Projektarbeit: Die Klasse 11 B forschte über den Namensgeber Ihrer Schule. Interview mit dem Deutschlehrer über den am 20. November 1947 verstorbenen Schriftsteller.

SCHÜLER MACHEN ZEITUNG: Warum heißt denn unsere Schule Wolfgang-Borchert-Gymnasium?

HANS-JÜRGEN HELLER: Wir, die Mitglieder der Theater-AG, haben Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" 1979 an dieser Schule gespielt. Und das Ganze hatte einen großen Erfolg. Wir hatten zwar nicht immer ausverkauftes Haus, aber die Leute, die da waren - Schüler und Eltern - haben das Stück als ergreifend empfunden. Es war die Zeit der Nato-Doppelbeschlüsse, also Aufstellung der Pershing-Atomraketen in Europa durch die USA, und der Friedensbewegungen. Und deshalb war vor allen Dingen das "Sag nein!" und überhaupt diese Kriegsthematik ein wichtiger Aspekt. Der nächste Schritt war 1981, als die Schule, die ja "Im Entstehen" hieß, eine Oberstufe bekam und damit einen Namen kriegen sollte. Das heißt, die Schule mußte einen Namen bekommen. Die Mitglieder der Theatergruppe, der damalige Schulleiter und seine Sekretärin sind im Gespräch auf die Idee gekommen, diese Schule "Wolfgang-Borchert-Gymnasium" zu nennen. Daraufhin haben wir den Antrag gestellt, begründet und über die Schülervertretung in die Schulkonferenz eingebracht. Es waren noch andere Namen im Gespräch. Die sind aber abgelehnt worden.

SMZ: Wie würden Sie Wolfgang Borcherts Sprache beschreiben?

HELLER: Die Sprache ist faszinierend, sie geht unter die Haut, sie ist sehr einprägsam, weil sehr impulsiv und auch sehr expressiv. Wer diese Sprache mag, denn nicht jeder mag diese Sprache, kann sehr fasziniert davon sein.

SMZ: Würden Sie sagen, daß Wolfgang Borchert, wenn er nicht so früh gestorben und dieser Mythos nicht entstanden wäre, nur einer von vielen gewesen wäre?

HELLER: Das ist eine interessante Frage, die natürlich fiktiv ist. Wolfgang Borchert ist zu dem Schriftsteller geworden, nicht weil er früh gestorben ist, sondern weil irgendein gravierendes Erlebnis kurz vor seinem Tod seine Fähigkeiten als Schriftsteller herausbrechen ließ. Dieses Erlebnis könnte man als die "Rückkehr aus der Flucht nach Hamburg" bezeichnen, als Borchert vor den Toren Hamburgs stand und seine Heimatstadt zerstört war. Für uns ist das nicht mal im Ansatz nachvollziehbar. Es muß ein ungeheurer Ruck in ihm vorgegangen sein, so ein Ruck, der seine schriftstellerischen Fähigkeiten in ihm freigemacht hat, so daß danach eben die Literatur entstanden ist, die wir als sein literarisches Werk kennen. Dann ist in relativ kurzer Zeit, in wenigen Tagen, dieses "Draußen vor der Tür" entstanden. Gedichte, alles, was er davor geschrieben hat, waren äußerst dilettantisch. Er hat sich mal an einem Theaterstück versucht, das ist nur ein einziges Mal aufgeführt worden und hatte überhaupt keine literarische Qualität. Im Nachhinein ist das natürlich ein Borchert-Nachlaß. Wie sein literarisches Schaffen weitergegangen wäre, das kann man schlecht sagen. Er hätte wesentlich mehr produziert. Er hätte mit Sicherheit einen literarischen Wandel durchgemacht, er hätte die Nachkriegszeit literarisch überlebt wie viele Schriftsteller, die dann irgendwann gesagt haben: "Es ist genug mit der Thematik ,Krieg' oder mit den Themen ,Atomkraft', ,Naturgewalt'!"

SMZ: Wir glauben, daß in den Köpfen von vielen Schülern der Mensch Wolfgang Borchert nicht richtig verankert ist. Man setzt sich zuwenig damit auseinander.

HELLER: Alle, die auf ein Gymnasium gehen, das einen Namen hat, laufen nicht ständig herum und huldigen diesem Namen, sondern dieser Name und die Schule sind Alltag. Das halte ich für etwas völlig Normales. Aber das Bewußtsein, die Botschaft, die er uns gebracht hat, die muß in den Köpfen ein bißchen verankert sein. Also, die Menschlichkeit, Verantwortungsgefühl, Selbstbestimmung, um mal diese drei zu nennen, wofür er steht. Vielleicht ja auch ein Stückchen Pazifismus. Wider den Krieg! Wir können ja nicht für den Krieg sein, wir können ja nicht für das Morden sein, für das Abschlachten anderer Menschen, bloß weil diese anderer Meinung sind. Und das sind Sachen, die müssen in den Köpfen bewegt werden. Insofern hat die Schule natürlich eine Aufgabe. Und mit Schule meine ich nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schüler, die sich dann bemühen müssen, ein bißchen zu hinterfragen, nachzulesen, so wie ihr das jetzt tut.