Athen wird mehr als 100 Milliarden Euro an Schulden los. Von einer dauerhaften Rettung ist das Sorgenkind der EU noch weit entfernt.
Athen/Brüssel. Mit der größten Staatsumschuldung aller Zeiten verschafft sich Griechenland Luft im Dauerkampf gegen die Pleite. Nach bangen Monaten mit langwierigen Verhandlungen kam am Freitagmorgen die Erfolgsmeldung aus Athen: Das Finanzministerium gab eine hohe Beteiligung an dem Forderungsverzicht privater Gläubiger bekannt. Die Euro-Finanzminister reagierten umgehend und gaben einen Teil des neuen 130-Milliarden-Hilfspakets für das krisengeschüttelte Land im Südosten Europas frei.
Bei einer Telefonkonferenz einigten sich die Kassenhüter darauf, dass 30 Milliarden Euro zur Unterstützung des Schuldenschnitts plus 5,5 Milliarden Euro für die Begleichung aufgelaufener Zinsen nun bereitstehen. Grünes Licht für das komplette Paket soll Anfang nächster Woche bei einem Ministertreffen in Brüssel gegeben werden. Daran wird sich auch der Internationale Währungsfonds (IWF) beteiligen. Das kündigte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unter Berufung auf IWF-Chefin Christine Lagarde an. Das habe sie in der Telefonkonferenz der Euro-Finanzminister erklärt. Lagarde stellte in Washington 28 Milliarden Euro vom IWF in Aussicht.
+++ Alle deutschen Institute beteiligen sich +++
Schäuble sieht in der erfolgreichen Umschuldung in Griechenland keinen Sündenfall. Es bestehe nicht "der Hauch einer Gefahr einer Wiederholung", dass es zu weiteren Umschuldungen in anderen Euro-Ländern komme. Die Lage Griechenlands sei einzigartig. Die Euro-Zone sei auf einem guten Weg aus der Schuldenkrise. "Wir sind noch nicht übern Berg. Aber wir haben einen wichtigen, großen Schritt erreicht." Die Umschuldung in Athen stabilisiere Europa. "Der Euro bleibt eine stabile Währung, und die Euro-Zone ist eine starke Wirtschaftsgemeinschaft."
Allerdings: Der historische Schuldenschnitt für Griechenland entspricht laut dem Internationalen Derivateverband (ISDA) einem "Kreditereignis", also einem technischen Zahlungsausfall. In diesem Fall können Inhaber von Kreditausfallversicherungen (CDS) für griechische Anleihen auf Auszahlungen bestehen. Der ISDA gab die einstimmig getroffene Entscheidung am Freitagabend bekannt. Die griechische Regierung hatte erklärt, unwillige Gläubiger mit Collective Action Clauses (CACs) zur Teilnahme an dem Schuldentausch zu zwingen. Unter dem Strich stehen noch Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) von knapp 3,1 Milliarden Euro aus. Ursprünglich waren viel höhere Summen im Gespräch, so dass keine neue Finanzkrise wie nach der Lehman-Pleite droht.
+++ Analyse: Warum Griechenland noch nicht gerettet ist +++
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte den Schuldenschnitt als "ermutigendes Ergebnis". EU-Währungskommissar Olli Rehn äußerte sich "sehr zufrieden", verlangte aber wie Merkel die Umsetzung des von Athen zugesagten Spar- und Reformprogramms. Sicher gerettet ist das Land also noch nicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum griechischen Schuldenschnitt:
Wie viel Schuld wird Athen erlassen?
Das kleine Land steht bei privaten Gläubigern mit gewaltigen 206 Milliarden Euro in der Kreide. Investoren, die 172 Milliarden halten, verzichten freiwillig auf 53,5 Prozent. Den Rest will Finanzminister Evangelos Venizelos noch zum "Haircut" zwingen. Geht Venizelos' Rechnung auf, dann ist der Staat auf einen Schlag um 105,5 Milliarden Euro an Schulden erleichtert.
Reicht das aus, damit Hellas gesundet?
