Bottrop. Auch in dem Kirchenkreis, zu dem Bottrop gehört, hat es Fälle von Missbrauch gegeben. Welche das sind und was jetzt zur Prävention getan wird.
Die gerade veröffentlichte deutschlandweite Forum-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche mit 2225 Opfer und 1295 mutmaßlichen Tätern rückt auch die hiesigen Gemeinden in den Blick. Ja, es hat auch hier Missbrauchsfälle in früheren Jahren gegeben, wie jetzt Superintendent Steffen Riesenberg und Geistliche der drei Gemeinden bei einer Pressekonferenz bestätigten. Drei Fälle sind dokumentiert, zwei Täter wurden verurteilt, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter bekam lediglich Hausverbot, nachdem die erwachsene Betroffene auf eine Anzeige verzichtet hatte. Dazu zwei ältere Fälle bei der Diakonie.
Bei den beiden ersten Fällen, einer aus den 70er, der andere aus den 2000er Jahren, waren Kirchenmusiker die Täter. Im älteren Fall verbüßte der inzwischen verstorbene Täter eine Haftstrafe, kehrte danach aber wieder in den Kirchenkreis zurück, ohne jedoch eine Tätigkeit in einer Gemeinde auszuüben. Im anderen Fall erhielt der Täter eine Bewährungsstrafe, zuvor sei das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden und der Mann sei danach weder beim Kirchenkreis noch in den Gemeinden tätig gewesen, so Superintendent Steffen Riesenberg.
Kein Aufatmen, weil es „nur“ drei Fälle gab. Jeder einzelne Missbrauchsfall ist schon zuviel
Nein, es habe kein Aufatmen gegeben, weil es „nur“ drei Fälle gegeben habe und darunter auch kein Täter mit geistlichem Amt gewesen sei, so der Tenor auch der anderen Pfarrer, Dieter Naumann und Michael Hoffmann, Vorsitzende des Presbyteriums der Bottroper evangelischen Gemeinde. Nicht zuletzt habe die Forum-Studie und die einzelnen Fälle vor Ort gezeigt: Die evanglische Kirche sei im Vergleich zur katholischen auch nicht die bessere Kirche.
Eine These, die so auch vor einigen Tagen die Mitwirkende an der Studie aufseiten der Opfer, Katharina Kracht, mehrfach vorgebracht hatte. Sie war als Konfirmandin von ihrem Pfarrer missbraucht worden, der sich zudem auch an seinen eigenen Kindern vergangen hatte. Da hätten Lebensformen wie der Zölibat, der gerne als plakativer Grund für sexuellen Missbrauch angeführt würde, ganz sicher keine Rolle gespielt.
Vielmehr geht es um Ordnungen und Mechanismen der verfassten Kirche, aber auch typisch evangelisches Empfinden von Harmonie, wirklicher oder vermeintlicher Gleichberechtigung, die durch die Öffentlichmachung von Straftaten gestört würde. So jedenfalls ein mehrschichtiges Bild aus Stimmungen und Fakten. Auch die alten Fälle seien nicht öffentlich gemacht worden, so der Superintendent. „Die Forum-Studie zeigt es in aller Deutlichkeit: Wir waren viel zu lange nicht ehrlich mit uns selbst.“
Die evangelische Kirche habe sich auf ihr progressives Image verlassen und nicht wahrhaben wollen, dass sie über Jahrzehnte Strukturen aufgebaut und gepflegt habe, die sexualisierte Gewalt möglich machten, Täter schützten und Aufarbeitung erschwerten, so Steffen Riesenberg.
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Und: „Natürlich können wir nicht ausschließen, dass es auch hier in den drei Gemeinden des Kirchenkreises mehr Opfer oder auch mehr Täter gab, allerdings gibt es derzeit keine weiteren erhärteten Verdachtsfälle.“ Insgesamt sind 30 Pfarrerinnen und Pfarrer sowie rund 900 hauptamtlich Mitarbeitende im Kirchenkreis beschäftigt. Rechnet man die Diakonie mit ihren verschiedenen Einrichtungen dazu, kommt man auf über 2000 Angestellte im Kirchenkreis.
Nun setzt man auch in der evangelischen Kirche auf Prävention, Transparenz und ein niederschwelliges Meldesystem, das möglichen Opfern hilft, anstatt sie noch weiter (oder durch bürokratische Hürden erneut) zu belasten. „Man sieht nicht nur durch die Studie, wie wichtig Vorbeugung ist“, sagt Gitta Werring, Präventionsfachfrau im Kirchenkreis mit Büro in Bottrop. Alle Mitarbeitenden müssten schon seit einigen Jahren bei Dienstantritt und dann alle fünf Jahre ein Erweitertes Führungszeugnis vorlegen, sogar feste Ehrenamtliche. „Wer einschlägig vorverurteilt ist, kann bei der Kirche nicht mehr mitarbeiten“, so Gitta Werring weiter.
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Es wurde festgelegt, dass jede kirchliche Körperschaft bis zum Sommer in einem Schutzkonzept konkret beschreiben muss, wie sie präventiv gegen sexualisierte Gewalt arbeitet und was sie bei möglichen Fällen konkret unternehmen will. Außerdem werden sukzessive alle Mitarbeitenden und Mitglieder von Leitungsgremien geschult.
Ob man trotz Studie und betonter Transparenz wieder eine Austrittswelle befürchtet? Schwer zu sagen, so die Pfarrer. Bislang habe es immer vermehrt Austritte gegeben, egal, ob es sich um Skandale oder Äußerungen der jeweils eigenen oder der Schwesterkirche gehandelt habe.
Beratungsstellen der evangelischen Kirche in Stadt und Region
An diese Stellen und Personen der evangelischen Kirche können sich Betroffene oder Ratsuchende in Missbrauchsfällen wenden: Zentrale Anlaufstelle von Kirche und Diakonie: anlaufstelle.help oder 0800 5040112. Die Beratung ist unabhängig, anonym und unterliegt der Schweigepflicht. Ansprechstelle der Ev. Kirche von Westfalen: daniela.fricke@ekvw.de oder 0521 594-308. Präventionsfachstelle des Ev. Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten: gitta.werring@ekvw.de oder 02041 3170-30.