Dioxine sind klassische Umweltgifte. Der Schadstoff ist langlebig, entsteht bei Verbrennungsprozessen und kommt überall in der Umwelt vor.
Hamburg/Dessau. Alle paar Jahre geraten sie in die Schlagzeilen: Dioxine in Futtermitteln und in tierischen Fetten. Im aktuellen Fall des Uetensener Futtermittelherstellers Harles und Jentzsch liegt ihre Herkunft noch weitgehend im Dunkeln. Fest steht: Dioxine sind klassische Umweltgifte. Sie entstehen in geringen Mengen in verschiedensten industriellen, aber auch natürlichen Prozessen, werden biologisch kaum abgebaut und reichern sich im Fettgewebe von Pflanzen, Tieren und Menschen an.
"Dioxine bilden sich überall dort, wo Temperaturen von 300 bis 600 Grad herrschen und Chlor vorhanden ist", sagt Dr. Steffi Richter, Leiterin des Fachgebiets Internationales Chemikalienmanagement beim Umweltbundesamt in Dessau. Diese Bedingungen treffen für viele chemische Prozesse zu, denn Chlor ist sehr häufig vorhanden - etwa in Form von Salzen wie dem Kochsalz Natriumchlorid.
Da die Gifte auch schon bei niedrigeren Temperaturen entstehen, könnten sie sich beispielsweise auch beim Ausschmelzen von Fetten aus Tierkadavern oder anderen fetthaltigen Abfällen bilden, sagt der Hamburger Lebensmittelchemiker Prof. Hans Steinhart. Hier gelangen sie nicht direkt in die Umwelt, bleiben aber zum Beispiel als technische Fette in der industriellen Nutzung "im Verkehr"; diese sind jedoch nicht für den menschlichen Verzehr gedacht.
Typische technische Prozesse mit Dioxinbildung seien das Metallrecycling und die Müllverbrennung, so Uba-Expertin Richter. Die Abfallverbrennung war noch vor wenigen Jahrzehnten eine Hauptquelle für die Dioxinbelastung der Luft. Richter: "Dioxine bilden sich im abkühlenden Rauchgas. Doch heute ist die Technik in Europa so hoch entwickelt, dass die Schadstoffe dank ausgefeilter Prozessführung und Filtertechnik nicht mehr in die Umgebung gelangen. Und es gibt strenge Abluftgrenzwerte, die sicherstellen, dass diese Quellen fast geschlossen sind." Eine "große Quelle" seien jedoch Hausheizungen, Kaminöfen und Kleinfeuerungsanlagen in Gewerbebetrieben, betont Richter. "Bei der Verbrennung von Braunkohle und Holz entstehen Dioxine. Die Energieträger enthalten Chlor, weit mehr als Öl oder Erdgas."
Die Belastung von Muttermilch hat um 60 Prozent abgenommen
Vor allem durch Einträge in die Luft sind Dioxine feinstverteilt überall in der Umwelt vorhanden und werden von den Menschen täglich aufgenommen. 95 Prozent der Dioxinbelastung des Menschen stammt aus der Nahrung. "Die bedeutendste Quelle sind allgemein Milch und Milchprodukte, mit großem Abstand gefolgt von Fisch und Fleisch. Hühnereier machen weniger als zehn Prozent der Einträge über die Ernährung aus", sagt Professor Heidi Foth, Leiterin des Instituts für Umwelttoxikologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Immerhin ist die Belastung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken. Das zeigen etwa Untersuchungen von Muttermilch, in der sich die Substanzen vergleichsweise stark anreichern (dennoch raten Gesundheitsexperten zum Stillen): Seit Ende der 1980er-Jahre hat der Dioxingehalt der Milch um 60 Prozent abgenommen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält eine Tagesdosis von ein bis vier Pikogramm (Billionstel Gramm) pro Kilogramm Körpergewicht für akzeptabel. Die Belastung der deutschen Bevölkerung schwanke derzeit zwischen 0,7 und gut einem Pikogramm, so Foth.
"Insgesamt bin ich überzeugt, dass unsere Lebensmittel sicher sind", betont Lebensmittelchemiker Steinhart. "Man darf nicht vergessen, dass die chemisch-analytischen Methoden in den vergangenen Jahren so verbessert wurden, dass wir noch einzelne Moleküle zum Beispiel im Starnberger See nachweisen können. Das war vor etwa 20 Jahren noch nicht möglich."
