Der japanische Atomkonzern Tepco revidiert seine Messwerte. Die Situation an den Reaktorblöcken im Überblick.
Tokio/Fukushima. Um die Strahlenbelastung in Japan herrscht Verwirrung: Am Sonntagmorgen wurde in Fukushima eine Strahlung gemessen, die tödlich sein kann. Dann stellte der japanische Atomkonzern Tepco seine eigenen Messwerte infrage. Das Wasser im Reaktor sei zwar radioaktiv verseucht, der zuvor gemessene Extremwert von millionenfach erhöhter Strahlung sei aber ein Fehler gewesen, erklärte Tepco am Sonntagabend. „Diese Zahl ist nicht glaubhaft“, sagte Sprecher Takashi Kuratia. „Das tut uns sehr leid. Ich werde sicherstellen, dass solche Fehler nicht mehr vorkommen.“ Die Radioaktivität im Wasser im Turbinengebäude sei 100.000 Mal höher als normal und nicht zehn Millionen Mal wie am Morgen vermeldet. Wegen der hohen Werte waren die an einer Reparatur des Meilers arbeitenden Techniker abgezogen worden.
Laut Tepco sind womöglich auch andere radioaktive Substanzen als das bisher gemeldete Jod-134 im Wasser in den Turbinenhäusern enthalten. In den Turbinenhäusern aller vier Reaktorblöcke von Fukushima Eins steht das Wasser bis zu einem Meter hoch. Die Regierung forderte Tepco auf, herauszufinden, woher das radioaktiv verseuchte Wasser komme. Das Wasser in den Turbinenhäusern macht die Arbeit lebensgefährlich. Es muss abgepumpt werden, um an der dringend nötigen Verkabelung der Kühlsysteme arbeiten zu können.
Die UN-Atomaufsicht IAEA zeigt sich besorgt. Tepco betonte aber, dass das radioaktive Jod eine Halbwertszeit von weniger als einer Stunde habe. Das bedeutet, dass es innerhalb eines Tages zerfällt. Tepco lässt auch Bodenproben vom Gelände der havarierten Anlage von unabhängigen Spezialisten auf das hochgiftige Schwermetall Plutonium untersuchen. Mit den Ergebnisse der Untersuchung rechnet der Konzern innerhalb der kommenden Tage, wie der japanische TV-Sender NHK am Sonntag berichtete. Tepco selbst hatte bei seinen Untersuchungen kein Plutonium nachweisen können.
Auch das Meer vor Fukushima wird zunehmend radioaktiv verseucht. Am Sonntag übertraf die Strahlung den zulässigen Grenzwert bereits um das 1850-fache. Am Sonnabend war es noch das 1250-fache. Tepco räumte ein, dass wahrscheinlich radioaktives Wasser aus dem Atomwrack ins Meer geflossen sei. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die Konzentration der radioaktiven Substanzen im Meer schnell verdünnt, so dass derzeit keine größere Gefahr für Mensch und Umwelt bestehe.
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Tepco-Chef Masataka Shimizu musste sich indes für ein paar Tage erschöpft zurückziehen. Am 16. März - fünf Tage nach der Dreifachkatastrophe - habe er wegen "Überarbeitung“ die Krisenzentrale am Konzernsitz verlassen und sich in einem anderen Zimmer im Gebäude ausgeruht, berichtete Jiji. Inzwischen sei er aber in die Krisenzentrale zurückgekehrt, von der er Anweisungen erteile. Auch während seiner Abwesenheit habe er Anordnungen erteilt, hieß es.
Die japanische Regierung sieht die Lage trotz des am Sonntag bekannt gewordenen extremen Anstiegs der Radioaktivität zumindest teilweise stabilisiert. Regierungssprecher Yukio Edano räumte auf einer Pressekonferenz am Sonntagabend (Ortszeit) aber ein, dass die genaue Ursache der erhöhten Strahlung nicht bekannt sei. "Wir haben es verhindert, dass sich die Lage verschlimmert", sagte Edano. "Aber die Aussichten werden nicht in einer direkten Linie besser und wir haben Höhen und Tiefen erwartet. Das kontaminierte Wasser ist eine (Tiefe) davon, und wir werden weiter den Schaden reparieren."
Geringe radioaktive Spuren sind nun auch schon in Chinas Nordosten entdeckt worden. Die Luftwerte von Jod 131 in der Provinz Heilongjiang lägen aber „unter einem hunderttausendstel des jährlich zulässigen Grenzwertes“ und seien nicht gefährlich, berichtete die chinesische Behörde für die Koordinierung im nuklearen Notfall am Sonntag nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Die Regierung in Peking werde alle Informationen „zeitnah“ veröffentlichen. Nach dem Reaktorunglück hatten schon Gerüchte, dass jodiertes Salz gegen radioaktive Strahlung helfen soll, zu einem Ansturm auf Geschäfte in China geführt, so dass Salz vielerorts nicht mehr zu bekommen war.
Hier eine Übersicht zur aktuellen Situation vom Sonntagabend:
BLOCK 1 (Explosion am 12.3.): Die Beleuchtung im Kontrollraum funktioniert wieder. Am Sonntag wurde die Kühlung des Reaktors und des Abklingbeckens mit Süßwasser fortgesetzt.
BLOCK 2 (Explosion am 15.3.): Kühlung mit Süßwasser von außen. Am Sonntag wurde von einer Strahlenbelastung des Wassers im Turbinenraum von 1000 Millisievert pro Stunde berichtet. Laut NISA fand sich eine hohe Konzentration des Isotops Jod-134 im Wasser. Dies könne auf einen Schaden am Reaktorkern hinweisen.
BLOCK 3 (Explosion am 14.3.): Die Beleuchtung im Kontrollraum ist intakt, die Kühlung mit Wasser läuft seit Freitag und wurde am Sonntag fortgesetzt, allerdings mit Meerwasser. Wegen MOX-Brennelementen mit Plutonium gilt dieser Reaktor als besonders gefährlich. Vermutlich sind der Reaktorbehälter oder das Abklingbecken für abgebrannte Kernbrennstäbe beschädigt.
BLOCK 4 (Explosion und Brand am 15.3.): Demnächst soll das Licht im Kontrollraum wiederhergestellt sein. Hinweise auf eine Überhitzung des Abklingbeckens für abgebrannte Kernbrennstäbe. Mit Frischwasser soll versucht werden, die Brennstäbe im Abklingbecken zu kühlen. Bisher schließt Tepco ein Leck im inneren Reaktorbehälter aus.
BLOCK 5: Nach Angaben von Tepco ist das reguläre Kühlsystem inzwischen wieder repariert. Eine defekte Pumpe sei ausgetauscht worden, die Kühlung laufe.
BLOCK 6: Gilt weiter als stabil. (dpa/dapd)