Die Behörde will die Vertriebswege von belastetem Schweinefleisch klären. In Schleswig-Holstein sind keine Probeschlachtungen geplant.
Hannover. Niedersachsens Agrarministerium schließt nicht mehr aus, dass mit Dioxin belastetes Schweinefleisch in den Handel gelangte. Auch für Nordbayern gibt es den Verdacht. Nach der Dioxinbelastung bei Schweinen im Landkreis Verden nehmen die niedersächsischen Behörden die Verkaufswege des verdächtigen Fleisches unter die Lupe. „Es besteht gute Hoffnung, dass ein Großteil noch in einem Kühlhaus ist“, sagte der Sprecher des Agrarministeriums, Gert Hahne, am Mittwoch in Hannover. Die Behörden prüften, ob möglicherweise mit Dioxin belastetes Schweinefleisch in den Handel gelangt sei.
Bei einem Schweinemäster in Langwedel (Kreis Verden) waren bei Probeschlachtungen überhöhte Dioxin-Werte gemessen worden. Rund 140 Tiere sollten getötet werden. In den vergangenen Wochen hatte der Landwirt 150 mit Dioxin-Futter gefütterte Schweine zu einem niedersächsischen Großschlachthof gebracht. Das sagte Kreisveterinär Peter Rojem am Mittwoch. Das mit Dioxin verseuchte Futter hätten die Schweine seit dem 26. November bekommen. „Wir haben alle Schlachtungen seit der Zeit erfasst.“
Der betroffene Schweinemast-Betrieb hat mehr Fett ins Futter gemischt als üblich. Normal ist ein Zusatz von einem bis zwei Prozent, der Schweinemäster mischte möglicherweise bis zu zehn Prozent zu.„Der Betrieb hat relativ kleine Mengen Schweine schnell fett gezüchtet“, sagte der Ministeriumssprecher. „Das ist erlaubt, der Landwirt kann im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen füttern, was er möchte. Diätpläne für Mastschweine werden wir nicht aufstellen.“ Den Schweinehaltern gehe es darum, möglichst schnell Geld mit dem Mästen zu verdienen.
Möglichweise sind noch mehr Schweine mit zu hohen Dioxinwerten regulär geschlachtet und vermarktet worden. Neun weitere Schweinemäster hatten das Futter bei dem Langwedeler Kollegen gekauft, der neben der Mast ein eigenes Futterwerk betreibt. Dieser hatte das verseuchte Futterfett von Harles und Jentzsch bezogen. Probeschlachtungen sollten bei den verdächtigen Höfen am Donnerstag erfolgen, sagte Rojem. Ergebnisse gebe es Anfang kommender Woche.
Vergangene Woche hatte das niedersächsische Agrarministerium erklärt, die allermeisten der gesperrten Schweinebetriebe dürften unbedenklich sein, da der Fettanteil im Futter geringer sei als im Fett für Legehennen. Nach wie vor liegt die Zahl der noch gesperrten Betriebe in Niedersachsen nach Ministeriumsangaben bei etwa 330, vor allem Schweinehalter und Geflügel-Farmen sind betroffen.
Unterdessen sind in Schleswig-Holstein keine Probeschlachtungen von Schweinen geplant. „Wir haben aufgrund der offengelegten Handelswege Risikoanalysen gemacht“, sagte der Sprecher des Agrarministeriums, Christian Seyfert am Mittwoch. „Bei diesen Risikoanalysen sind wir überall sicher unter dem zulässigen Höchstwert von 0,75 Nanogramm geblieben.“ Folglich müsse es nach jetzigen Stand auch keine Probeschlachtungen geben. Gesperrt ist im Land nur noch ein Putenmastbetrieb. Das Schlachtverbot für alle anderen rund 80 zwischenzeitlich betroffenen Höfe wurde aufgehoben.
Für die Verursacher des Dioxin-Skandals fordert Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner harte Strafen. Die Schuldigen müssten mit aller Härte haften, sagte die CSU-Politikerin am Mittwoch im ZDF-„Morgenmagazin“. „Das ist kein Kavaliersdelikt. Das ist ein echter Skandal, was hier vorgefallen ist.“
Die Ministerin versicherte, der Dioxin-Fall werde nicht ohne Konsequenzen bleiben. „Wir werden jetzt die komplette Futtermittelkette von vorne bis hinten durchscreenen und auch die Vorschriften verschärfen“, sagte Aigner weiter.
Unterdessen fordern auch die Geflügelhalter in Mecklenburg-Vorpommern mehr Kontrollen durch das Land. Dazu müssten die Landesbehörden auch mehr Kontrolleure beschäftigen, sagte Marion Dorn als Verbandsvorsitzende, dem Neubrandenburger „Nordkurier“. Dass sich die Futterproduzenten selbst kontrollieren sei gut, aber es gebe auch schwarze Schafe.
Die Betriebe wollen Futtermittelproduzenten künftig vertraglich zur Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben verpflichten. Wer nicht bereit sei, zuzusichern, dass alle Inhaltsstoffe den Vorgaben entsprechen, könne sein Futter nicht mehr an die Geflügelhalter verkaufen.
