Bottrop. Gewalt, Unachtsamkeit: Meist sind es Menschen, die Leid verursachen. Davon erzählen viele Geschichten im alten Jahr. Aber es gab auch Positives.
Skandale über Missbrauch in der katholischen, später auch in der evangelischen Kirche lösten eine wahre Flut von Untersuchungen über Misshandlungen Schutzbefohlener aus. In den Blick der Aufarbeitung und der Öffentlichkeit gerieten zunehmend auch Institutionen wie Schulen, Vereine, aber auch die vielen Kinderkurheime, denen Eltern ihre Kinder anvertrauten. Das Vestische Kinderheim auf Norderney oder das Bottroper Haus Waldbreitbach waren – nicht erst nach heutigen Maßstäben – auch Tatorte.
Kindererholungsheime waren auch für viele Bottroperinnen und Bottroper eher Orte des Schreckens
Auch Bottroperinnen wie Elke Chmiel berichteten gegenüber der WAZ, wie sie als so genannte Verschickungskinder in Heimen gemästet wurden, denn dünn wurde damals gleichgesetzt mit krank, sich nicht bewegen sollten, um ja kein Kilo zu verlieren oder teils drakonische Strafen über sich ergehen lassen mussten.
Es waren fast immer ähnliche Muster, nach denen in Häusern wie dem Vestischen Kinderheim auf Norderney, in Bad Oeynhausen oder im Heim der Stadt Bottrop in Waldbreitbach verfahren wurde. Bei vielen Kindern von damals haben sich die schrecklichen Erlebnisse bis heute eingegraben. Inzwischen hat auch die Stadt Bottrop angefangen, die Ereignisse von damals aufzuarbeiten und möglichst Hilfe anzubieten.
Jugendlicher wird an der Schule gemobbt, geschlagen und hat sogar Angst um sein Leben
Eine andere, sehr heutige, Art von Gewalt und Mobbing hat der Teenager Lenny an einer Bottroper Förderschule erlebt. Der Junge, der an atypischem Autismus, unter anderem mit einer Lese-Rechtschreibschwäche, leidet, ist von anderen Jugendlichen nicht nur verbal, sondern vor allem auch körperlich angegangen worden. Mit einem Stock, einem Eisentor und anderen „Waffen“ haben Mitschüler ihn zum Teil so verletzt, dass er und seine Familie zuweilen Angst um sein Überleben hatten.
Das ganz Tragische an dieser an sich schon erschütternden Geschichte von Unverständnis und brutaler Gewalt ist, dass Lenny eine Schule, an der klargekommen ist und wo seinen Bedürfnissen Rechnung getragen wurde, wegen seines Förderschwerpunktes nicht besuchen kann. Seit mehr als einem Jahr besucht er keinen Unterricht. Nach der WAZ-Berichterstattung sucht das Bottroper Jugendamt mit der Familie nach einer Lösung.
Nach Unfalltod: Persönliche Dinge des Bottroper Opfers verschwinden in der Essener Uniklinik
Eine andere Art von menschlichem Versagen hat der Bottroper Achim Kubiak gleich doppelt erlebt. Als sein Bruder durch einen Unfall in einem Oldtimer-Kleinwagen im Bereich einer Auffahrt der A2 schwer verletzt wird, muss der ins Essener Uniklinikum eingeliefert werden. Dort kämpfen die Ärzte um das Leben von Thomas Kubiak – vergeblich. Sein Bruder Achim versucht wenigstens, dessen Firma zu retten.
Dafür braucht er unter anderem die Schlüssel für die Firmenfahrzeuge. Die sind aber im Klinikum verschwunden. Dort gibt man sich der Familie gegenüber unwissend. Nach wiederholter Nachfrage gibt das Krankenhaus zu, eine Dokumentation über die verlorenen Dinge zu haben, verweigert der Familie aber die Einsicht. Später heißt es von dort: „Nicht auffindbar.“ Der Familie wird eine Entschädigung durch die Versicherung der Klinik in Aussicht gestellt. Immerhin: Das Handy des Toten findet ein Sanitäter im Rettungswagen und bringt es dem Bruder vorbei. Eine fast unglaubliche Geschichte.
Schicksal der schwerkranken Manuela bewegt die Stadt – große Hilfsbereitschaft bis zum Ende
Unzählige Leserinnen und Leser haben das Schicksal der an Blutkrebs erkrankten 39-jährigen Manuela mitverfolgt. Ein absoluter Familienmensch, stets einfühlsam und hilfsbereit: So wird die Bottroperin beschrieben, die nun selbst Hilfe brauchte – eine passende Stammzellenspende. WAZ und viele andere, darunter auch die Leute vom Bottcast, helfen durch Aufrufe.
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Ein Spender wird gefunden. Die Familie, vor allem Manuelas Ehemann und die Tochter, schöpfen neue Hoffnung. Doch im November 2024 heißt es: Manuela hat den Kampf gegen die Leukämie verloren, sie stirbt. Die Hilfs- und Spendenbereitschaft für die Familie ist überwältigend. Mehr als 2000 Menschen bringen über die Plattform „Gofundme“ über 63.000 Euro zusammen. Bei aller Trauer ein wunderbares Zeichen von Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt in Bottrop.
