Die Radioaktivität im Meerwasser vor dem AKW in Fukushima erhöhte sich auf einen Rekordwert. Sarkozy verteidigte in Tokio die Atomenergie.
Tokio. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat in Japan die Atomenergie als wichtiges Instrument zum Klimaschutz verteidigt. Er ist der erste ausländische Staatschef, der Japan seit der Atom-Katastrophe in Fukushima besucht. Die Welt brauche Atomkraft, um den Klimawandel zu bekämpfen, sagte Sarkozy am Donnerstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo. Sarkozy traf in Tokio mit dem japanischen Ministerpräsidenten Naoto Kan zusammen.
Die Atomenergie werde weiterhin eine wichtige Energiequelle bleiben, und sie könne helfen, den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids zu verringern, wurde Sarkozy zitiert. Zugleich forderte er, dass die internationale Gemeinschaft über neue Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke diskutieren sollte.
Abstürze: Atomkraftwerke im Sicherheits-Check
Japan werde aufgrund der Krise im Kernkraftwerk Fukushima Eins seine Atompolitik überprüfen, kündigte Kan an. Die gravierende Störfallserie in dem AKW begann vor rund drei Wochen, mehrere Reaktoren sind immer noch nicht unter Kontrolle. Das Thema Sicherheit der Atomkraft sollte auch beim nächsten G-8-Gipfel Ende Mai in Frankreich zur Sprache kommen, sagte Kan.
Westerwelle fliegt zu Solidaritätsbesuch nach Japan
Drei Wochen nach der Erdbeben-Katastrophe in Japan will auch Außenminister Guido Westerwelle nach Tokio reisen. Der Kurzbesuch soll im Anschluss an eine China-Reise stattfinden, zu der Westerwelle am Donnerstag in Peking eintraf. Mit dem Aufenthalt wolle der Minister Deutschlands Solidarität mit dem schwer getroffenen japanischen Volk zum Ausdruck bringen, hieß es aus seiner Umgebung.
Für den FDP-Vorsitzenden steht in Tokio unter anderem ein Gespräch mit dem japanischen Außenminister Takeaki Matsumoto auf dem Programm. Ein Besuch in den am schlimmsten betroffenen Erdbebengebieten oder in der Umgebung des AKW Fukushima ist nicht geplant. Die japanische Regierung prüft derzeit unter anderem ein deutsches Angebot für den Einsatz von Spezialrobotern.
Quelle für hohe Radioaktivität im Meer vor Fukushima unklar
Die Uno-Atomenergiebehörde machte sich zuerst dafür stark. Jetzt hat auch die japanische Nuklear-Aufsicht weitere Evakuierungen um das Katastrophen-AKW Fukushima empfohlen. Die Regierung müsse eine Ausweitung der Evakuierungszone erwägen, erklärte die Behörde am Donnerstag. Um das AKW Fukushima I gilt bislang eine Evakuierungszone von 20 Kilometern. Einwohnern in einem weiteren Umkreis von 30 Kilometern wird empfohlen, wegen der Strahlengefahr das Gebiet zu verlassen oder sich nicht im Freien aufzuhalten. Der Uno-Atombehörde IAEA zufolge wurden jedoch auch in einem Dorf 40 Kilometer von Fukushima entfernt hohe Strahlungswerte gemessen.
Die Radioaktivität in dem Meerwasser vor dem AKW nahm unterdessen weiter zu und erhöhte sich auf einen Rekordwert. Die japanische Atombehörde meldete, die Konzentration von radioaktiven Jod-Partikeln liege 4385-fach über dem Grenzwert. Wie die Radioaktivität ins Meer gelangte, ist noch immer unklar. Der AKW-Betreiber Tepco vermutet, dass das Jod entweder von den Reaktoren selbst oder von beschädigten Brennstäben in den Abklingbecken stammt. Ein Austritt aus den Abwasserrohren sei jedoch noch nicht bestätigt worden, meldete die Nachrichtenagentur Jiji Press.
Auch außerhalb Japans wächst die Sorge vor den Folgen der Reaktorkatastrophe. Singapur erklärte, die Strahlenbelastung von Kohl aus Japan überschreite teilweise den Grenzwert um das neunfache. Sogar in Milchproben im US-Bundesstaat Washgington fanden US-Behörden "minimale“ Radioaktivitätswerte. Die gemessene Strahlung sei jedoch weit davon entfernt, für Menschen gefährlich zu sein.
Der Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), Achim Steiner, kritisierte die Informationspolitik der japanischen Behörden und des Tepco-Konzerns. „Was im Augenblick für viele am schwersten nachzuvollziehen ist, ist die Frage, wieso Information, deutliche, klare, präzise Information, so schwierig zu bekommen ist“, sagte Steiner der „Berliner Zeitung“ (Donnerstag). Der Unep-Direktor warnte zugleich vor weiteren schweren Reaktorunfällen. Mindestens zwanzig, dreißig Reaktoren der gleichen Bauart wie der Katastrophenreaktor Fukushima seien weltweit in Betrieb, auch in erdbebengefährdeten Gebieten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in einem Telefonat mit Japans Ministerpräsidenten Naoto Kan Hilfe bei der Bewältigung der Krise zugesagt. Kan habe versichert, dass Japan die internationale Gemeinschaft weiter umfassend über das Krisenkraftwerk Fukushima unterrichten werde, wie die Nachrichtenagentur Kyodo meldete. Nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert im Internet-Kurznachrichtendienst Twitter prüfe die japanische Regierung ein deutsches Angebot für den Einsatz von Spezialrobotern.
Im Kampf gegen einen Super-GAU wird am Donnerstag weitere Technik aus Deutschland nach Japan geflogen . Vom Stuttgart aus soll ein Großraumflugzeug mit einem Gerät des Pumpenherstellers Putzmeister an Bord starten. Mit der mehr als 60 Meter hohen Pumpe kann nach Angaben des Unternehmens Wasser von oben in die Reaktoren gepumpt werden. In den nächsten Tagen sollen drei weitere der bis zu 80 Tonnen schweren Geräte folgen. Die Pumpen sollen zunächst zur Kühlung verwendet werden, später werden sie eventuell für Beton-Arbeiten gebraucht. Eine erste Pumpe der Firma hilft bereits seit mehr als einer Woche bei der Kühlung des Atomkraftwerks Fukushima eins.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte die Bundesregierung auf, Japan die Ausrichtung einer Internationalen Hilfskonferenz zur Bewältigung der Atomkatastrophe anzubieten. „Dabei sollte es nicht nur um die Sicherung des Reaktors gehen“, sagte Gabriel am Mittwoch in Braunschweig. Fragen nach Belastungen des Wassers, der Nahrungsmittel, nach Untersuchungen der betroffenen Menschen und nach der Größe des zu evakuierenden Gebiets sollten auch Themen sein.
Wieder starkes Nachbeben im Nordosten Japans
Die Katastrophenregion im Nordosten Japans ist am Donnerstag erneut von einem starken Nachbeben heimgesucht worden. Die Erschütterung hatte eine Stärke von 6,0, wie der Fernsehsender NHK berichtete. Eine Warnung vor Tsunami gaben die Behörden nicht aus. Auch lagen keine Berichte über mögliche weitere Schäden oder Verletzte in Folge des Nachbebens vor. Der Erdbebenherd lag unter dem Meeresboden vor der Katastrophenprovinz Miyagi. Auch in der etwa 300 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio gerieten Hochhäuser ins Schwanken. (dpa/reuters)