Höchstwerte für die Belastung von Lebensmitteln werden von wissenschaftlichen Gremien erarbeitet. Am Ende entscheidet aber die Politik
Hamburg. Dioxin in Eiern und mittlerweile auch im Schweinefleisch, Pestizide in Paprika, deren Gehalte so hoch liegen, dass Lidl am Sonnabend das betroffene Produkt zurückrief und Greenpeace gestern den Fund von weiteren belasteten Proben veröffentlichte - die Belastung der alltäglichen Nahrung durch Schadstoffe liegt regelmäßig jenseits des guten Geschmacks, ist offensichtlich grenzwertig. Doch wo liegen diese Grenzen eigentlich?
Wenn es darum geht, Schadstoffgehalte von Lebensmitteln zu limitieren, sprechen die Fachleute von Höchstgehalten oder Höchstwerten. Sie werden meist vom europäischen, teilweise vom deutschen Gesetzgeber beschlossen. Die Verordnungen für die Dioxin- und Pestizidhöchstwerte gelten zum Beispiel EU-weit. "Es ist wichtig, hier die Begrifflichkeiten genau zu klären", sagt Prof. Pablo Steinberg, Toxikologe an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. "Ein Grenzwert definiert die höchste Menge, die auf das Körpergewicht gerechnet pro Tag ohne Schädigung aufgenommen werden kann. Der Höchstgehalt bezieht sich auf die maximale Menge eines Schadstoffs, der in einem Lebensmittel enthalten sein darf."
Die Politik beschließt die gesetzlichen Grenzwerte
Verschiedene internationale und nationale Expertengremien arbeiten den Gesetzgebern bei der Festlegung der Höchstwerte zu. Auf europäischer Ebene ist das Scientific Committee on Food (SFC) die wesentliche wissenschaftliche Institution, das deutsche Pendant dazu ist das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Beide erarbeiten unabhängig von der Politik ihre Stellungnahmen. Doch die Politik muss am Ende die Werte gesetzlich beschließen. Oftmals sei dabei die Handschrift der jeweiligen Industriebranche zu erkennen, kritisiert Barbara Kamradt, Lebensmittelexpertin bei Greenpeace.
Den fachlichen Stellungnahmen gehen häufig jahrelange Datenerhebungen und -auswertungen voraus. "Wenn ein Schadstoff neu auftaucht, dann schauen wir, ob national oder international bereits Wissenschaftler dazu Studien erarbeiten", sagt Dr. Klaus Abraham vom BfR. "Ist dies nicht der Fall, melden wir dem Bundesernährungsministerium den Forschungsbedarf. Einen Teil der Studien führen wir selbst durch, allerdings keine Tierversuche. Sie werden zum Beispiel eingesetzt, um herauszufinden, ob eine Substanz krebserregend wirkt."
Ein Neuling war 2002 das Acrylamid. Dieser Stoff entsteht beim Rösten, Backen und Frittieren in Abhängigkeit von Zutaten und Temperaturen. "Beim Acrylamid lagen bereits Daten vor, die Substanz wirkt gentoxisch", sagt Abraham. Das heißt, sie schädigt das Erbgut. Dennoch existiert bis heute nur ein Signalwert, von dem an Hersteller aufgefordert werden, ihre Herstellungspraktiken so zu ändern, dass die Belastung auf das technisch Machbare begrenzt wird. Einen gesetzlichen Höchstwert gibt es dagegen nicht. Dies sei eine politische Entscheidung, sagt der BfR-Experte.
Während der Schadstoff Acrylamid sich beim Backen automatisch bildet, werden Pestizide bewusst auf Pflanzen aufgetragen. Hier gibt es Höchstwerte für die Rückstände, mit denen Obst und Gemüse maximal belastet sein dürfen. Der Handel schütze die Verbraucher besser vor solchen Rückständen als noch vor einigen Jahren, urteilt Manfred Santen, Pestizid-Experte bei Greenpeace. Dennoch gebe es immer wieder Ausreißer, wie jetzt die belasteten Paprikas. "Sie kommen alle vom spanischen Produzenten Ejidomar. Im Anbaugebiet herrschte in den vergangenen Wochen schlechtes Wetter, deshalb lag der Verdacht nahe, dass der Wachstumsregulator Ethephon eingesetzt worden ist. Er beschleunigt die Reifung der Paprika, sorgt vor allem bei gelben Paprikas für die richtige Farbe. Nachdem bei Lidl die Belastung aufgefallen war, zog das Unternehmen das Produkt zurück. Das war vorbildlich. Edeka und Tengelmann hatten dagegen nicht reagiert."
Das größte Schadstoffproblem sieht Santen allerdings bei Fischen: "Sie sind häufig mit Umweltschadstoffen wie Quecksilber, PCB und zum Teil auch mit Dioxin belastet", mit Stoffen, die unbeabsichtigt in ein Lebensmittel gelangten. Hier orientieren sich die Höchstgehalte hauptsächlich an der nicht vermeidbaren Belastung aus der Umwelt, der Hintergrundbelastung. Dabei wird berücksichtigt, dass verschiedene Organismen Stoffe unterschiedlich stark anreichern können und einige Lebensmittel öfter verzehrt werden als andere. So liegt zum Beispiel der Cadmiumhöchstwert für Muscheln (1,0 mg/kg) 20-fach höher als für Fleisch von Rindern, Schafen, Schweinen oder Geflügel (0,05 mg/kg).
Beim Dioxin gilt dieses Minimierungsgebot ebenso, auch hier führt es bei verschiedenen Produkten zu unterschiedlich hohen Werten. Rinderleber (6,0 Pikogramm/Gramm, pg/g) als Lebensmittel darf zum Beispiel achtfach stärker belastet sein als ein pflanzliches Öl (0,75 pg/g), da die unvermeidbare Anreicherung in tierischen Geweben höher ist als in pflanzlichen. Weil die Leber ein Entgiftungsorgan ist, sammeln sich körperfremde Stoffe zudem dort vermehrt an.
Gerade weil die Aufnahme des Umweltgifts Dioxin in kleinen Dosen unvermeidbar ist, sei es umso wichtiger, dass die Menschen nicht mehr davon zu sich nehmen, als es der Hintergrundbelastung entspricht, betont Greenpeace-Expertin Kamradt. "Generell gilt: Es sollte so wenig Chemie in den Körper gelangen wie möglich. Deshalb fordern wir, dass Substanzen mit potenziell gefährlichen Wirkungen gar nicht erst zugelassen werden. Im Gegensatz zum BfR wollen wir keine Höchstwerte, die nur eine gesundheitliche Schädigung ausschließen. Wir wollen überall dort, wo dies technisch möglich ist, Limits, die sich an der chemischen Nachweisgrenze orientieren."