Kampf gegen Kernschmelze dauert an. Strahlengefahr verhindert Bergung von 1000 Leichen. Auch Westerwelle will Tokio besuchen.
Tokio. In der Nähe des japanischen Atomkraftwerks sind bei einer geschlachteten Kuh erhöhte Werte des radioaktiven Elements Cäsium festgestellt worden. Die radioaktive Belastung liege mit 510 Becquerel pro Kilogramm etwas höher als der gesetzliche Grenzwert von 500 Becquerel, teilte das japanische Gesundheitsministerium mit. Weitere Lebensmitteltests sind angeordnet. Das Fleisch sei nicht auf den Markt gekommen, hieß es. Das Cäsium sei bei einer am 15. März geschlachteten Kuh mehr als 70 Kilometer vom Atomkomplex Fukushima entdeckt worden, sagte Sprecher Taku Ohara.
Im Grundwasser aus der Nähe des Reaktors 1 im Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi sind 10.000-fach erhöhte Strahlenwerte festgestellt worden. Das berichtet die japanische Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf die Betreibergesellschaft Tepco. Ein Tepco-Mitarbeiter sagte, die Radioaktivität sei „extrem hoch“.
Wegen der Strahlengefahr sind unterdessen bis zu 1000 Leichen rund um das AKW Fukushima noch nicht geborgen worden. Dies meldete Kyodo am Donnerstag unter Berufung auf die Polizei. Die Leichen in der 20-Kilometer-Evakuierungszone seien hoher Strahlung ausgesetzt gewesen, hieß es. Die Japaner fürchten, dass Rettungsteams, Ärzte oder Angehörige bei der Bergung zu viel radioaktive Strahlung abbekommen könnten. Werden die Opfer später eingeäschert, könnten die radioaktiven Partikel zudem in die Luft gelangen. Bei einer Erdbestattung könnte der Boden kontaminiert werden, schrieb Kyodo.
Pläne, alle Leichen in dem Gebiet nach einer Bergung auf Strahlung zu kontrollieren, wurden wegen der möglichen Gesundheitsgefahr für die Einsatzkräfte wieder aufgegeben. Nun überlegt man, die Toten vor Ort in Spezialfahrzeugen zu dekontaminieren.
Lage in Fukushima bleibt ernst - Sarkozy trifft in Tokio ein
Rund drei Wochen nach Beginn der größten Katastrophe der japanischen Nachkriegsgeschichte ist das Atomkraftwerk Fukushima weiter außer Kontrolle. Noch immer tritt Radioaktivität aus. Die Strahlung im Meer vor der Atomruine steigt. Die Regierung lehnt jedoch eine weitere Evakuierung ab, obwohl die Internationale Atomenergiebehörde sie empfohlen hatte. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy verteidigte unterdessen in Tokio die Nutzung der Atomenergie. Außenminister Guido Westerwelle will Japan am Sonnabend besuchen.
Abstürze: Atomkraftwerke im Sicherheits-Check
Der AKW-Betreiber Tepco hat begonnen, verstrahlte Trümmer mit Kunstharz zu besprühen . Tepco musste die Versuche aber wegen Regens wieder stoppen. Mit dem Kunstharz soll unter anderen die Ausbreitung von radioaktivem Staub gestoppt werden. Derweil steigt die Radioaktivität im Wasser: Im Meer vor dem AKW seien Jod-Partikel mit einer 4385-fach höheren Konzentration als erlaubt gemessen worden, berichtete die Atomaufsichtsbehörde. Der genaue Weg, wie das radioaktive Jod aus dem Kraftwerk ins Meer kommt, ist nicht klar.
Grüne kritisieren Stresstest der Atomkraftwerke
Der französische Präsident Sarkozy traf bei seinem Kurzbesuch in Tokio mit dem japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan zusammen. Die Welt brauche Atomkraft , um den Klimawandel zu bekämpfen, sagte Sarkozy nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo. Sie könne helfen, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu verringern. Zugleich forderte er, die internationale Gemeinschaft solle über neue Sicherheitsstandards für AKW diskutieren. Er ist der erste ausländische Staatschef, der Japan seit der Atom-Katastrophe besucht.Ministerpräsident Naoto Kan sagte, das Thema Sicherheit der Atomkraft sollte beim nächsten G-8-Gipfel Ende Mai in Deauville in Frankreich zur Sprache kommen.
Vor Sarkozy war bereits die Chefin des französischen Atomkonzerns Areva, Anne Lauvergeon, mit fünf Experten in Japan eingetroffen. Die Fachleute sollen dabei helfen, hoch radioaktives Abwasser aus der Atomanlage zu entfernen.
Am Sonnabend reist auch Außenminister Westerwelle nach Tokio. Er besucht derzeit China. Mit dem Kurzbesuch wolle er Deutschlands Solidarität mit dem schwer getroffenen japanischen Volk zum Ausdruck bringen, hieß es aus seiner Umgebung.
Auch Japans Kaiser Akihito stand den Opfern des verheerenden Erdbebens im Nordosten des Landes mit Gesten der Solidarität bei. Erstmals traf er direkt mit Überlebenden zusammen. Zusammen mit seiner Frau Michiko nahm sich der Monarch eine Stunde Zeit, um in der Budokan-Halle der Hauptstadt den dort untergebrachten rund 290 Flüchtlingen Trost zu spenden.
Die Zahl der nach dem Erdbeben und dem Tsunami vom 11. März offiziell für tot Erklärten stieg auf 11.362. Weitere 16.290 Menschen werden noch vermisst.
Am Donnerstag suchte ein weiteres heftiges Nachbeben der Stärke 6,0 die Menschen in der Katastrophenregion heim. Vor allem für die vielen alten Menschen ist es immer anstrengender, auf den harten Lagern in den Notunterkünften auszuharren. Es regnet dort viel, und die Temperaturen liegen morgens immer noch um den Gefrierpunkt.
Inzwischen werden zwar Notbehausungen gebaut. Die reichen aber noch nicht. Viele alte Menschen wollen auch dafür nicht ihre Heimatorte verlassen. Denn sie befürchten, aus ihren sozialen Gemeinschaften gerissen zu werden.
Wegen der hohen Strahlenwerte im 40 Kilometer von Fukushima entfernten Ort Iitate hatte die Atomenergiebehörde IAEA am Mittwoch in Wien geraten, die 7000-Einwohner-Stadt zu räumen. Greenpeace hatte nach eigenen Messungen dringend eine Ausweitung der Evakuierungszone rund um Fukushima von 20 auf 40 Kilometer verlangt.
Es gebe im Moment keine sofortigen Pläne für einen solchen Schritt, sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Man werde aber ausgehend von IAEA-Daten den Boden um das AKW intensiver auf Strahlen untersuchen.
Unterdessen ist eine weitere deutsche Riesen-Pumpe auf dem Weg zum havarierten Atomkraftwerk. Das Gerät des Pumpenherstellers Putzmeister aus Baden-Württemberg soll bei der Kühlung der Atomruine helfen. (dpa)