Essen-Altenessen. Das Marienhospital in Essen ist dicht. Die ambulante Versorgung sieht der Internist Tobias Ohde nicht in Gefahr. Eine Ärztin schlägt aber Alarm.
Wenn Christina Keller-Hufnagel eine Patientin mit einem Knoten in der Brust im Behandlungszimmer sitzen hatte, griff sie bisher nicht selten zum Telefonhörer, um im Marienkrankenhaus anzurufen. „Das war ein kurzer Dienstweg und ich hatte schnell eine zweite Meinung“, erklärt die Gynäkologin. Man kannte sich, man half sich. Nach der Schließung des Marienhospitals muss sie diese und auch andere Patientinnen jetzt in ein anderes Krankenhaus schicken. Längere Wege, mehr Bürokratie, mehr Zeit bis zur endgültigen Diagnose.
Ärztin bezeichnet Krankenhausschließung in Essen als „Irrwitz“
„Ich glaube, auf lange Sicht werden wir im Norden mehr kranke Menschen haben als jetzt“, glaubt Keller-Hufnagel, die die Krankenhausschließung als „Irrwitz“ bezeichnet und kein gutes Wort für den Betreiber Contilia übrig hat. Ambulante Notfälle – wenn zum Beispiel jemand in der Praxis zusammenbricht – könnten nicht mehr so schnell versorgt werden. Der Weg zum nächsten Krankenhaus sei auch für den Krankenwagen weiter. Egal ob nach Gelsenkirchen, Bottrop oder in den Essener Süden: „Da strömt jetzt alles hin“, erklärt die Gynäkologin. Das führe beispielsweise zu vollen Kreißsälen und Schwangeren, die dort abgewiesen werden.
Die Frauenärztin weiß, dass viele ihrer Kolleginnen ihre Praxis und somit ihren Kassensitz in den Süden verlegen: „Da ist die Konkurrenz zwar größer, es ist aber auch lukrativer, weil dort mehr Privatpatienten sind.“ Für Christiane Keller-Hufnagel komme das nicht in Frage: „Ich brenne mit Leib und Seele für den Norden, die Leute müssen versorgt werden.“ Seit 2009 ist die Gynäkologin in Altenessen niedergelassen und merkt, dass die Patientinnen sich oft benachteiligt fühlen und dankbar für die Hilfe sind, die sie bekommen. Oft hätten die Patientinnen nicht das Geld für ein Bahnticket, um eine Praxis im Essener Süden aufzusuchen.
Bedarfsplanung in Essen ist erfüllt
Christopher Schneider, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung, erklärt, dass die gesetzliche Bedarfsplanung von Haus- und Fachärzten in Essen grundsätzlich erfüllt sei. Dieser Versorgungsschlüssel klärt bundesweit, wie viele Ärzte welcher Fachrichtung bei wie vielen Einwohnern in der jeweiligen Stadt ansässig sein müssen. Dabei wird jedoch nicht auf die einzelnen Stadtteile geschaut, da es den Bürgern – besonders im Ruhrgebiet – zuzutrauen sei, mit Bus und Bahn in andere Stadtteile oder auch in angrenzende Städte zu fahren.
Er weiß: „Sobald sich das Versorgungsangebot ändert , empfinden die Bürger das immer erstmal als Verschlechterung.“ Es müsse jedoch keiner in Altenessen Angst haben, nicht versorgt zu werden: „Es kommt allerdings auf die Erwartungshaltung an, was eine gute Versorgung bedeutet.“ Schneider glaubt, dass emotionale Motive eine große Rolle spielen – und da komme man mit objektiven Kriterien nicht gegen an.
Krankenhaus als Wirtschaftsfaktor
Einige Altenessenerinnen sind im Marienhospital zur Welt gekommen und wollten genau dort auch ihre Babys empfangen. Andere haben auch Jahrzehnte lang in dem örtlichen Krankenhaus gearbeitet: „Das Krankenhaus ist ein Wirtschaftsfaktor, der jede Menge Arbeitsplätze bringt“, so Schneider. Die Schließung sei auch auf dieser Ebene ein Verlust für den Stadtteil. Es gehe somit um mehr als die gesundheitliche Versorgung.
Doch um genau darauf noch mal zurückzukommen: Die ambulante Versorgung sieht der Altenessener Internist und Diabetologe Tobias Ohde nicht in Gefahr. „Da wird hervorragend und engagiert gearbeitet, die Kollegen sind gut vernetzt und flexibel“, erklärt Ohde. Die Kommunikation unter den Ärzten sei extrem gut. Derzeit werde viel telefoniert, um die Wege neu zu strukturieren. Ärzte und Patienten müssten sich umgewöhnen. Ohde: „Das ist immer lästig.“
Positionspapier von niedergelassenen Ärzten
Er glaubt, dass viele Fachärzte ihre Patienten in Altenessen zu schätzen wissen: „Das Klientel ist bunt, interessant und macht in der Regel gut mit.“ Zusammen mit zwei Dutzend anderen Fachärzten hat er ein Positionspapier unterschrieben, in dem deutlich wird: „Die Menschen müssen keine Angst um die Gesundheitsversorgung im Essener Norden haben.“
Deutlich wird darin aber auch, dass eine ambulante Versorgung die stationäre nicht ersetzen kann. Ein Krankenhaus mit stationären Strukturen kann man mit einzelnen Arztpraxen nicht vergleichen. Und genau dort würden jetzt Defizite entstehen: „Die stationäre Versorgung sollte im ersten Schritt seitens der beteiligten Krankenhausträger zielorientiert sichergestellt werden und auf den stationären Bereich beschränkt bleiben“, heißt es in dem Papier. Man hätte mit der jetzt geplanten Spezialisierung schon vor zehn Jahren beginnen können, findet Ohde, dann wäre jetzt keine Lücke entstanden.
Der Frust bei den Altenessenern rühre daher, dass keiner genau wisse, wie es mit der stationären Versorgung weitergeht, weil keiner Verantwortung übernehme, weil es an Transparenz mangele und weil von den Verantwortlichen niemand mit den ansässigen Ärzten spreche. Unterm Strich gebe es schlicht und einfach keine Zielorientierung, so Ohde.
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