Die Arbeiter kämpfen weiter um die Kontrolle im AKW Fukushima. Die Folgekosten der Erdbebenkatastrophe vom 11. März sind gigantisch.
Tokio/Fukushima. Am Katastrophen-Kraftwerk Fukushima müssen die Techniker noch Monate kämpfen, um die Atomkrise unter Kontrolle zu bekommen. Japans Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Lage am Dienstag als „unvorhersehbar“. Das Land rechnet inzwischen mit gigantischen Kosten bis 26 Milliarden Euro durch die Dreifach-Katastrophe vom 11. März. Im Boden um das Kraftwerk Fukushima Eins war am Vortag hochgiftiges, radioaktives Plutonium entdeckt worden. Ein weiteres ungelöstes Problem ist das strahlende Wasser in den Kellern und Gräben der Atom-Ruine.
Ministerpräsident Kan will neben dem eigentlichen Staatshaushalt einen Sonderetat von umgerechnet etwa 17 bis 26 Milliarden Euro aufstellen, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete. Japan ist schon jetzt hoch verschuldet. Mit dem neuen Geld sollen die Kosten für die Folgen nach Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe bezahlt werden. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will Japan am Donnerstag einen Solidaritätsbesuch abstatten.
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Die in Fukushima Eins gemessene Plutonium-Menge sei gering und für Menschen nicht gefährlich, erklärte der Stromkonzern Tepco. Dennoch führte die Nachricht vom Plutoniumfund an der Börse in Tokio zu Kursverlusten. Der hochgiftige Stoff wurde in Bodenproben festgestellt, die der Betreiber Tepco am 21. und 22. März nehmen ließ.
Regierungssprecher Yukio Edano sagte dazu, die Lage sei „sehr ernst“, der Plutoniumfund sei ein Hinweis auf „einen gewissen Anteil schmelzender Brennstäbe“. Woher das Plutonium stammt, ist bisher nicht zweifelsfrei geklärt.
Der deutsche Atomexperte Michael Sailer warnte im Deutschlandfunk, der Fund von Plutonium bedeute, dass die Brennstäbe „entweder knapp unter der Kernschmelze oder in der Kernschmelze“ seien. Der Chemiker ist Mitglied der Reaktorsicherheitskommission des Bundes, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts und ein bekannter Kritiker der Kernenergie.
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Im beschädigten Kraftwerk selbst macht radioaktiv v erstrahltes Wasser in Wassergräben und den Turbinenhäusern der Reaktoren den Einsatz lebensgefährlich. Es stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Kellern der Turbinenhäuser von vier der sechs Reaktorblöcke in Fukushima Eins. Eine Hauptaufgabe der Einsatzkräfte war am Dienstag das Abpumpen des verseuchten Wassers aus dem Keller des Turbinengebäudes von Block 1.
Doch die Arbeiter wissen nicht, wohin mit der für Menschen hochgiftigen Flüssigkei t in den Turbinenhäusern der Blocks 2 und 3, wie Kyodo meldete. Es fehlte an Tanks. Am gefährlichsten ist das verstrahlte Wasser in einem Graben von Block zwei zum Turbinenhaus. Dort wurde am Wochenende die bisher höchste Strahlendosis von 1000 Millisievert pro Stunde gemessen. Die natürliche radioaktive Strahlung liegt dagegen nur bei 2 Millisievert pro Jahr.
Die japanischen Behörden gehen mittlerweile davon aus, dass das verstrahlte Wasser in dem Graben in „direktem Kontakt“ mit Brennstäben im Reaktorkern war, wie die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) meldete. Der Hintergrund: Fachleute fragen sich seit längerem, ob der Reaktordruckbehälter noch dicht ist.
Am Dienstag gab es jedoch eine kleine Erfolgsmeldung : Den Technikern gelang es, nach den Blöcken 2 und 3 nun auch im Reaktor 1 wieder eine provisorische elektrische Pumpe zur Einspeisung von Kühlwasser in Betrieb zu nehmen. Zuvor mussten sich die Techniker wegen der Zerstörung des Kühlsystems mit einer Betonpumpe und Feuerlöschpumpen behelfen. Mindestens 19 Arbeiter wurden bisher verstrahlt.
Der Chef der US-Atomregulierungsbehörde (NRC), Gregory Jaczko, sprach nach einem Treffen mit japanischen Regierungskollegen und Atomexperten in Tokio von einer „anhaltend ernsten Herausforderung“.
Die Japaner wollen jetzt verstärkt ausländische Fachleute heranziehen, um die havarierten Reaktoren unter Kontrolle zu bringen. Außenminister Takeaki Matsumoto erklärte nach einem Kyodo-Bericht, Tokio sei „sehr bereitwillig“, Technologie und Wissen anderer Nationen bei der Lösung der Krise zu nutzen.
Mittlerweile wurden auch westlich und südwestlich von Japan - also entgegen der vorherrschenden Windrichtung - in Südkorea, Hongkong und China geringe Mengen von radioaktivem Jod-131 in der Luft gemessen.
Die japanische Regierung erwägt unterdessen womöglich eine Verstaatlichung des Energiekonzerns Tepco . So jedenfalls wurde der Minister für die nationale Politik, Koichiro Gemba, von der Nachrichtenagentur Kyodo zitiert. Regierungssprecher Edano dagegen dementierte. Hintergrund ist, dass auf das Unternehmen gewaltige Entschädigungszahlungen zukommen könnten - zum Beispiel an Anwohner des Unglücks-AKW Fukushima und an Bauern, die verstrahlte Produkte nicht mehr verkaufen können.
Die Zahl der nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März offiziell für tot erklärten Opfer stieg am Dienstag auf 11.082. Weitere 16.717 Menschen werden nach wie vor vermisst. Bei etwa 4000 Leichen, die in den Präfekturen Miyagi, Iwate und Fukushima gefunden wurden, ist noch unklar, um wen es sich handelt. Die Polizei veröffentliche deswegen im Internet Informationen zu Kleidung und Größe der Toten sowie zu persönlichen Dingen, wie Kyodo meldete. (dpa)