Meine Familie stammt aus der Türkei. Dort gibt es verschiedene Völker, unter anderem die Kurden. Zwischen den verschiedenen Völkern gibt es politischen Streit. Meine Familie wurde in der Türkei bedroht. Wir sind nämlich Kurden. Und wir sind nach Deutschland, Hamburg-Altona, geflohen. Fast sieben Jahre haben wir in einem Kirchenasyl gelebt. Wir, das sind meine Mutter Remziye A. (damals 28 Jahre alt), Onkel Mehmet und Hüseyin (damals 16 und 14 Jahre alt), Ridvan, Diyar, Aynur und Rojbun (damals zwischen acht Jahren und sechs Monaten alt) und ich, Aycan. Mein Vater verschwand, als wir einen Ausweisungsbescheid bekamen. Er hatte Angst, in die Türkei zu gehen, weil er da gefoltert worden war.

Pastor Peter H. nahm uns auf. Nur im Souterrain unter der Kirche war der Raum groß genug für uns alle. Mit der Zeit gewöhnten wir uns an die Wohnsituation und die Menschen. Wir Kinder gingen zur Schule, unsere Mutter lernte Deutsch. Lesen und Schreiben war etwas ganz Neues für sie, in ihrer Muttersprache war sie Analphabetin.

Nach und nach lernten wir die Menschen der Gemeinde kennen. Der Küster Gerard und seine Frau Heide brachten Freude und Spaß in unser Leben. Sie waren wie Großeltern für uns. Oft backte Heide mit uns zu Weihnachten Kekse. Mit Gerard spielten wir viele Spiele auf dem Kirchhof. Sogar eine Schaukel baute er uns an einem Baum. Gerard konnte auch unendlich viele Geschichten erzählen.

Der Pastor lebte mit seiner Frau Gisela im Pastorrat. Peter war immer für uns da, er half, wo er konnte. Wir haben ihn furchtbar lieb. Und auch seinen spielfreudigen Hund Harry, mit dem wir viel Spaß hatten.

Dennoch ist es nicht spaßig, ein Flüchtling zu sein. Denn wir älteren Kinder Ridvan, Diyar und ich haben ja noch miterlebt, wie das ist, wenn Soldaten plötzlich in das Haus stürmen und unsere Mutter überfallen. Davon hat mein Bruder immer noch Alpträume. Mir haben die Soldaten den Arm gebrochen, als ich meine Mutter beschützen wollte. Die furchtbaren Szenen meiner Kindheit sind in mir unauslöschbar.

Wie schafft man den Weg aus einer Katastrophen-Situation?

Zum Beispiel mit solchen tollen Menschen aus der Asylgruppe der Paulusgemeinde: Peter, Otfried, Ulrike, Jutta, Frenzy, Gisa, Corinna, Uwe und meinem Onkel Mehmet. Sie waren es, die für alle menschlichen, rechtlichen und praktischen Probleme Lösungen suchten und fanden, zum Beispiel Rechtsanwälte, Ärzte, Schularbeiten und Nachhilfe. Von ihnen stammt auch die Idee, einmal monatlich ein Benefiz-Konzert zu machen.

Ohne die Zielstrebigkeit und Ausdauer dieser Menschen, was wäre dann aus uns geworden?

Wir hätten zurück in unsere Heimat Kurdistan gehen müssen. Selbst Abdullah Öcalan, der sich auf politischem und militärischem Weg für die Rechte der Kurden eingesetzt hat, sitzt heute im Gefängnis der Türkei. Zum Tode verurteilt, begnadigt auf lebenslange Haft.

Wie geht es meiner Familie heute? Seit fast einem Jahr haben wir eine Wohnung. Wir dürfen in Deutschland bleiben. Meine Mutter hat einen Job. Wir Kinder gehen zur Schule. Wir haben es endlich geschafft, ein normales Leben zu führen.

Aycan Atug, 9 e

Gesamtschule Eppendorf

  • Infos im Internet: www.inidia.de/flucht_und_asyl.htm, www.Hamburger-stiftung.de, www.fluchtpunkt-hamburg.de.