Man kann hier super spazieren gehen und ist schnell im Grünen“. Mit Freunden, die im Stadtteil Stadtwald im Süden leben, will er nicht tauschen: zu laut, zu wenige Radwege, zu viel Straßenverkehr. „Da bleibe ich lieber hier.“

Henriette Reichert schätzt die Nähe zu Zeche Carl

Bei der Spielvereinigung Altenessen habe er früher Fußball gespielt, jetzt sei er zu alt für die Alten Herren, übt sich aber weiter in der passiven Mitgliedschaft. Auch Hildegard Reichert will ihr Zuhause nicht eintauschen, geht im Fitnessstudio nahe der Alten Badeanstalt ein und aus und schätzt die Nähe zur Zeche Carl. „Es ist wichtig, mit den anderen zu kommunizieren“, erklärt sie und meint damit auch Migranten, die das Stadtbild an einigen Stellen prägen. Schlechte Erfahrungen habe sie mit denen nicht gemacht.

Gerade an die internationalen Kulturfeste auf der Zeche Carl habe sie tolle Erinnerungen, da bekomme man immer etwas Leckeres auf de Gabel: „Über’s Essen kommt man immer ins Gespräch“, so Reichert, die findet, dass die Deutschen manchmal schlicht überheblich sind.

Ehepaar empfindet Zugezogene als Bereicherung

„Wo wären wir denn ohne die Ausländer?“, fragt die 62-Jährige und erzählt von ihren Erfahrungen als Chefarztsekretärin in einem Düsseldorfer Krankenhaus. Ohne die Migranten könnten solche Häuser den Laden dicht machen. „Die Zugezogenen sind eine Bereicherung, das machen sich manche gar nicht klar.“ Auch Deutsche würden sich nicht immer an Gesetze halten. Dem Marienhospital weint das Paar keine Träne nach. Es sei zuletzt total heruntergekommen und hätte mindestens kernsaniert werden müssen.

Alles schön und gut, rosarot und wunderbar? Ein paar Kritikpunkte führt das Paar dann doch an: Die U-Bahn-Anbindung in die Stadt sei besonders in den Abendstunden schlecht und die vielen Schrottplätze im Stadtteil wären nicht so schön. Doch unterm Strich hätten sie nie bereut, nach Altenessen gezogen zu sein.

Diese Ansicht vertritt das Ehepaar Noreikat auch. Sie wohnen zwischen Stauder- und Köln-Mindener-Straße und sind Ur-Altenessener. Ralf Noreikat ist im Marienhospital geboren, genau wie seine Kinder und Enkelkinder. Er glaubt, Altenessen wird – auch durch die Medien – viel schlechter gemacht als es ist. „Wir fühlen uns wohl hier, haben einen großen Freundeskreis und alles, was wir hier kaufen können, kaufen wir auch hier“, erklärt der 65-jährige Einzelhandelskaufmann, der seinen Stadtteil auch als Privatinvestor aufwertet.

Überzeugter Altenessener sagt: Durchmischung muss besser werden

Ob gefördert oder nicht – die Wohnungen, die er vermietet, seien immer schnell vergeben. Die meisten Mieter zögen innerhalb Altenessens um, hat er beobachtet. Sein Credo: „Mich interessiert nicht die Nationalität, sondern der Mensch.“ Noreikat glaubt, dass der Stadtteil durch hochwertigen Wohnungsbau und mehr Wohneigentum aufgewertet wird. „Die Durchmischung muss besser werden, dafür muss die Stadt den Norden unterstützen.“ Das ein Stadtteil mit mehr Einwohnern auch mehr Probleme habe, sei logisch: „Aus Altenessen wird niemals ein Werden.“

Er selbst habe jedoch noch keine negativen Erfahrungen in Altenessen gemacht, und auch seine Kinder seien ihren Weg gegangen, hätten in Altenessen ihr Abitur gemacht und jetzt „einen super Job“. Auf seinen Stadtteil lässt er nichts kommen und auch seine Frau Henriette schwärmt von den blühenden Kirschbäumen entlang der Altenessener Straße, der Weihnachtsbeleuchtung und der „tollen Atmosphäre“ auf dem kleinen Stadtteil-Weihnachtsmarkt.

Henriette und Ralf Noreikat sind in Altenessen aufgewachsen, genau wie ihre Kinder. Sie lieben ihren Stadtteil und finden, er hat zu unrecht einen schlechten Ruf.
Henriette und Ralf Noreikat sind in Altenessen aufgewachsen, genau wie ihre Kinder. Sie lieben ihren Stadtteil und finden, er hat zu unrecht einen schlechten Ruf. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

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