Die Branche im Nordosten gehört zu den wichtigsten Geflügelfleisch-Produzenten bundesweit. Jährlich werden rund 100.000 Tonnen Geflügelfleisch produziert. Aus dem Nordosten kommen unter anderem elf Prozent des in Deutschland erzeugten Putenfleischs. (dapd/dpa)
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So hat sich Peter Rojem seinen Einstand als neuer Kreisveterinär in Verden nicht vorgestellt. Erst am 1. Januar ist er zum Chef der Behörde aufgerückt, betreibt seither Krisenmanagement und hatte gestern die undankbare Aufgabe, im Zuge des bundesweiten Dioxin-Skandals erstmals die Schlachtung und vollständige Entsorgung von 140 Schweinen eines Landwirts anzuordnen. Den Namen des Bauern aus dem Raum Langwedel wollte Landrat Peter Bohlmann (SPD) nicht nennen: "Der Mann ist nicht Täter, sondern Opfer."
Tatsächlich hat auch der betroffene Landwirt verseuchte Mischfette von dem Uetersener Unternehmen Harles und Jentzsch bezogen, im eigenen kleinen Mischfutterwerk weiterverarbeitet und damit nicht nur die eigenen Schweine gefüttert, sondern auch neun andere Betriebe mit zusammen rund 8000 Schweinen beliefert.
Nachdem die Behörde den Lieferweg über Uetersen nachvollzogen hatte, wurden am vergangenen Donnerstag zwei Schweine geschlachtet und Proben gezogen. Das Ergebnis lag mit 1,5 billionstel Gramm (Pikogramm) Dioxin pro Gramm Fett um 50 Prozent über dem Grenzwert. Auch die belieferten Betriebe sind gesperrt, dort werden Proben genommen. Getötet werden zunächst einmal die schlachtreifen Tiere, bei den rund 400 jüngeren Schweinen des Hofs besteht die Hoffnung, dass durch Gewichtszunahme der Grenzwert am Ende unterschritten wird.
Widersprüchliche Angaben gab es dazu, ob belastetes Schweinefleisch auch in den Handel gekommen sein könnte. Der niedersächsische Agrarstaatssekretär Friedrich-Otto Ripke schloss dies kategorisch aus, Veterinär Rojem war sich da nicht so sicher. Zuletzt seien Schweine am 29. Dezember geschlachtet worden - gesperrt worden sei der Betrieb aber erst Anfang Januar, warnte er. Kurz darauf kam die nächste alarmierende Nachricht: In mehreren Supermärkten der Region Hannover gelangten Eier eines vorsorglich gesperrten Hofes in den Handel. Ein Verbraucher hatte sich am Montag mit einer entsprechenden Eierpackung an die Behörden gewandt.
Verbraucherschützer reagierten besorgt auf die jüngsten Giftfunde. "Die bisherigen Messungen im Schweinefleisch und die neue Dimension des Skandals sind bedenklich", sagte Ernährungsexpertin Silke Schwartau von der Hamburger Verbraucherzentrale. Einen generellen Boykott von Schweinefleisch halte sie zum jetzigen Zeitpunkt aber noch für überzogen. Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung hätte der Verzehr von dioxinbelastetem Schwein keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gesundheit. Tückisch seien, wie bei dioxinbelasteten Eiern auch, aber mögliche Langzeitfolgen, da sich das Gift im Fettgewebe des Menschen ansammle.
Von ursprünglich rund 4500 Betrieben sind seit gestern in Niedersachsen nur noch 330 gesperrt, alle anderen dürfen wieder liefern. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den verbliebenen Betrieben weitere Bestände getötet und entsorgt werden müssen, ist vergleichsweise hoch. Schließlich handelt es sich um Höfe, die aus Uetersen mit solchen Chargen beliefert wurden, in denen die Kontrolleure hohe Dioxin-Anteile vermuten, weil es sich nach ihren Ermittlungen nicht um Fett für Tierfutter, sondern um Industriefette handelt.
Die betroffenen Tiere werden jetzt in Schlachthöfen getötet, dann in Tierkörperbeseitigungsanlagen verbrannt und letzte Reste auch aus speziellen Filtern in den Schornsteinen als Sondermüll entsorgt. Logistisch stellt das kein Problem dar, weil Niedersachsen Notfallszenarien entwickelt hat für Massenkeulungen bei Schweinepest.
Unterdessen sieht sich Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) harter Kritik der Opposition ausgesetzt. "Frau Aigner tritt öffentlich auf als Schützerin der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber wenn man sie an den Ergebnissen misst, dann kommt da wenig bei raus", sagte der nordrhein-westfälische Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne). SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, mit dem Hinweis, man solle Ruhe bewahren, lasse sich das Problem nicht bewältigen.
Aigner wies die Vorwürfe, die von ihr ergriffenen Maßnahmen seien zu vage, zurück: "Die sind ganz konkret. Wir werden die Futtermittelzulassung verschärfen, wir werden die Futtermittelströme trennen, und wir werden das Dioxin-Monitoring komplett neu bewerten." Am Montag hatte sie angekündigt, Futtermittelhersteller einer verschärften Zulassungspflicht zu unterwerfen. Außerdem sollen Futterfette nicht mehr in Anlagen hergestellt werden dürfen, die gleichzeitig Stoffe für die technische Industrie produzieren.