Eine neue Probe überschritt den Dioxin-Wert um das 72-fache. Die Verbraucherministerin will strengere Vorgaben für die Futtermittelbranche.
Berlin/Schwerin/Kiel/Hannover. Das Kieler Landwirtschaftsministerium hat im Futtermittel-Skandal drei weitere Proben mit deutlich überhöhten Dioxin-Werten gefunden. Eine Probe habe den erlaubten Grenzwert um das 72-fache überschritten, sagte ein Sprecher des Ministeriums am Montag. Unterdessen forderte der Bauernverband Schleswig-Holstein, dass die Futtermittelbranche einen Haftungsfond für Entschädigungszahlungen einrichtet. Die Schadensregulierung dürfe nicht an einer fehlenden Zahlungsfähigkeit des Verursachers scheitern, erklärte Bauernverbandspräsident Werner Schwarz in Rendsburg. „Der Schaden, der den Bauern entstanden ist, geht in die Millionenhöhe und muss ausgeglichen werden.“ Dagegen hält der Deutsche Verband Tiernahrung (Bonn), in dem die Futterhersteller zusammengeschlossen sind, am Verursacherprinzip fest.
Das Schlachtverbot für etwa 20 landwirtschaftliche Betriebe in Schleswig-Holstein wurde wieder aufgehoben. Für die im Norden noch verbliebenen 61 gesperrten Betriebe werde die Aufhebung des Verbots für die nächsten Tage vorbereitet, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Bundesweit waren zuletzt noch 1635 Betriebe gesperrt. Der Dioxingehalt betrug bei den fünf jetzt ausgewerteten Proben zwischen 0,57 Nanogramm (ng) bis 54,28 ng – Grenzwert ist 0,75 ng. Damit wurden inzwischen 43 vom Ministerium zur Untersuchung gegebene Futterfettproben aus Eingangs- und Ausgangsware der Uetersener Firma Harles und Jentzsch vom Standort Bösel in Niedersachsen analysiert. In 28 Fällen wurde der zulässige Höchstgehalt an Dioxin überschritten, in 15 Fällen lagen die Werte darunter.
Die Staatsanwaltschaft in Itzehoe wollte sich am Montag nicht zum Stand der Ermittlungen gegen den Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch in Uetersen (Kreis Pinneberg) äußern. Kürzlich waren bei einer Razzia zahlreiche Unterlagen beschlagnahmt worden. Inzwischen gibt es neue Hinweise über die Herkunft des Dioxins in dem Futterfett. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch behauptete, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln seien in einer Probe von Harles und Jentzsch als Ursache des Dioxins festgestellt worden. Der Ministeriumssprecher in Kiel wollte dies weder bestätigen noch dementieren. Das Bundesverbraucherschutzministerium in Berlin bezeichnete die Angaben als reine Spekulation.
Bundesagrarministerin Ilse Aigner setzt sich für schärfere Regeln in der Futtermittelbranche ein, um weitere Dioxin-Fälle zu verhindern. Die CSU-Politikerin forderte „konkrete Vorschläge“. „Dieser Fall muss und er wird Konsequenzen haben“, sagte Aigner am Montag nach einem Krisentreffen mit Spitzenvertretern der Branche in Berlin. Die EU-Kommission hält Importverbote anderer Staaten für Eier oder Fleisch aus Deutschland für überzogen. Auf Basis der nun zu erarbeitenden Vorschläge aus der Branche werde sie über Veränderungen entscheiden, sagte Aigner weiter. Ein Punkt werde auch die Frage der Zulassung von Betrieben sein. „Der entstandene Schaden ist immens“, sagte Aigner. Nicht nur finanziell, sondern vor allem sei auch das Vertrauen der Verbraucher erschüttert. „Es gibt keinen Grund zur Panik, aber auch nicht zur Verharmlosung“, betonte die CSU-Politikerin.
