Mülheim. Gewaltsame Todesfälle, brutale Übergriffe, Brandstiftungen und Drogendelikte: Wie Gerichte 2021 Mülheimer Verbrechen bewerteten. Ein Überblick.
Verschiedene spektakuläre Kriminalfälle aus Mülheim landeten 2021 vor Gericht. Die Juristen mussten sich mit gewaltsamen Todesfällen beschäftigen, mit brutalen Übergriffen, sexuellem Missbrauch, Brandstiftungen. . .
So auch mit dem viel beachteten Horrorcrash eines McLaren auf der A 52. Am 20. März 2019 hatte Gina Pfeiffer, Schülerin aus Mülheim, bei dem Unfall mit der weit über 300 km/h schnellen Luxuskarosse ihr Leben verloren. Am Steuer saß Lars D. aus Essen. Genau wie zuvor das Amtsgericht Essen verurteilte ihn Mitte Mai im Berufungsverfahren auch das Landgericht Essen wegen fahrlässiger Tötung.
Auf der Autobahn, unweit von Kettwig, hatte Lars D., der den Sportwagen erst kurz zuvor geleast hatte, die Kontrolle über den Wagen verloren – über Ursache und Geschwindigkeit wurde gestritten. Der McLaren war unter einer Leitplanke hindurchgekracht und die Böschung hinabgerast, bevor er an einem Baum auseinandergerissen wurde. Gina Pfeiffer (18) starb am Unfallort, Lars D. überlebte fast unversehrt. Die Richter verurteilten den 25-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten Haft. Er musste eine Buße von 5000 Euro zahlen und 400 Sozialstunden leisten.
Psychisch Kranker hielt 80-jährigen Mülheimer für den Teufel und schlug ihn fast tot
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Aufsehen erregte auch das Sicherungsverfahren vor dem Landgericht, das Folge einer unvorstellbar brutalen Attacke im Mai auf dem Radschnellweg war. Ein 37-jähriger Mülheimer, der an paranoider Schizophrenie leidet, glaubte den Teufel vor sich, als er einen 80-jährigen Fußgänger aus Essen mit roher Gewalt fast totschlug. Minutenlang prügelte der 37-Jährige mit der Faust erbarmungslos auf sein Opfer ein. Der 80-Jährige trug schlimmste Verletzungen am Kopf und im Brustbereich davon. Er ist bis heute ein Schwerstpflegefall und kann mit der Außenwelt nicht mehr kommunizieren.
Wegen der schweren psychischen Krankheit hielten die Richter den 37-Jährigen für schuldunfähig. Die Kammer ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Gefängnis an. Ein Leben in Freiheit ist ihm damit auf sehr lange Zeit verwehrt, betonte der Vorsitzende im Urteil.
Feuer im St. Marien-Hospital gelegt: Gericht ordnet Unterbringung an
Massive psychische Probleme hat auch die 22-jährige Mülheimerin, die am 25. April in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik des St. Marien-Hospitals eine Matratze in ihrem Zimmer ansteckte. Die gesamte Abteilung musste daraufhin evakuiert werden, mehrere Personen wurden leicht verletzt. „Ich will, dass ihr alle draufgeht“, hatte die Frau gerufen.
Ein Gutachter bescheinigte ihr eine schwere Persönlichkeitsstörung. Eine ungewöhnlich stark ausgeprägte Borderline-Symptomatik habe zur Schuldunfähigkeit geführt. Weitere schwere Straftaten seien zu erwarten – und so ordnete das Landgericht Duisburg die dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung an. Schon mit 15 Jahren musste sie erstmals dorthin und seither immer wieder. Es gibt Phasen, da müsse die junge Frau über Wochen im Bett fixiert werden, hieß es im Prozess.
Sicherungsverfahren nach Brandstiftung in Mehrfamilienhaus an der Eltener Straße
Ein Feuer Mitte Januar in einem Mehrfamilienhaus an der Eltener Straße hatte ebenfalls ein psychisch kranker Mann zu verantworten. Der Brand war an mehreren Stellen seiner Wohnung ausgebrochen. Offenbar hatte der Mülheimer (33) mit Hilfe eines Backofens und einer mit Brandbeschleuniger gefüllten Schale ein Feuer in der Küche gelegt und dann brennendes Material in mehreren Zimmer verteilt. Auch ihn schickte das Landgericht Duisburg unbefristet in die Forensik.
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In Angst und Schrecken versetzten Anfang Februar drei Einbrecher einen älteren Bewohner eines Hauses an der Buggenbeck. Sie fesselten und knebelten den 71-Jährigen mit Klebeband, verschnürten ihn wie ein Paket – und forderten Geld und Gold. Tatsächlich fanden sie nur eine Kamera und eine Geldbörse. Da das Vorgehen brutal war, schickte das Landgericht Duisburg die 22 bis 31 Jahre alten Männer aus Duisburg und Dinslaken für je dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Alle drei Täter entschuldigten sich beim Opfer. Sie empfänden „Scham“, wenn sie an den Überfall dächten: durchaus ungewöhnliche Töne vor Gericht.
