Unappetitliche Details werden bekannt. Jetzt wird Harles und Jentzsch kriminelles Handeln und Steuerhinterziehung vorgeworfen.
Berlin/Kiel. Wie Fettaugen setzen sich die unappetitlichen Details von dem Futtermittelsumpf ab. Jetzt wird dem Verdacht nachgegangen, dass womöglich altes Fett aus Imbissbuden aus dem Ausland über einen Zulieferer in die Futtermittelherstellung gelangt sein könnte. Ein krimineller Hintergrund wird längst vermutet, minderwertige Fette könnten durch die Verwertung für Futter "veredelt" worden sein, um mehr Profit daraus zu schlagen. Auch der Vorwurf der Steuerhinterziehung steht jetzt im Raum.
Zudem wurde bekannt, dass verseuchtes Tierfutter schon viel länger im Umlauf ist, als bekannt. Zudem war die Giftdosis bei neuen Proben vom Futterfetthersteller Harles und Jentzsch knapp 78 Mal so hoch wie erlaubt. Die Bundesregierung vermutet Kriminelle am Werk.
Die Verbraucher lassen zunehmend die Finger von Eiern. In Deutschland sind mittlerweile mehr als 4700 Höfe gesperrt, mindestens 13 Bundesländer hat der Skandal schon erreicht. Bei neuen Proben von Futterfetten der Firma Harles und Jentzsch in Schleswig-Holstein war die Belastung in neun von zehn Fällen zu hoch, teilte das Kieler Agrarministerium am Freitag mit. Ermittelt wurden bis zu 58,17 Nanogramm – bei einer Grenze von 0,75. Der Behörde liegen insgesamt bisher 30 Testergebnisse vor. In 18 Fällen war der Grenzwert überschritten. Die untersuchten Tranchen stammen aus der Zeit vom 11. November 2010 bis Ende Dezember. Alles in allem wurden mehrere hundert Proben mitgenommen, datiert auf die Zeit seit Juni. Aber bereits im März 2010 fand ein Labor in Industriefetten der Firma Dioxinwerte, die doppelt so hoch lagen wie der Grenzwert. Die Behörden erfuhren davon jedoch nichts. Die Fette hätten nicht verwendet werden dürfen, erklärte das Kieler Ministerium. Bis Oktober gab es noch zwei weitere Fälle, die hätten gemeldet werden müssen. Gegen die Firma ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Geschäftsführer von Harles und Jentzsch, Siegfried Sievert, wies in einem Interview mit Spiegel TV den Vorwurf krimineller Machenschaften zurück.
Aber es gibt noch weitere Vorwürfe gegen seine Firma: Es liege auch der Verdacht des Betrugs und der Steuerhinterziehung nahe, bestätigte der Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, Gert Hahne, am Freitagabend einen Bericht des Bielefelder „Westfalen-Blatts“ (Samstag). Vieles spreche dafür, dass das Unternehmen seine Kunden betrogen und minderwertige technische Mischfettsäure zu teurem Futterfett verarbeitet habe, sagte Hahne der Zeitung.
Woher kam das Dioxin im Tierfutter? Vielleicht war Frittenfett aus dem Ausland schuld. Das Agrarministerium in Hannover, das mehrere Tausend niedersächsische Bauernhöfe sperren ließ, lässt dies prüfen. Harles und Jentzsch bekam Fett von dem Biodiesel-Hersteller Petrotec, der Reststoffe aus Imbissen und Fritteusen verarbeitet. In der kommenden Woche solle anhand von Proben geklärt sein, ob Petrotec Altfette bezog, die mit Dioxin belastet waren, sagte der niedersächsische Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke (CDU). Er sprach auch von „kriminellen Machenschaften“ einzelner Unternehmen der Branche. Die in den Dioxin-Skandal verwickelten Firmen hätten möglichst viel Gewinn erzielen wollten. Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagte der Nachrichtenagentur dpa zu der möglichen Vertuschung: „Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass das verantwortliche Unternehmen bereits seit Monaten von der Dioxin-Belastung wusste und trotzdem nicht die zuständigen Landesbehörden informiert hat, ist das hochgradig kriminell und völlig unverantwortlich.“ Sie strebt eine Sondersitzung der Agrar- und Verbraucherminister an. Die Lebensmittelkontrolle ist Ländersache. Bereits am Montag will Aigner Vertreter der Futtermittelbranche, der Landwirtschaftsverbände sowie führende Verbraucherschützer in Berlin treffen. Viele Verbraucher lassen Eier wegen des Skandals in den Regalen liegen. Ein Absatzrückgang sei „deutlich spürbar“, sagte Margit Beck von der Bonner Marktberichterstattungsstelle MEG. Die Preise an den Lebensmittelbörsen seien „über den Jahreswechsel etwa doppelt so stark zurückgegangen wie im Vorjahr“. Ein schwacher Rückgang beim Eier-Absatz ist laut MEG zu Jahresbeginn üblich, weil sich viele Verbraucher gewöhnlich vor den Feiertagen mit Eiern eindecken. Bis zu 150000 Tonnen Futter mit dem krebserregenden Gift Dioxin können Unmengen von Eiern, Geflügel- und Schweinefleisch verunreinigt haben. Nach den Erkenntnissen des Kieler Ministeriums wurden alle kritischen Futterfettpartien in Bösel von dem Partnerbetrieb von Harles und Jentzsch gemischt. Die Spedition betreibt dort auch eine Futterfett-Rührstation. Im Handelsregister sind als Geschäftszweck nur „der gewerbliche Kraftverkehr und die Spedition“ eingetragen.
25 Futterherstellern in vier Bundesländern hatten das von Harles und Jentzsch gelieferte Fett eingemischt. Die meisten der gesperrten Höfe liegen in Niedersachsen. Dort sind rund 4500 Betriebe betroffen. Aigner verlangte notfalls weitere Rückholaktionen der Länderbehörden. Wichtig sei dass betroffene Produkte schnell vom Markt genommen werden. In Niedersachsen wurden etwa 100000 Eier vernichtet. In einem Thüringer Schlachthof wurden rund 6,6 Tonnen Fleisch sichergestellt. Die Slowakei verhängte ein vorübergehendes Verkaufsverbot für Eier und Geflügelfleisch aus Deutschland. Die ersten niedersächsischen Legehennen-Betriebe dürfen nach ihrem Verkaufsverbot seit Freitag wieder Eier auf den Markt bringen. Unter anderem in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kamen amFreitag neue Verdachtsfälle hinzu. In Bayern gab es Teilentwarnung:Die an einen Großhändler gelieferten 410000 Eier seien wohl keineswegs alle mit Dioxin belastet, geht aus Untersuchungen des bayerischen Landesamtes für Gesundheit- und Lebensmittelsicherheit hervor Bauernpräsident Gerd Sonnleitner bezifferte den Schaden für die betroffenen Bauern auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche. Die Zeche sollen die Futtermittellieferanten zahlen. „Sie müssen die Schadensersatzansprüche der Landwirte abgelten. Da werden wir bis zum Letzten gehen“, sagte Sonnleitner der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Betriebe, die gesperrt waren, bei denen aber letztlich kein Dioxin nachgewiesen worden ist, schauen in die Röhre.“ Die Bauern pochen auf einen Millionen-Entschädigungsfonds. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen verlangte schärfere straf- und versicherungsrechtliche Konsequenzen für Lebensmittelpanscher. Es gebe zwar rechtliche Möglichkeiten, die aber optimiert werden müssten, sagte der CDU-Politiker der Zeitung „Die Welt“ (Samstag). „Das muss richtig wehtun.“ (dpa)