Bärbel Höhn, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, kritisierte Aigners Vorschläge nach dem Treffen in Berlin. „Ministerin Aigner hat keine konkrete Maßnahme genannt, wie man in Zukunft solche Skandale verhindern will“, sagte Höhn. „Nur wage Absichtserklärungen, Prüfaufträge und der Verweis auf Vorschläge seitens der Futtermittelindustrie.“ Das reiche nicht. Aigner wolle das Thema offenbar aussitzen. Am Dienstag will sich Aigner in einer Sondersitzung des Verbraucherausschusses des Bundestags den Fragen der Abgeordneten stellen. Die SPD forderte die Einführung einer zentralen Warnplattform für gefährdete Lebensmittel.
Südkorea blockiert seit Mitte vergangener Woche Schweinefleisch aus Deutschland. Nach Angaben der EU-Kommission sprach das EU- Mitglied Slowakei dagegen kein vergleichbares Verbot aus. Russland habe die Kontrollen für deutsche Produkte verschärft. Europäische Futterfett-Hersteller wollten am Montag in Brüssel mit der EU- Kommission tagen, um über die Trennung von Industrie- und Futterfetten in Produktion und beim Transport zu beraten. Auch Aigner will eine solche Trennung in Deutschland durchsetzen.
Dioxin nur auf wenigen Höfen tatsächlich nachgewiesen
Nach der vorsorglichen Sperrung tausender Höfe wegen des Dioxin-Skandals sind in Niedersachsen bisher nur in weniger als zehn Betrieben tatsächlich belastete Erzeugnisse gefunden worden. Dabei habe es sich um Eier gehandelt, die alle vernichtet würden, sagte der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Hannover, Gert Hahne, am Montag. In 1470 Betrieben laufen landesweit weiter Überprüfungen, rund 3000 gesperrte Höfe wurden am Wochenende wieder freigegeben. Zur genauen Herkunft des Dioxins in dem Tierfutter konnte der Sprecher noch nichts sagen. Die Organisation Foodwatch hatte Pflanzenschutzmittel als wahrscheinliche Ursache für die Verunreinigung des Fettes genannt
Schlachtverbot für etwa 20 Betriebe aufgehoben
In Schleswig-Holstein ist das Schlachtverbot für etwa 20 landwirtschaftliche Betriebe aufgehoben. Die Umsetzung dieser Anordnung obliege den Kreisen, sagte ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums am Montag in Kiel. Er gehe davon aus, dass die Kreise die Betriebe, bei denen es um Schweinemäster handle, umgehend informierten. In Schleswig-Holstein seien jetzt noch 61 Betriebe gesperrt. Frühestens am Mittwoch sei damit zu rechnen, dass auch sie wieder normal arbeiten könnten. Die Darstellung der Verbraucherschutzorganisation Organisation Foodwatch, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln seien als Ursache des Dioxins festgestellt, konnte der Sprecher weder bestätigen noch dementieren: „Wir wissen es nicht, die Auswertung der Proben ist noch nicht abgeschlossen.“
Grüne fordern mehr Öko-Lamdbau
Die Bündnisgrünen in Mecklenburg-Vorpommern haben angesichts von Dioxin in Tierfutter ein Umsteuern in der Agrarpolitik gefordert. Der Skandal zeigt nach Ansicht des grünen Landesvorsitzenden Jürgen Suhr, „welche Risiken Massentierhaltung berge und dass die Schweriner Landesregierung falsche Prioritäten setze.“ Eine zeitgemäße Agrarpolitik müsse mehr auf artgerechte Tierhaltung und ökologischen Landbau setzen, teilte er am Montag in Schwerin mit. Das komme im Nordosten zu kurz.
Bundesweit sind noch rund 1300 Betriebe gesperrt, im Nordosten sind 18 Tierhalter bisher davon betroffen. Eine Gesundheitsgefahr besteht nach Ansicht von Experten bisher aber nicht
Aigner fordert hartes Durchgreifen
Ilse Aigner hat in dem Dioxin-Skandal ein hartes Durchgreifen der Justiz gegen kriminelle Futterhersteller gefordert. Die CSU-Politikerin sagte der "Bild am Sonntag": "Sieht man jetzt die ersten Hintergründe, wird man den Verdacht nicht los, dass sich hier kriminelle Energie mit erschreckender Skrupellosigkeit paart.“ Am Wochenende wurde erstmals seit Entdeckung giftiger Futtermittel die Sperrung von Milchhöfen aufgehoben. Aigner will aber dennoch noch keine generelle Entwarnung geben.
