Europäische Zentralbank will Staatsanleihen kaufen - wenn Regierungen Sparauflagen einhalten. Bundesbankchef stimmte als Einziger dagegen.
Frankfurt/Madrid. Am Morgen kam die Feuerwehr, am Mittag fuhren Europas Spitzenbanker das ganz große Geschütz auf. Was in Fachkreisen "Bazooka" genannt wird, hat die Europäische Zentralbank zur Lösung der Staatsschuldenkrise jetzt in Stellung gebracht. Nur wenige Stunden nach einem Fahrstuhlalarm im Frankfurt Hochhaus der Europäischen Zentralbank (EZB) verkündete Präsident Mario Draghi, dass die Euro-Hüter unter bestimmten Bedingungen, aber unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern kaufen wollen.
Das löste Jubel an der benachbarten Börse aus, der DAX schoss in die Höhe. Und in Madrid gab sich Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy beim Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel besonnen. Sein Land wolle nun die Ausgaben den Einnahmen anpassen. Spanien werde die Reformen vollziehen, die Deutschland bereits vor Jahren vorgenommen habe. Allerdings beklagte er sich auch darüber, dass die Zinsen für spanische Staatsanleihen nicht die Fundamentaldaten des Landes widerspiegelten. Sie honorierten auch nicht die Reformen.
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Merkel sagte mit Blick auf die Anleihekäufe der EZB: Diese Käufe könnten politische Aktionen nicht ersetzen. Erforderlich seien weitere Reformen und eine europäische Bankenaufsicht. Sie sagte: "Ich bin nicht hier, um zu sagen, welche Reformen in Spanien gemacht werden." Sie zeigte sich "beeindruckt" von der Politik des Landes und sprach ihr "große Hochachtung" aus.
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Merkel betonte die Unabhängigkeit der EZB. Sie hatte zuvor den Kurs von Bundesbankchef Jens Weidmann unterstützt, der sich gegen diese Politik der Bank stemmte - und auch nach der Entscheidung dabei blieb: Diese Vorgehensweise sei zu nah an einer Staatsfinanzierung durch die Notenpresse, ließ er einen Sprecher erklären. Er hatte als Einziger in der EZB dagegengestimmt.
Und so war Draghi der Gewinner. Er brach mit der Tradition der Bundesbank. Die EZB werde tun, "was immer nötig ist", um den Euro zu retten. Erster Kandidat für die Unterstützung aus Frankfurt könnte nun Spanien sein. Doch Regierungschef Rajoy erklärte, er könne noch nicht sagen, ob sein Land Hilfe in Anspruch nehmen werde.
Draghi nannte die Bedingungen: Solle die EZB Staatsanleihen eines Landes kaufen, müsse dieses zuvor unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft sein. Damit solle sichergestellt werden, dass die Staatsfinanzen auch tatsächlich saniert würden. Der Euro-Rettungsschirm ESM, über den das Bundesverfassungsgericht am 12. September entscheidet, könnte dann direkt Anleihen angeschlagener Länder kaufen.
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Klar ist: Wenn ein Land Anleihen an die EZB verkauft, muss es sich wie Griechenland unter die Aufsicht der Troika stellen. Und wer seine Hausaufgaben nicht macht, dem wird der Geldhahn zugedreht. Genau dagegen hatten sich Spanier und Italiener heftig gewehrt. Die EZB will transparent veröffentlichen, mit welchen Beträgen sie einzelnen Ländern geholfen hat. Wichtig für die Investoren: Die Zentralbank verzichtet auf ihren bevorzugten Gläubigerstatus. Damit müssen Banken und Fonds nicht länger fürchten, bei einer Pleite wie im Falle Griechenlands alleine bezahlen zu müssen. Außerdem soll die Inflation begrenzt werden, weil das investierte Geld an anderer Stelle wieder eingesammelt wird, um die Geldmenge nicht künstlich aufzupumpen.
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, Kanzlerin Merkel habe in ihrer Koalition keine Mehrheit für weitere Rettungsschirme. Die EZB-Entscheidung für die Anleihenkäufe sei ein "Dokument des Scheiterns" für die Bundeskanzlerin. Von Ökonomen erhielt Draghi zum Teil Zuspruch, allerdings warnten zahlreiche Experten auch vor den Risiken der EZB-Aktion. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) kritisierte die unbegrenzten Anleihenkäufe. "Damit ist die Büchse der Pandora geöffnet. Das kriegt man nicht mehr zurück", sagte IW-Direktor Michael Hüther. Dies führe zu einer dauerhaften Einbindung der EZB. Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon wählte ebenfalls deutliche Worte der Kritik: "Anleihenkäufe sind der falsche Weg, da sie dringend notwendige Sparbemühungen und Strukturänderungen in den öffentlichen Haushalten der hoch verschuldeten Länder unterlaufen und Anreize nehmen. Die Europäische Zentralbank darf nicht in die Rolle einer Ersatzregierung gedrängt werden."
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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte: "Staatsfinanzierung ist nicht Aufgabe der Zentralbank." Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK, betonte, für Reformen und Staatsfinanzierung seien die Staaten selbst verantwortlich. "Der Ruf nach der EZB ist verständlich - ihm vorschnell nachzugeben allerdings nicht." Die Politik sei gefordert, den Druck auf die EZB durch Haushaltskonsolidierung in den Ländern zu mildern, damit die Zentralbank ihren eigentlichen Job machen könne.
Von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kam Unterstützung für den Kurs der EZB. Er verwies auf "massive Spekulationen" gegen Euro-Staaten. Die Wachstumsstrategie von Ländern wie Italien funktioniere nur, wenn die Risikoaufschläge mithilfe der EZB verringert würden. Schulz äußerte Verständnis, dass die EZB den Staaten Vorgaben macht: "Wenn die Zentralbank als letzter Rettungsanker agiert, muss sie auch Bedingungen stellen dürfen."
Die Deutschen sind skeptisch. Laut ARD-Deutschlandtrend sind 50 Prozent der Bürger gegen Anleihenkäufe, 13 Prozent dafür, der Rest traut sich kein Urteil zu.