Zwei Schwestern erleben den blanken Horror im Pflegeheim ihrer hochbetagten Mutter
Eine Geschichte von menschlichem Versagen und auch mangelnder Kontrolle in einem Bottroper Pflegeheim hat im zu Ende gehenden Jahr viele Menschen aufmerksam gemacht. Zwei Schwestern berichten nicht nur von technischen Mängeln im Fuhlenbrocker Awo-Haus. Was Beate Görke und Monika Schuster an Pflegemissständen bei ihrer 93-jährigen Mutter erleben, hat die Frauen so erschüttert, dass sie sich an die WAZ wenden.
Eine falsch oder nicht behandelte Beinwunde nach einer Operation bringt die alte Dame, zunächst in der Kurzzeitpflge, in ernste Gefahr. Die Chronik der Töchter zwischen Mai und August liest sich wie das Horrorszenario eines auch durch Personalmangel an seine Grenzen stoßenden Gesundheits- und Pflegesystems.
Nicht gewechselte Verbände, sich einstellender Verwesungsgeruch im Zimmer, erst nach zwei Tagen gewechselte Hygieneartikel, erstmaliges Duschen der Mutter nach über zwei Monaten, defekte Fernseher, eine herabgestürzte Zimmerdecke: Die Berichte lösen auch bei Menschen, die selbst oder deren Angehörige noch nicht pflegebedürftig sind, erschrecktes Kopfschütteln aus. Sieht so etwa die Zukunft in einem der teuersten Pflegesysteme der Welt aus?
Bottrops Prinz Karneval macht seiner Liebsten vor dem Sturm aufs Rathaus einen Heiratsantrag
Es gibt aber immer wieder auch schöne, überraschende und positive Geschichten, die Leserinnen und Leser 2024 gerne in ihrer Zeitung gelesen haben. Einen so großen Rahmen und vor allem so viele Zeugen für den eigenen Heiratsantrag, wie im Februar Karnevalsprinz Heiko II. sie hat, ist schon außergewöhnlich. Er fragt im Beisein von Stadtprinzessin Melanie I. seine Freundin Anja noch vor dem Rathaussturm, ob sie seine Frau werden wolle.
Sogar den Verlobungsring hatte Heiko II. von der KKG, mit bürgerlichem Namen Heiko Kilian, dabei. Den holt er auf der Rathaus-Bühne aus einem roten Kästchen und steckt ihn seiner gerührten Anja an den Finger. Das „Ja“ folgt prompt, begleitet „Salutschüssen“ der Konfettikanone, Küssen und einem Tusch.
Schicksalsschlag im Kollegenkreis steht am Anfang einer sportlichen Spendenaktion
Wie ein Schicksalsschlag und sogar der Tod für andere etwas Gutes auslösen kann, zeigt die große Spendensumme, die Achim Heilmann im September mit seine Benefiz-Radtour quer durch Deutschland zusammen bekommt. Als der Co-Geschäftsführer der Bottroper Firma Seibel und Weyer den Tod der 46 Jahre alten Ehefrau seines Kollegen miterleben muss, wächst in ihm der Gedanke, etwas Gutes zu tun.
Er setzt sich aufs Rad, absolvierte in elf Tagen 1266 Kilometer von Sylt bis ins bayrische Oberstdorf, um mit dieser Spendentour vom nördlichsten bis zum südlichsten Punkt Deutschlands Aufmerksamkeit für das Thema Organspende zu wecken. Die Aufmerksamkeit durch Medien und Social Media ist ihm gewiss. Es wird regelmäßig berichtet und gepostet.
Am Ende kommen über 55.000 Euro für den Verein „Kinderhilfe Organtransplantation“ (KIO)zusammen, mehr als 21.000 Euro allein von den rund 300 Kolleginnen und Kollegen des Betriebes an der Weusterstraße. Im Oktober 2024 wird die stolze Summe dann an die KIO übergeben.
Bottroperin erzählt die Geschichte von Erol Disbudak: Der wird so zum „Busfahrer des Jahres 2024“
Am Ende des Jahres und dieser WAZ-Geschichten, die für viele emotionale, tragische aber auch schöne Ereignisse stehen, noch eine Episode die zeigt, wie eigentlich selbstverständliches Verhalten im Alltag Positives bewirken kann: Kurz vor Weihnachten erhält Erol Disbudak die Auszeichnung „Busfahrer des Jahres 2024“.
Der Titel wird vom Fahrgastverband Pro Bahn, DB Regio, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und dem Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen verliehen. Auslöserin für die Preisvergabe ist die Bottroperin Melike Ciftci, die in der Buslinie 91 so davon begeistert war, wie Erol Disbudak sich um einen offensichtlich geistig beeinträchtigten jungen Mann gekümmert hat.
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Als sie den Aufruf für den Wettbewerb sieht, zeichnet sie die Situation auf und leitet sie ohne Wissen des Busfahrers weiter. „Es hat den Richtigen getroffen“, sagt auch Philipp Urban von der Firma Urban-Reisen, für die Erol Disbudak seit 15 Jahren fährt. Der steht damit für unzählige „Helden des Alltags“, die eigentlich Selbstverständliches auch wie selbstverständlich tun.