Messerattacke endete tödlich: Acht Jahre Haft wegen Totschlags
Messerstechereien meldet die Polizei immer wieder aus Mülheim – am 7. Juli 2020 hatte eine solche Attacke die denkbar schlimmsten Folgen. Björn P., ein 39-jähriger Mann aus dem Obdachlosenmilieu, wurde unweit des Hauptbahnhofs niedergestochen; acht Tage später war er tot. Ein Mülheimer (43) musste sich im Februar vor dem Landgericht Duisburg verantworten, er hatte dem Jüngeren das Messer in die Brust gerammt, angeblich im Streit. Alkohol und Drogen sollen eine Rolle gespielt haben, weshalb das Gericht nicht nur eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängte, sondern auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnete.
Ein ehemaliger Betreuer (30) des Jugendrotkreuz Mülheim wurde im September wegen sexuellen Missbrauchs einer zur Tatzeit 16-jährigen Schülerin aus Essen verurteilt. Das Essener Landgericht schickte den Mann für 27 Monate ins Gefängnis. Er hatte die Jugendliche mehrmals unsittlich berührt. „Ich habe zwar seine Hand weggedrückt, aber er hat es immer wieder gemacht“, so das Opfer. Der Mann hatte die Vorwürfe größtenteils zugegeben und sogar davon berichtet, dass er beim DRK in Sachen sexueller Gewalt und Missbrauch geschult worden sei. Doch das habe er wohl verdrängt. Ermittelt wurde gegen den Mann auch wegen Kinderpornografie.
Haftstrafen für mehrere Betreiber von Mülheimer Drogen-Plantagen
Stadtgespräch waren 2021 auch einige gewaltfreie Delikte, so zum Beispiel die ausgehobene Cannabis-Plantage an der Steinstraße. 900 Pflanzen hatte die Polizei allein dort beschlagnahmt und weitere 1000 in einem Haus in Langenfeld. An der Spitze einer größeren Tätergruppe standen zwei Mülheimer, die zwischen April 2019 und April 2020 schwunghaften Handel mit dem selbst produzierten Rauschgift trieben, vor allem in den Niederlanden. Der Hauptangeklagte (33) wurde vom Landgericht Duisburg zu sechseinhalb Jahren verurteilt. Wegen seiner Drogensucht war von einer geschlossenen Entziehungsanstalt die Rede. Drei weitere Mülheimer wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Für eine weitere hoch professionell betriebene Drogen-Plantage, die Ermittler in der Nacht zum 11. Februar in der Ruine der früheren Kult-Kneipe Winkhaus entdeckten, waren zwei Albaner mitverantwortlich. Tagelang hatten zivile Einsatztrupps das Objekt beobachtet, nachdem einer Polizistin, die privat am Eppinghofer Bruch unterwegs war, starker Marihuana-Geruch rund ums leerstehende Gebäude aufgefallen war. Im Inneren versorgten 135 Wärmelampen und 31 Luftfilteranlagen 3001 Cannabis-Pflanzen. Da die Männer eher Handlanger waren als mächtige Bosse, wurden sie wegen Beihilfe zum Drogenhandel verurteilt: ein 44-Jähriger zu zweieinhalb Jahren und ein 38-Jähriger zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis.
AZ-Mitarbeiterin wurde in zweiter Instanz wegen Widerstandes verurteilt
Kontrovers diskutiert wurden ein Polizei-Einsatz im Autonomen Zentrum (AZ) im Juni 2019 und seine juristischen Folgen. Nachdem das Mülheimer Amtsgericht eine AZ-Mitarbeiterin zunächst vom Vorwurf des Widerstands gegen die Polizei freigesprochen hatte, sah das Landgericht Duisburg die Sache im August 2021 anders: Das erstinstanzliche Urteil wurde aufgehoben und die AZ-Mitarbeiterin verurteilt, weil sie einen Beamten geschubst und damit tätlich angegriffen habe. Die Konsequenz: 90 Tagessätze à 10 Euro.
Medican-Prozess vor dem Landgericht Bochum läuft noch
2022 dürften wieder viele aufsehenerregende Mülheimer Kriminalgeschichten vor Gericht verhandelt werden. Offen ist etwa noch die Frage, wie der so genannte Medican-Prozess ausgeht.
Am 10. Mai hatte die Stadt Mülheim ein Corona-Testzentrum der umstrittenen Bochumer Firma auf dem Parkplatz des Möbelhauses Bernskötter geschlossen.
Seit Anfang Dezember müssen sich ein Vater und sein Sohn vor dem Bochumer Landgericht wegen gewerbsmäßigen Betruges verantworten. Laut Anklage sollen sie bei Corona-Tests durch überhöhte Abrechnungen 25,1 Millionen Euro kassiert haben.
Und auch ein Vorfall am Rande der eigentlich friedlichen Anti-AfD-Demo im Oktober 2019 beschäftigte erneut die Richter: Am Stadthallen-Parkplatz hatte ein Autofahrer versucht, eine Sitzblockade zu durchbrechen. Zwei Aktivisten wehrten sich und wurden in erster Instanz vom Mülheimer Amtsgericht verurteilt: ein Mülheimer (29) wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot – er hatte damals eine Kapuze und einen hochgezogenen Schal getragen – und ein Duisburger (27) wegen Beleidigung. Er hatte den Autofahrer angeschrien: „Du bist in die Leute reingefahren, du Vollidiot!“ Beide Männer sollten Geldstrafen zahlen, beide gingen in Berufung. Das Landgericht Duisburg stellte das Verfahren gegen sie ein: Der Mülheimer muss 800 Euro an gemeinnützige Organisationen zahlen und der Duisburger 450 Euro.