Bottrop. Generalvikar Pfeffer hat die Missbrauchsstudie des Bistums in Bottrop vorgestellt. Manche Zuhörer sind aufgewühlt – und fordern Entschädigung.
„Wie schaffen es intelligente Menschen, einfach wegzugucken?“ – Diese Frage einer Zuhörerin in der Bottroper Kulturkirche bringt auf den Punkt, was vielen durch den Kopf geht: Warum konnten Priester über Jahre und Jahrzehnte Jungen missbrauchen, ohne dass jemand eingeschritten ist? Klaus Pfeffer, Generalvikar im Bistum Essen, hat am Dienstagabend die Ergebnisse der Missbrauchsstudie in Heilig Kreuz vorgestellt – und sah sich mit Vorwürfen konfrontiert.
Das Bistum hatte die Studie beim Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München in Auftrag gegeben, am 14. Februar wurde sie der Öffentlichkeit vorgestellt. Nun zieht das Bistum durch die betroffenen Gemeinden, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Den Anfang machte Klaus Pfeffer in Bottrop.
Missbrauchsstudie im Bistum Essen: Das Aufgedeckte in die Gemeinden tragen
Es sei „schräg“, dass er nun die Ergebnisse der Studie präsentiere, ist er doch selbst seit 30 Jahren Teil des Systems Kirche. Aber weil das IPP seine Arbeit abgeschlossen und die Studie dem Bistum übergeben hat, sind es nun Mitarbeiter der Kirche, die das Gespräch mit den Gemeindemitgliedern im Bistum suchen.
Dies sei die wichtigste Aufgabe, so Pfeffer, „das Aufgedeckte in die Gemeinden zu tragen“. Und die Studie hatte einiges aufgedeckt: Anhand von sechs Fallbeispielen, von denen zwei maßgeblich in Bottrop spielen, zeigt sie auf, wie sexueller Missbrauch in den katholischen Kirchengemeinden geduldet wurde, wie Täter geschützt und Opfer nicht gehört wurden. „Es ging immer um die Täter, die Opfer waren nicht im Blick“, sagt Klaus Pfeffer.
Bischof Overbeck: „Massive Versäumnisse bis aktive Vertuschung“
Einen Fokus legt die Studie auf die Dynamiken in den Gemeinden, in denen immer Gerüchte waberten, in denen viele etwas wussten oder zumindest ahnten, aber keiner etwas sagte. Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck sprach nach der Veröffentlichung der Studie von „massiven Versäumnissen bis aktiver Vertuschung“.
Auf die Frage nach dem Warum kann Klaus Pfeffer keine Antwort geben. Er rät, in die Fallanalysen der Studie einzusteigen, in denen das Schweigen detailliert beschrieben und benannt wird. „Wir haben ja nichts gewusst – dieser Satz ist ein Trugschluss“, sagt der Generalvikar. „Es gab sehr wohl Wissen, aber es wurde nicht darüber gesprochen.“
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Zum Beispiel von den Eltern, die wussten, dass der Pfarrer mit ihren Söhnen in die Sauna ging, die aber stillhielten und sich nicht vernetzten. Dazu beigetragen habe auch das Charisma der Täter und die Wahrnehmung der Pfarrgemeinden als Familie. „Unser Pfarrer tut sowas nicht“, lautete das Credo.
Das benennt auch eine ehemalige Seelsorgerin aus dem Essener Bistum: „Der Machtmissbrauch der Priester hat das befördert.“ Die Allmachtsfantasien der Priester habe die Menschen stumm gemacht. „Wir müssen uns davon befreien.“
Betroffener von Missbrauch in Bottrop: „Ich habe immer noch Schmerzen“
Zwei, die sich dafür seit Jahren stark machen, sind Stephan Bertram und Markus Elstner, die beide Opfer des früheren Bottroper Kaplans Peter H. sind. Auch sie kommen am Dienstagabend in der Kulturkirche zu Wort. „Was die Täter uns angetan haben, kann sich keiner vorstellen“, sagt Stephan Bertram. „Ich habe immer noch Schmerzen.“
Er fordert eine „anständige Entschädigung“, nicht mehr vertröstet zu werden. „Wir haben keine Zeit mehr.“ Eine Zuhörerin will von Klaus Pfeffer wissen: „Wann wird endlich Klartext gesprochen, wann ändert sich was, wann wird die Entschädigung bezahlt?“ Der Generalvikar gesteht ein, dass es „beschämend“ sei, wie die Kirche mit diesem Thema umgeht. Denn bis überhaupt Entschädigungen gezahlt wurden, hat es lange gedauert; erst seit Anfang März können Opfer gegen die Höhe der ihnen zugesprochenen Entschädigung klagen.
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Studie gibt dem Bistum Essen fast 90 Handlungsempfehlungen vor
Während manche im Saal immer noch bezweifeln, dass sich etwas ändert in der Kirche, dass die Strukturen wirklich aufgebrochen werden, betont Klaus Pfeffer immer wieder, was nun vor dem Bistum liegt: Präventionsarbeit – damit so etwas nicht wieder passiert. Lukas Fleger vom BDKJ bemängelt fehlende Unterstützung bei der Präventionsarbeit und auch die Studie kommt zu dem Schluss, dass diese teils „nebenbei“ gemacht werde, dass es eine „strukturelle Überforderung“ gebe und die Gefahr von „Alibi-Konzepten“ bestehe.
Im Bistum Essen hat sich nun eine „Task-Force“ gebildet, die konkrete Vorschläge entwickeln soll, was getan werden muss. Fast 90 Handlungsempfehlungen gibt die Studie vor. Ein erster Schritt sei, so Pfeffer, Räume zum Sprechen zu schaffen – wie am Dienstag in der Bottroper Kulturkirche.