Bochum-Wattenscheid. Die CDU sagt, die Leute hätten Angst, die Straftaten gehen laut Polizei aber zurück. Was sagen die Menschen in der Wattenscheider Innenstadt?
Die CDU in Bochum-Wattenscheid schlägt Alarm. Die Leute hätten Angst, trauten sich nicht mehr abends in die Wattenscheider Innenstadt, klagen die Christdemokraten. Sie fordern mehr Polizeipräsenz und Videoüberwachung, um die Sicherheit zu erhöhen. Populismus im Wahlkampf oder wird die City zwischen Altem Markt und August-Bebel-Platz tatsächlich langsam zur „No-Go-Area“? Die Zahlen der Polizei sagen etwas anders, dokumentieren sogar einen Rückgang von Straßenkriminalität. Doch wie sehen das die Menschen vor Ort? Wie sicher fühlen sie sich noch in ihrem Wattenscheid? Wir fragen nach.
Wird die Wattenscheider Innenstadt zur „No-Go-Area“: Ein Rundgang am Freitagabend
Es ist Freitagabend, 19.30 Uhr. Der Alte Markt wirkt wie ausgestorben, dabei haben einige Läden im Gertrudis-Center noch auf. Immer wieder eilen ein paar Menschen über den Platz zum Einkaufszentrum. Schnell noch was einkaufen. Oder doch schnell nach Hause? Dieser Eindruck drängt sich eher auf. Es gibt kaum jemanden, den es um diese Uhrzeit in die Wattenscheider Fußgängerzone zieht.
Und so macht Kurt A. schon einen ziemlich einsamen Eindruck, wie er allein über den Alten Markt schlendert. Angst? Nein, die habe er nicht. „Ich gehe viel raus, auch nachts, und habe noch nie Probleme gehabt“, sagt der 55-Jährige. Aber er wisse sich auch zu wehren, sollte man ihn anmachen. Passiert sei ihm noch nichts. „Doch man hört so einiges.“ Etwa von dem Handyladen, dessen Schaufenster eingetreten und leergeräumt wurde vor ein paar Tagen. Das Video verbreitete sich schnell in den sozialen Medien. „Hier laufen schon mehr Bekloppte herum als früher“, stellt Kurt A. fest. „Und die Jugend ist echt frech.“
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Ja, die Jugendlichen. „Die sind ein Problem“, sagt KiK-Mitarbeiterin Nurkan Güzen, die ein paar Meter weiter zusammen mit ihrer Kollegin eine kurze Pause vor dem Laden an der frischen Luft macht. Schon kleine Kinder seien unverschämt, würden im Laden klauen, berichtet sie. Das ganze Umfeld sei schlimmer geworden. „Vor allem, wenn Kirmes ist, geht es hier extrem ab. Dann holen wir die Außenverkaufsstände früher rein.“
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2002 sei sie aus Hagen nach Wattenscheid gezogen. Damals sei das eine Verbesserung gewesen. „Aber jetzt?“ Sie würde abends nicht mehr in die Stadt gehen, sagt Güzen. „Da werde ich nur blöd angemacht.“ Das sieht ihre Kollegin, die anonym bleiben möchte, auch so. „Würde ich hier nicht arbeiten, würde ich mich gar nicht hier aufhalten.“ Ihr Mann hole sie nach Feierabend immer ab. „Der lässt mich hier nicht alleine herlaufen.“
„Ich habe Angst, dass die einen Böller in den Kinderwagen werfen.“
Weiter geht’s Richtung August-Bebel-Platz. Auf einer Bank sitzt Julia R., sie wartet auf ihren Freund. Vor ihr im Kinderwagen spielt Sohn Amir (2) mit einem Mini-Dino. „Die Atmosphäre ist aggressiver geworden“, bestätigt sie. „Kürzlich bin ich mit Kinderwagen aus der Bahn geschubst worden“, berichtet die junge Mutter. Jugendliche würden ständig böllern. „Ich habe Angst, dass die einen Böller in den Kinderwagen werfen.“ Sie sei mittlerweile am liebsten zu Hause.
