Essen. Das Marienhospital in Altenessen nimmt jetzt keine Patienten mehr. An der Bude gegenüber werden Erinnerungen wach: „Hier heulen sich alle aus.“

Elvira Witt steht an der Trinkhalle direkt gegenüber vom Marienhospital in Altenessen. „1974 ist unsere Silke in dem Krankenhaus geboren“, erinnert sie sich. Die 71-Jährige hat später in genau dieser Bude an der Hospitalstraße Eis, Blumen und gemischte Tüten verkauft – auch an Ärzte, Krankenschwestern, Besucher und Patienten. „Meine Hebamme hat direkt hier in der Nachbarschaft gewohnt.“

Letzte Erinnerung auf dem leer gefegten Parkplatz

Die Geburtsstation des Marienhospitals ist schon seit dem 1. September diesen Jahres geschlossen. Die letzte Erinnerung ist das Storchenschild auf dem leer gefegten Parkplatz: „Parken nur für werdende Eltern“, heißt es dort. Die müssen allerdings jetzt das Elisabeth-Krankenhaus rund 20 Auto-Minuten weiter südlich ansteuern, nördlich der A40 sind in Essen keine Krankenhaus-Entbindungen mehr möglich.

Gleiches gilt für alle anderen Patienten: Ab heute wird im Marienhospital niemand mehr aufgenommen. Das Krankenhaus schließt. Der Krankenhausbetreiber Contilia führt wirtschaftliche Gründe an. „Man sieht kaum noch Licht“, sagt Arno Mahler. Auch er steht an der Bude und meint damit, dass die Patienten-Zimmer nicht mehr erleuchtet sind.

OB will sich weiter für ein „zukunftsfähiges Konzept“ einsetzen

Wer die Proteste und das politische Gerangel um die Schließung verfolgt hat, kann diese Aussage jedoch auch im doppelten Sinne verstehen. Bürger hatten mit Transparenten gegen die Schließung protestiert, sie fühlen sich im Essener Norden abgehängt. Ein Bürgerbegehren ist geplant. Die Stadt überlegt, ob und wenn ja in welcher Form sie den Krankenhausbetrieb weiterführen kann. Oberbürgermeister Thomas Kufen will sich jetzt für ein zukunftsfähiges Konzept für den Standort und die medizinische Versorgung der Bürger einsetzen – was immer das genau am Ende heißt.

In der Zwischenzeit werden jedoch weitere Operationen fällig, Patienten müssen behandelt werden - das allerdings nicht mehr in Altenessen, sondern ab sofort in Borbeck. Das dortige Philippusstift soll künftig „Herz der stationären medizinischen Versorgung im Norden sein“, heißt es von Seiten der Contilia.

Die Trinkhalle gegenüber vom Marienhospital öffnet in den nächsten Tagen wieder. Ärzte, Pflegepersonal und Patienten werden dann dort keine gemischte Tüte mehr kaufen.
Die Trinkhalle gegenüber vom Marienhospital öffnet in den nächsten Tagen wieder. Ärzte, Pflegepersonal und Patienten werden dann dort keine gemischte Tüte mehr kaufen. © Müller

„Ich hätte heulen können, als ich das gehört habe“, sagt Elvira Witt im schönsten Ruhrpott-Deutsch. Die Ärzte im Essener Norden seien komplett überlastet und ein Krankenhaus in Zeiten von Corona zu schließen sei einfach ein Unding. Der ganze Stadtteil würde darunter leiden.

„Die Schließung ist großer Mist“, heißt es an der Bude

„Die Schließung ist großer Mist“, bekräftigt auch Arno Mahler. Er selbst lag 1984 in einem der Operationssäle, in denen in diesen Tagen die letzten Patienten in Narkose versetzt wurden. „Ein Totalschaden im Knie“, erinnert sich Mahler, der danach trotzdem wieder auf den Fußballplätzen in Karnap, Altenessen und Vogelheim stand. „Die haben das gut gemacht“, sagt der heute 58-Jährige und schaut auf die andere Straßenseite zum Krankenhaus.

Dort lief zuletzt alles auf Sparflamme. Feuerwehr und Rettungsdienste sind das Marienhospital in den vergangenen Wochen nicht mehr angefahren. Im Eingangsbereich hängt ein großer Zettel, der die Patienten über die Schließung informiert. Rein darf sowieso nur, wer erst an der Pforte schellt und dann eine gute Erklärung vorbringt. Das hat allerdings mehr mit Corona als mit der Schließung zu tun. Auf dem Parkplatz liegt viel nasses Laub, nur ein einziges Auto steht dort. Der weiße Opel Corsa des diensthabenden Notarztes.

Die meisten Mitarbeiter sind schon auf andere Standorte verteilt

Die Zentrale Notaufnahme und der Empfang inklusive eines Infopoints sowie die ambulante Physiotherapie werden auch nach dem 1. Oktober betrieben (siehe Box). Auch die Notdienstpraxis soll erhalten werden. Für diesen reduzierten Betrieb wird allerdings deutlich weniger Personal benötigt. Die meisten Krankenhaus-Mitarbeiter wurden auf die anderen Contilia-Klinikstandorte verteilt. Alle? Offiziell heißt es aus der Contilia-Pressestelle: „In enger Abstimmung mit den Fachabteilungen finalisieren wir eine Gesamtpersonalplanung aller Bereiche. Persönliche Wünsche und Vorstellungen unserer Mitarbeiter versuchen wir – gegebenenfalls auch innerhalb der Contilia-Gruppe – zu berücksichtigen.“

Arno Mahler wohnt seit Jahrzehnten in der direkten Nachbarschaft. Seine Frau Susanne wird die Trinkhalle in den nächsten Tagen übernehmen. Zuletzt war die Bude ein paar Wochen geschlossen - Inhaberwechsel. Mahler weiß, dass nicht alle aus dem Pflegepersonal an andere Standorte vermittelt werden konnten. Manche hätten sich auch woanders beworben, müssten jetzt bis nach Gelsenkirchen pendeln.

„Hier an der Bude heulen sich alle aus“

Das Krankenhaus bleibt ab dem heutigen Donnerstag geschlossen, die Trinkhalle aber öffnet dann wieder. Auch die neue Inhaberin, Susanne Mahler will Eis, gemischte Tüten und Blumen verkaufen, dann aber an Leute aus der Nachbarschaft und nicht mehr an Ärzte, Krankenpflegepersonal und Patienten. Die 56-Jährige ist dennoch guter Dinge und weiß aus Erfahrung: „Hier an der Bude heulen sich alle aus.“

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Zentrale Notaufnahme bleibt

Patienten, die fußläufig im Marienhospital Altenessen vorsprechen, sollen vorübergehend an einem Infoschalter im Eingangsbereich informiert werden. Zudem will Contilia bei Bedarf Fahrten in die anderen Krankenhäuser des Trägers organisieren. Auch telefonisch unter 0201 6400-1310 oder per E-Mail an info@kk-essen.de will man Rede und Antwort stehen.

Die KV-Notfallpraxis soll ihre Arbeit am Standort Marienhospital fortführen. Auch die Zentrale Notaufnahme des Krankenhauses bleibt rund um die Uhr geöffnet.

Stationäre Aufnahmen im St. Vincenz-Krankenhauses in Stoppenberg sind ebenfalls nur eine Lösung auf Zeit, denn auch diese Klinik soll spätestens zum Jahresende schließen.