Nein, das Land braucht zusätzliche Notkredite von den internationalen Geldgebern, um in den kommenden drei Jahren seine Rechnungen begleichen zu können. 130 Milliarden Euro haben die Euro-Partner zugesagt. Doch auch das ist nicht genug, wenn die Wirtschaft nicht anspringt, wenn nach der Wahl im Frühjahr vom Sparkurs abgewichen wird. "Ich sehe eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent, dass eine entnervte Staatengemeinschaft den Geldhahn dann zudrehen würde", sagte der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer.
Warum machen private Banken und Fonds beim Schuldenschnitt mit?
Der Erlass sei "ungefähr so freiwillig wie ein Geständnis in der spanischen Inquisition", sagt Commerzbank-Chef Martin Blessing. Denn würde die Euro-Zone Athen in die ungeordnete Pleite stürzen lassen, dann würden die Investoren einen noch höheren Einsatz verlieren. Außerdem wird ihnen der Anleihenumtausch ordentlich versüßt: 15 Prozent des ausgeliehenen Geldes wird ihnen umgehend in bar erstattet - mehr als 30 Milliarden Euro. Und die neuen Kredite mit langen Laufzeiten sichert der Rettungsfonds EFSF mit weiteren 30 Milliarden gegen einen neuerlichen Ausfall ab. Weiteres Bonbon: 5,5 Milliarden Euro an ausstehenden Zinsen begleicht der EFSF.
Ist die Unterstützung der Geldhäuser durch den Steuerzahler nicht zu üppig?
Das ist noch nicht zu sagen. Wenn Athen - mithilfe des Schuldenerlasses des Privatsektors - wieder auf die Beine kommt, dann sind die Euro-Länder am Ende die Gewinner - und damit auch die Steuerzahler. Denn dann würde Griechenland die Notkredite am Ende des Tages zurückzahlen können. Vor allem Deutschland als größter Kreditgeber würde daran kräftig verdienen - über die Zinsen, die Athen zahlt. Doch die Rettung hängt weiter am seidenen Faden. Denn für die Genesung muss die griechische Wirtschaft Fuß fassen, die Sparauflagen bewirken das Gegenteil, die Rezession geht ins fünfte Jahr.
Kann gegen die Zwangsumschuldung geklagt werden?
Verbraucherschützer Hermann-Josef Tenhagen rechnet damit, dass einige Anleger, die mit ihren griechischen Bonds einen Verlust erlitten haben, vor Gericht ziehen. Ein Grund sei möglicherweise, dass Griechenland die Klauseln zur Zwangsumschuldung erst rückwirkend eingeführt habe, sagt der Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest". Die CAC-Klauseln definieren eigentlich schon bei der Ausgabe von Wertpapieren Konditionen, die im Falle einer Pleite gelten. Anleger wissen also beim Kauf, worauf sie sich einlassen, und können nicht im Nachhinein überrascht werden. Probleme könnte auch eine möglicherweise unterschiedliche Behandlung einzelner Gläubigergruppen bereiten. Der griechische Finanzminister hatte Ende Februar für einheimische Kleinanleger bis 100 000 Euro ein kleines Fenster offen gelassen.
Was, wenn Griechenland nicht auf die Beine kommt?
Dann müssen die Euro-Länder entweder weitere Milliarden hinterherschießen oder den Bankrott und den Euro-Austritt Athens riskieren. Das aber hieße, dass die Euro-Länder und die Europäische Zentralbank auf Hunderten Milliarden Euro sitzen blieben. Und die Pleite könnte auch Wackelkandidaten wie Portugal, Spanien und Italien in die Schuldenfalle ziehen. Die Gefahr ist für Kanzlerin Angela Merkel derzeit noch zu hoch. "Abenteuer darf ich nicht eingehen", sagte sie im Bundestag. Aus dem Abenteuer könnte ein beherrschbares Risiko werden, wenn im Sommer der dauerhafte Rettungsschirm ESM installiert wird und Merkels Fiskalpakt mit Schuldenbremsen für die Euro-Staaten in Kraft treten kann.