In dem Dioxin-Skandal verlangt Ministerin Ilse Aigner hartes Durchgreifen. Erste Sperrungen von Höfen in Niedersachsen aufgehoben.

Berlin. Agraministerin Ilse Aigner hat in dem Dioxin-Skandal ein hartes Durchgreifen der Justiz gegen kriminelle Futterhersteller gefordert. Die CSU-Politikerin sagte der "Bild am Sonntag": "Sieht man jetzt die ersten Hintergründe, wird man den Verdacht nicht los, dass sich hier kriminelle Energie mit erschreckender Skrupellosigkeit paart.“ Am Wochenende wurde erstmals seit Entdeckung giftiger Futtermittel die Sperrung von Milchhöfen aufgehoben. Aigner will aber dennoch noch keine generelle Entwarnung geben.

Denn am Wochenende wurden gleichzeitig abermals extrem hohe Dioxinwerte in Futterfetten veröffentlicht. Bei den Veröffentlichungen ging es erneut um Proben des Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch, der im Zentrum des Skandals steht. Am Freitag waren bereits teils 77-fache Überschreitungen der Dioxin-Grenzwerte festgestellt worden, so meldete das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium am Sonnabend weitere Extremwerte von bis zu 54,67 Nanogramm Dioxin – bei einem zulässigen Grenzwert von nur 0,75 Nanogramm.

Rund 3.000 Tonnen dioxinbelastetes Futterfett hatte die Firma aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen an Abnehmer in mehreren Bundesländern ausgeliefert. Bereits am Freitag war bekannt geworden, dass überhöhte Werte des unter Krebsverdacht stehenden Gifts schon im März 2010 festgestellt, aber nicht veröffentlicht worden waren.

Der "Spiegel" berichtet, dass die Firma sogar im Sommer von staatlichen Prüfern kontrolliert worden war. Diese legte ihnen aber alarmierende Testergebnisse angeblich nicht vor. Aus Sicht des niedersächsischen Agrarministeriums könnte sich der Hersteller nicht nur Verstößen gegen das Lebensmittel- und Futtermittelrecht, sondern auch des Betrugs und der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben

Der Strafrahmen müsse ausgeschöpft werden, sagte Aigner. Bis zu fünf Jahren Haft sind in schweren Fällen möglich. Die CSU-Politikerin kündigte zudem an, Gesetzesverschärfungen zu prüfen. Zunächst sei der Fall vollständig zu klären. "Vorrangig muss dafür gesorgt werden, dass belastetes Futtermittel zurückverfolgt wird und belastete Produkte nicht in den Handel gelangen“, sagte Aigner.

Rund 4.700 Höfe waren bundesweit gesperrt worden, weil möglicherweise dioxinverseuchtes Futter verfüttert worden war - 4.500 davon allein in Niedersachsen. Am Sonnabend gab das Agrarministerium dort aber die ersten 500 Bauernhöfe wieder frei. Ministeriumssprecher Gert Hahne sagte, Untersuchungen von Milch, Butter und Käse hätten keine Belastung mit dem Gift ergeben. Zwölf Betriebssperren wurden auch in Nordrhein-Westfalen wieder aufgehoben. Dort sind nun noch knapp 170 Höfe gesperrt. Sie dürfen keine Eier oder Fleisch verkaufen. Zuletzt hatten die Landesbehörden hatten nicht nur bei Eiern, sondern auch im Fleisch von Legehennen überhöhte Dioxinwerte gefunden.

Unterdessen schlugen Tierschützer vor, Belastete und unbelastete Eier zu mischen, um unter verträgliche Grenzwerte zu kommen. Ähnliches sei auch beim Fleisch möglich, sagte der Vorsitzende der tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz, Thomas Blaha, dem "Focus“. Massentötungen von Hühnern oder Schweinen seien unnötig.

Der Deutsche Bauernverband sorgt sich wegen des wirtschaftlichen Schadens der Höfe, der sich auf 40 bis 60 Millionen Euro pro Woche belaufe. "Die Landwirte dürfen nicht auf den Schäden sitzen bleiben“, sagte Verbandschef Gerd Sonnleitner laut "Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung“. Aigner äußerte sich jedoch reserviert gegenüber Ausgleichsforderungen an den Staat. "Ich hielte es für falsch, in einen Wettlauf der Forderungen einzutreten“, sagte sie dem Blatt. Priorität habe der Schutz der Verbraucher und die vollständige Aufklärung.

Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure schlug vor, unsauber arbeitende Betriebe öffentlich zu machen. Dadurch würden Firmen "angespornt, sich zu bessern“, sagte Verbandschef Martin Müller der "Frankfurter Rundschau“. In Deutschland arbeiteten laut Statistik "75 Prozent der Betriebe einwandfrei, die restlichen 25 Prozent weniger.“ (Von Verena Schmitt-Roschmann)