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Auch, weil in Wattenscheid jetzt viel mehr gekifft werde. „Es riecht überall nach Gras“, sagt Julia R.. „Selbst auf dem Spielplatz im Friedenspark.“ Ihr Kind würde sie nicht allein vor die Tür lassen. „Schlimm, dass er in diesem Umfeld aufwächst.“
„Man fühlt sich in der Wattenscheider Innenstadt nicht mehr sicher, als Frau ohnehin nicht.“
In das Gespräch platzt plötzlich eine junge Frau. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt sie Julia R., „haben Sie Probleme?“ Als sie erfährt, dass die Zeitung vor Ort das Sicherheitsempfinden der Wattenscheid abfragt, ist sie beruhigt – und hat auch selbst einiges zu erzählen. „Natürlich ist es schlimmer geworden, richtig asozial“, sagt die 21-jährige Deutsch-Türkin, die ihren Namen nicht nennen möchte. „Man kann nicht mehr vom ,Bebel‘ bis zum Kaufland laufen, ohne belästigt zu werden. Gerade eben noch bin ich von jemandem verfolgt worden“, schildert sie. „Man fühlt sich in der Wattenscheider Innenstadt nicht mehr sicher, als Frau ohnehin nicht.“ Sie habe zwei jüngere Brüder. „Die lässt unsere Mutter abends nicht mehr in die Stadt.“ Und, ja, überall rieche es inzwischen nach Marihuana.
Weiter die Straße hoch ein kurzer Halt im Stadtkiosk. Darin sitzt Salar Alomar und hört Musik. Er habe den Laden im August übernommen. „Ich fühle mich schon unsicher“, sagt der junge Mann. Besonders schlimm sei es Halloween gewesen. „Raketen, Böller, Schlägereien – ich dachte, ich sei in Berlin.“ Alomar übernimmt meist die Spätschicht, sitzt dann bis 23 Uhr und länger im Kiosk. „Es gibt immer wieder welche, die Stress wollen“, berichtet er. „Ich halte dann einfach Abstand, dann beruhigt sich die Lage.“
„Wattenscheid ist nicht mehr so wie damals.“
Abstand halten auch Manuela Schneider und Heidemarie Mathau – und zwar in den Abendstunden von der Wattenscheider Innenstadt. Sie trinken nach dem Einkauf noch schnell einen Kaffee vorm Lottoladen am August-Bebel-Platz und fahren dann nach Hause. Abends in die City? „Nein, das ist uns zu unsicher.“ Früher seien sie gerne noch ausgegangen. „Aber Wattenscheid ist nicht mehr so wie damals“, stellen sie fest. Auf dem „Bebel“ gebe es oft Schlägereien. „Es ist wirklich schlimmer geworden.“ Dabei sei die Polizei durchaus oft in der Innenstadt unterwegs.
Den Eindruck gewinnt man durchaus. Eben noch fuhren Polizisten durch die Fußgängerzone, jetzt steht eine Streife vor der Ampel an der Hochstraße. Plötzlich knallt es – megalaut. Noch Minuten später tun die Ohren weh. So muss sich ein Polen-Böller anhören. Beim Knall sind die Täter schon längst um die Ecke, die Polizei scheint machtlos. Die Streife biegt Richtung Wache ab.
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Dort in der Nähe wohnt Beate Törker. Noch sitzt sie in der Poststube und trinkt mit Freunden ein Bier. Mit Wirtin Silke Güc sei sie befreundet. „Die macht sich immer Sorgen, wenn ich abends allein nach Hause gehe.“ Das tue sie durchaus mit einem mulmigen Gefühl und schreibe eine WhatsApp, wenn sie sicher zu Hause angekommen ist. „Früher“, sagt auch sie, „war das anders.“
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