Bottrop. Im Mai kam ihr Mutter in ein Bottroper Seniorenzentrum. Hier berichten die zwei Schwestern, welche Missstände dort herrschen sollen.
Im Seniorenzentrum funktioniert seit Wochen der Fernseher nicht. Mit dieser Beschwerde richteten sich die beiden Töchter der 93-jährigen Barbara Machura an unsere Redaktion. Was wie eine Lappalie klingt, stellte sich im Gespräch mit Beate Görke und Monika Schuster dann eher als der Tropfen heraus, der das Fass zum Überlaufen brachte. Glaubt man ihrem Bericht, funktioniert einiges mehr nicht im Altenpflegeheim. „Wir wussten uns nicht mehr zu helfen“, sagt Görke.
Alles fing mit einem Sturz ihrer Mutter an. Nach der OP im Krankenhaus wird sie zur Kurzzeitpflege im Seniorenzentrum Fuhlenbrock untergebracht. Die von der Awo betriebene Einrichtung war die einzige, die ein Bett freihatte, sagen die Töchter, die nun schwere Vorwürfe gegen die für die Pflege Verantwortlichen erheben. Die Töchter schildern die Ereignisse, die sie zuvor schriftlich mit Datum festgehalten haben, wie folgt.
15. Mai: Erste Kurzzeitpflege nach einer Bein-Operation
In der Woche vor Pfingsten wird Barbara Machura aus dem Krankenhaus entlassen. Nach einem Sturz, bei dem sie sich zu Hause eine große Platzwunde zuzog, wurde sie am Bein notoperiert, danach erfolgte eine Hauttransplantation zur Unterstützung der Wundheilung. Am Mittwoch, 15. Mai, wird Frau Machura dann zur Kurzzeitpflege im Seniorenzentrum Fuhlenbrock aufgenommen. Für den Fall, dass dort ärztliche Unterstützung benötigt wird, hat man mit der Einrichtungsleiterin vereinbart, einen Allgemeinmediziner aus dem Viertel hinzuzuziehen.
Auch Beate Görke sagt ihre Hilfe zu, falls Medikamente, Material zu Wundversorgung und dergleichen fehlen sollte: „Sagen Sie mir Bescheid, wenn etwas fehlt.“ Als Frau Machura aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hat die Wunde gut ausgesehen, zur Sicherheit hat man im Krankenhaus noch einen Abstrich gemacht, der keinen Befund ergab.
20. Mai: Im Raum riecht es nach Verwesung
Fünf Tage später, am Pfingstmontag, besucht Beate Görke ihre Mutter. Sie findet die Frau schwer zitternd in ihrem Bett auf. Im Raum riecht es nach Verwesung. Görke schaute sich die Wunde an. Die ist offenbar entzündet und nässt so stark, dass sich unter dem Bett bereits eine kleine Pfütze gebildet hatte. Umgehend wird Frau Machura in ein Bottroper Krankenhaus überstellt.
In der Notaufnahme hat zufällig die Ärztin Dienst, die Frau Machura fünf Tage zuvor entlassen hat. Sie erkennt die Patientin und deren Töchter, sie ist überrascht und grüßt herzlich. Groß ist ihre Überraschung, als sie die Wunde zu Gesicht bekommt. „Das gibt es nicht, wie kann man das so versauen“, ist ihre Reaktion. Die noch aus dem Krankenhaus stammenden Kompressen müssen nun einzeln aus dem Gewebe gelöst werden, Frau Machura schreit vor Schmerzen. „Das war wirklich in letzter Minute“, so die Einschätzung der Ärztin.
Pflegeleiterin soll mit Personalnot argumentiert haben
Wie konnte es dazu innerhalb von nur fünf Tagen kommen? Frau Görke sagt, die Wunde ist im Seniorenzentrum, wenn überhaupt, nur notdürftig versorgt worden. Eine Pflegerin habe sich damit entschuldigt, dass man kein Material zur Wundversorgung gehabt hat. Die Pflegedienstleiterin bestätigt dies, wendet jedoch ein, die Pflegerin hätte sich an sie wenden müssen.
Mehrfach hat sich die Pflegedienstleitung später bei beiden Töchtern von Frau Machura entschuldigt. Vor kurzem habe eine Pflegerin das Haus verlassen – nicht irgendjemand, sondern die beste–, obendrein habe sie noch eine zweite Kraft mitgenommen, erklärte die Pflegeleiterin. Sie habe mit einem nie dagewesenen Personalnotstand zu kämpfen. „Die war schon verzweifelt“, erinnert sich Monika Schuster. „Dass sie so offen mit uns war, und das erzählt hat, das hat uns schon überrascht.“
26. Juni: Fünf weitere Operationen unter Narkose überstanden
Am 26. Juni wird Frau Machura nach fünfeinhalb Wochen wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Fünf weitere Operationen unter Narkose musste sie über sich ergehen lassen. Sie hat Glück gehabt: Ihr Bein konnte sie behalten. „Das hätte man Mutter alles ersparen können, wenn die Wunde versorgt worden wäre“, ist sich Monika Schuster sicher.
Barbara Machura erholt sich allmählich von den Operationen. Dann stellen sich jedoch Panikattacken ein, sagt Görke. Ihre Mutter habe sich nicht mehr hinlegen wollen. Statt im Bett habe sie immer öfter im Sessel geschlafen.