Denn am Wochenende wurden gleichzeitig abermals extrem hohe Dioxinwerte in Futterfetten veröffentlicht. Bei den Veröffentlichungen ging es erneut um Proben des Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch, der im Zentrum des Skandals steht. Am Freitag waren bereits teils 77-fache Überschreitungen der Dioxin-Grenzwerte festgestellt worden, so meldete das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium am Sonnabend weitere Extremwerte von bis zu 54,67 Nanogramm Dioxin – bei einem zulässigen Grenzwert von nur 0,75 Nanogramm.
Rund 3.000 Tonnen dioxinbelastetes Futterfett hatte die Firma aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen an Abnehmer in mehreren Bundesländern ausgeliefert. Bereits am Freitag war bekannt geworden, dass überhöhte Werte des unter Krebsverdacht stehenden Gifts schon im März 2010 festgestellt, aber nicht veröffentlicht worden waren.
Der "Spiegel" berichtet, dass die Firma sogar im Sommer von staatlichen Prüfern kontrolliert worden war. Diese legte ihnen aber alarmierende Testergebnisse angeblich nicht vor. Aus Sicht des niedersächsischen Agrarministeriums könnte sich der Hersteller nicht nur Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht, sondern auch des Betrugs und der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben
Der Strafrahmen müsse ausgeschöpft werden, sagte Aigner. Bis zu fünf Jahren Haft sind in schweren Fällen möglich. Die CSU-Politikerin kündigte zudem an, Gesetzesverschärfungen zu prüfen. Zunächst sei der Fall vollständig zu klären. "Vorrangig muss dafür gesorgt werden, dass belastetes Futtermittel zurückverfolgt wird und belastete Produkte nicht in den Handel gelangen“, sagte Aigner.
Rund 4.700 Höfe waren bundesweit gesperrt worden, weil möglicherweise dioxinverseuchtes Futter verfüttert worden war - 4.500 davon allein in Niedersachsen. Am Sonnabend gab das Agrarministerium dort aber die ersten 500 Bauernhöfe wieder frei. Ministeriumssprecher Gert Hahne sagte, Untersuchungen von Milch, Butter und Käse hätten keine Belastung mit dem Gift ergeben. Zwölf Betriebssperren wurden auch in Nordrhein-Westfalen wieder aufgehoben. Dort sind nun noch knapp 170 Höfe gesperrt. Sie dürfen keine Eier oder Fleisch verkaufen. Zuletzt hatten die Landesbehörden hatten nicht nur bei Eiern, sondern auch im Fleisch von Legehennen überhöhte Dioxinwerte gefunden.
Unterdessen schlugen Tierschützer vor, Belastete und unbelastete Eier zu mischen, um unter verträgliche Grenzwerte zu kommen. Ähnliches sei auch beim Fleisch möglich, sagte der Vorsitzende der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Thomas Blaha, dem "Focus“. Massentötungen von Hühnern oder Schweinen seien unnötig.
Der Deutsche Bauernverband sorgt sich wegen des wirtschaftlichen Schadens der Höfe, der sich auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche belaufe. "Die Landwirte dürfen nicht auf den Schäden sitzen bleiben“, sagte Verbandschef Gerd Sonnleitner laut "Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung“. Aigner äußerte sich jedoch reserviert gegenüber Ausgleichsforderungen an den Staat. "Ich hielte es für falsch, in einen Wettlauf der Forderungen einzutreten“, sagte sie dem Blatt. Priorität habe der Schutz der Verbraucher und die vollständige Aufklärung.
Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure schlug vor, unsauber arbeitende Betriebe öffentlich zu machen. Dadurch würden Firmen "angespornt, sich zu bessern“, sagte Verbandschef Martin Müller der "Frankfurter Rundschau“. In Deutschland arbeiteten laut Statistik "75 Prozent der Betriebe einwandfrei, die restlichen 25 Prozent weniger.“ (dpa)