Die jetzigen Dioxin-Funde in Futtermittel erhöhen die Gesamtbelastung im schlimmsten Fall - wenn belastete Tierprodukte tatsächlich auf dem Teller landen - nur minimal. Aber auch dies sei bedenklich, denn das Gift reichert sich im Körper an, warnen Verbraucherschützer. Jedes zusätzliche Pikogramm vergrößert das Dioxindepot im Fettgewebe. Es werden zwar keine Gehalte erreicht, die so hoch sind, dass sie unmittelbar Krebs auslösen oder starke Hautausschläge (Chlorakne) hervorrufen - traurige Beispiele für solche Belastungen waren der Industrieunfall im italienischen Seveso im Jahr 1976 und die Pestizidproduktion der Firma Boehringer in Hamburg-Moorfleet. Doch weisen Toxikologen darauf hin, dass die Substanzen schon in sehr geringen Mengen den Stoffwechsel von Zellen beeinflussen. Sie aktivieren spezielle Enzyme, die an der Krebsentstehung beteiligt sind. Auf diese Weise werden womöglich die krebserregende Wirkungen anderer Schadstoffe, etwa aus dem Zigarettenrauch, verstärkt.
Die Tatsache, dass sich Dioxine im Fettgewebe von Pflanzen, Tieren und Menschen anreichern, führte zu Grenzwerten, die nur geringste Spuren von milliardstel Gramm (Nanogramm) in Lebensmittelfetten zulassen. Auch für Abwässer und Böden, Abfälle und Klärschlamm gibt es Grenzwerte, die nach Aussagen des Umweltbundesamts ausreichend streng sind.
Für technische Einsatzstoffe gibt es dagegen keine gesetzlichen Limits. Gerade deshalb dürfen technische Fette auf keinen Fall in den Nahrungskreislauf geraten, so wie dies beim Uetensener Futtermittelproduzenten Harles und Jentzsch geschehen ist. Die Palette der technischen Anwendungen ist so umfangreich, dass es nur einzelne spezielle Vorschriften gibt, die Prozesse oder Substanzen betreffen, von denen bekannt ist, dass durch sie Dioxine entstehen können.
Das Altfett-Recycling ist anfällig für kriminelle Machenschaften
Auch hier habe sich in den vergangenen Jahren viel getan, so Richter: "Die chemische Industrie stellt problematische Produkte, etwa chlororganische Pestizide, inzwischen nicht mehr her. Dort, wo noch dioxinhaltige Nebenprodukte anfallen, haben die Betriebe spezielle Verbrennungsanlagen, um die Stoffe vollständig zu beseitigen." Und der potenzielle Ausgangsstoff PCB, eine technische Substanz, die massenhaft beispielsweise in Transformatoren und Kondensatoren eingesetzt wurde, sei längst verboten. Für PCB-haltige Altöle gebe es umweltgerechte Entsorgungswege mit hohen Standards.
Die Zusammensetzung der verschiedenen Dioxin-Varianten beim aktuellen Futtermittelskandal spreche gegen eine illegale Entsorgung von technischen Nebenprodukten, sagt auch Manfred Santen, Chemiker bei Greenpeace. Generell sei das Altfett-Recycling aber anfällig für kriminelle Machenschaften. Santen: "Die Altfette werden in einer unübersichtlichen Einsammlung bei einer Vielzahl von Verbrauchsstellen abgeholt. Da kann es ganz schnell passieren, dass absichtlich oder unabsichtlich schadstoffhaltige Substanzen hineingeraten. Illegale Entsorgungen von dioxinhaltigen Fetten hat es dort in der Vergangenheit ein paar Male gegeben."
Wodurch die technischen Fette im aktuellen Fall verschmutzt wurden, bleibt weiter unklar. Manfred Santen verfolgt derzeit die von der Organisation Foodwatch bereits öffentlich geäußerte These, dass sie aus Pestiziden oder ähnlichen Substanzen entstanden sein könnten: "Gefährliche Pestizide aus der Gruppe der Chlorphenole, etwa das in Deutschland längst verbotene PCP, werden in Südostasien und Südamerika noch eingesetzt. Sie könnten als Rückstände in Soja- und Palmöl nach Deutschland gelangen und in der weiteren Verarbeitung zu Dioxinen führen - sei es in Friteusen oder in Biodiesel-Raffinerien. Dies ist zunächst nur eine theoretisch denkbare Quelle, die aber in die Ursachenforschung einbezogen werden sollte", sagt Santen.
Video: Dioxin - eine kleine Chronologie