Glück im Unglück als im Zimmer ein Teil der Decke herunterkommt
Bei einem Arzttermin kollabiert Barbara Machura. Zurück im Seniorenzentrum stellt ein Pfleger bei ihr einen Puls von 36 fest. Sie wird noch am selben Tag in die kardiologische Abteilung eines Bottroper Krankenhauses eingeliefert. Vier Tage später soll sie ohne Befund wieder entlassen werden. Nur auf Drängen von Beate Görke wird sie geröntgt. Sie vermutet Wasser in der Lunge ihrer Mutter und behält recht. Acht Liter werden aus der Lunge ihrer Mutter gelassen.
Die Patientin bleibt noch eine Woche in der Kardiologie. Währenddessen erhält Beate Görke einen Anruf vom Seniorenzentrum. Ein Teil der Decke im Zimmer von Frau Machura sei heruntergefallen. Ein Glück, dass sie gerade nicht anwesend war. Beate Görke hat sich das Zimmer später, gegen den Widerstand des Personals, angeschaut. Sie beschreibt ein mehrere Zentimeter dickes Stück Putz, ein bis zwei Meter im Durchmesser, das vor dem Fernseher zu Boden gegangen ist.
28. Juli: Seit zwei Tagen die gleiche Windel
Am 26. Juli kommt Frau Machura zurück ins Seniorenzentrum. Zwei Tage später hat sie immer noch die Windel an, mit der sie gekommen ist. Barbara Machura habe auf Veranlassung von Monika Schuster dann eine neue bekommen, sei aber nicht gewaschen worden. Die Pflegekraft entschuldigte sich damit, keine Zeit zu haben.
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Frau Machura bekommt nun eine neue Zimmermitbewohnerin. Die demente Frau geht grundsätzlich gegen 18.30 Uhr zu Bett und toleriert dann keinerlei Geräusch oder Licht im Raum. Beim Fernsehen kommt es deswegen allerdings zu keinen Konflikten. Zu diesem Zeitpunkt zeigen alle Fernseher im Haus bereits seit Wochen kein Programm mehr.
1. August: Erste Dusche seit Aufenthalt im Seniorenzentrum
Als Grund wird ein ausgelaufener Vertrag angegeben. Mehrfach fragt Beate Görke nach. Stets wird sie vertröstet. Später habe ein Mitarbeitender vom Seniorenzentrum gesagt: „Wir warten auf einen Techniker, der das Problem lösen kann.“
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Am 29. Juli beschwert sich Beate Görke, dass ihre Mutter noch kein einziges Mal geduscht worden sei seit dem 15. Mai, als sie erstmals ins Seniorenzentrum kam. Die Einrichtungsleiterin lacht zuerst und sagt: „Das kann nicht sein.“ Dann telefoniert sie im Haus und gibt den Fehler zu. Sie entschuldigte sich bei Beate Görke und ließ deren Mutter zwei Tage später, am 1. August, zum ersten Mal duschen.
Awo widerspricht „den Vorwürfen in weiten Teilen“
Soweit der Bericht der beiden Töchter. Die geben an, stets gemeinsam mit den Verantwortlichen im Seniorenzentrum gesprochen zu haben. Wir haben die Awo mit den geschilderte Vorwürfen konfrontiert und von der zuständigen Pressesprecherin eine ausführliche Stellungnahme erhalten. „Nach Rücksprache mit den Kolleginnen aus der Einrichtung widersprechen wir den Vorwürfen in weiten Teilen. Viele der Vorwürfe, insbesondere mit Blick auf die pflegerische Versorgung, lassen sich mit der detaillierten Pflegedokumentation widerlegen“, so Katrin Mormann vom Awo-Bezirksverband Westliches Westfalen.
Welche Vorwürfe genau widerlegt werden können, lässt sie offen. Die Pressesprecherin beruft sich auf Datenschutz und Schweigepflicht, die es untersagten, Informationen über die Bewohnerin öffentlich mitzuteilen. „Wir bedauern, dass die Angehörigen nicht mit unseren Leistungen zufrieden gewesen sind und wir bieten weiterhin Gespräche an, um gemeinsam Lösungen für die Bewohnerin zu finden“, so Mormann weiter.
„Die Nerven liegen blank“
Lediglich auf zwei Punkte geht die Awo konkret ein: Bei der Decke habe es sich um „Gipsdeckenputz gehandelt, der wenige Millimeter dick ist, zu den nichttragenden Teilen der Decke gehört und nicht massiv ist.“ Zum ausgefallen Fernsehen wird erklärt, es habe einen Vertragswechsel gegeben, wobei der neue Anbieter erst 20 Tage nach Vertragsbeginn den Anschluss vor Ort habe aktivieren lassen. Zudem sei ein defektes Gerät ausgetauscht worden.
Mittlerweile läuft der Fernseher seit gut einer Woche wieder. „Immerhin“, sagt Beate Görke. Sie sähe ihre Mutter trotzdem lieber heute als morgen woanders untergebracht. Noch muss sie sich indes mit Wartelistenplätzen zufriedengeben. Die letzten Monate haben Spuren bei ihr hinterlassen: „Die Nerven liegen blank. Man kann nachts nicht schlafen und tagsüber ist man kaputt.“ Es geht ihr nicht nur um ihre Mutter, sagt die 57-Jährige. „Die Leute dort tun mir so leid.“
So ergeht es auch ihrer vier Jahre ältere Schwester Monika Schuster. Sie sagt: „Wenn ich alt bin, gründe ich eine WG. Ich gehe niemals ins Heim.“