Essen. Die Integration sei dauerhaft gescheitert, glaubt Thomas Spilker, Vorsitzender der FDP im Essener Norden. Es sei ratsam, Konsequenzen zu ziehen.
Sind die Zustände in Altenessen mittlerweile so schlimm, dass Wegzug anzuraten ist? Als Reaktion auf unsere Schwerpunkt-Berichterstattung über Altenessen , in der es um die Probleme und Chancen des Stadtteils geht, rät Thomas Spilker, Vorsitzender der FDP im Essener Norden, genau dazu: „Ich empfehle jedem, hier wegzuziehen, weil die Politik keine Änderung will“, so Spilker im Rahmen einer Diskussion auf der Internet-Plattform Facebook. Spilker hält vor allem die Integration für gescheitert, da es zwischen der Anzahl von Neu-Bürgern und Alteingesessenen kein ausgewogenes Verhältnis mehr gebe. „Darum ziehen die Altenessener weg. Die Heimat verkümmert“, so der FDP-Politiker.
Die Parteien im Stadtrat seien nicht wirklich am Essener Norden interessiert
Spilker, der selbst Altenessener ist und dort auch lebt, hielt seine These auch auf Nachfrage aufrecht. Wie sehr die Essener Stadtpolitik den Norden aufgegeben habe, zeige auch die Krankenhausschließung, die nur vor Ort nennenswerte Proteste hervorgerufen hätte , nicht aber in anderen Teilen von Essen oder unter den Politikern im Rat der Stadt. „Das geht querbeet durch alle Fraktionen“, so Spilker, der seine eigene FDP somit nicht ausnimmt. „Es stellt sich doch wirklich die Frage, welche Ratsmitglieder sich für den Norden einsetzen.“
Die These ist radikal, aber auch andere Politiker haben resigniert, etwa der frühere stellvertretende Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Karl-Heinz Endruschat , wie Spilker ebenfalls Altenessener Bürger. Wieder andere, zum Beispiel der Bezirksbürgermeister Hans-Wilhelm Zwiehoff (SPD), betonen, die Vielfalt sei auch eine Chance, die es zu nutzen gelte. „Wenn die Leute in anderen Stadtteilen mich fragen, warum ich in Altenessen wohne, lade ich die zu mir ein. Dann reißen die die Augen auf und sehen, wie schön es hier ist“, betont Zwiehoff.
Auch Awo-Sozialarbeiter beklagt zu große Integrationslasten für den Norden
Klare Worte kommen auch von Thomas Rüth, der seit 30 Jahren als Sozialarbeiter in Diensten der Arbeiterwohlfahrt im Essener Norden tätig ist und darüber so etwas wie eine Institution wurde. „Es braucht kein hohes Maß an Empathie, um zu verstehen, dass sich die Menschen in Altenessen abgehängt fühlen“, sagt Rüth in einer Stellungnahme.
Neben dem aktuellen Fall der Krankenhaus-Schließungen bemängelt er vor allem eine zu große Integrationsbürde, bei der man Altenessen allein lasse: „Die Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft zur Integration von Zuwanderern in den zunehmend überforderten nördlichen Stadtteilen geht immer mehr verloren.“
Besorgniserregende Entwicklung bei der Clan-Kriminalität
Aktuell bestätigen sich die besorgniserregenden Entwicklungen, dass Asylsuchende aus Syrien und dem Irak zunehmend in die Geschäftswelt der kriminellen arabischstämmigen Familienverbände eindringen würden, bemerkt Rüth. Die Politik dürfe keine Zeit mehr verlieren. „Der Norden der Stadt kann es sich nicht leisten, eine weitere Generation Kinder nicht zu integrieren.“
Die Entwicklungen in den Nord-Stadtteilen zeigten insbesondere, „dass Rechtsradikalismus, Extremismus und religiös oder ideologisch legitimierte Menschenfeindlichkeit eine zunehmende Herausforderung für die Zivilgesellschaft darstellen“, stellt Rüth fest. Der Extremismus von Rechts, Links sowie durch religiös motivierte Gruppen schüre zusätzliche Ängste. „Auf der anderen Seite gibt es gleichzeitig erfreulicherweise eine durchaus hoch engagierte Bürgergesellschaft, die sich gegen diese Entwicklungen positioniert, sich für Ihr Gemeinwesen in Altenessen einsetzt.“ Diese Menschen gelte es dauerhaft zu unterstützen und zu motivieren. „Wenn wir diese engagierten Menschen verlieren, verlieren wir Stadtteile wie Altenessen.“
Spott über das Projekte-Karussell in der Sozialarbeit, das konzentrierte Arbeit behindere
Erneut macht der Awo-Mann deutlich , dass in dieser Lage bei der Sozialarbeit Kontinuität und verlässliche Finanzierungen nötig seien. Kurzfristige Projekte und Förderprogramme brächten wenig und machten viel Arbeit, da die Antragsbürokratien bedient werden müssten. Hier seien „unsägliche prosaische Worthülsen von Qualität, Originalität und Modellcharakter, Leuchtturmprojekte, Vernetzung etc.“ notwendig, spottet Rüth.
Mit „stereotypen Floskeln und Formulierungen“ hätten Antragssteller nachzuweisen, „dass sie durch eigene Vorarbeiten ein Thema beherrschen und prognostizieren können, wann konkrete Ergebnisse zu erwarten sind, ohne dass sie dabei den Eindruck erwecken dürfen, dass ihnen die Ergebnisse unter Umständen schon bekannt sind“.
Statt solcher Zeit- und Geldverschwendung wäre es weit besser, Fachkräften eine unbefristete Perspektive zu bieten. „Das beschränkt sich nicht nur auf die Ansätze sozialer Arbeit, sondern insbesondere auf die Ausstattung der Polizei und anderer Sicherheitsbehörden.“ Es sei ein Irrtum zu glauben, dass ein oder zwei Sozialarbeiter mehr das Problem schon regeln könnten. „Eines macht die aktuelle Entwicklung um die sogenannten Clans deutlich: Bevor die Repression nicht richtig greift, wird die Prävention nicht gelingen.“