Hamburg. König Boris, Björn Beton und Dokter Renz sprechen über die allerletzte Tour, alte Zeiten – und den eventuellen Rücktritt vom Rücktritt.

  • Die Jungs von Fettes Brot beenden im September ihre Abschiedstournee.
  • Vorher waren sie noch im exklusiven Abendblatt-Interview und erzählen, wie es zu dieser Entscheidung kam und wie sie selbst damit umgehen.

„Soll das alles sein?“, rappte Fettes Brot 2005 auf dem Album „Am Wasser gebaut“. Und bald wird es Zeit, die Tränen laufen zu lassen. Nach der Ankündigung der Abschiedstour im August 2022 begab sich das erfolgreiche Hamburger Hip-Hop-Trio im April in Rostock auf die letzte Reise nach 31 Jahren Bandgeschichte, die am 1. und 2. September mit „Brotstock“ enden wird: Zwei ausverkaufte Abende auf der Bahrenfelder Trabrennbahn vor jeweils 25.000 Fans. Das Abendblatt nutzte die wohl finale Gelegenheit, um König Boris (Boris Lauterbach), Björn Beton (Björn Warns) und Dokter Renz (Martin Vandreier) in ihrem Studio in der Bernstorffstraße auf St. Pauli zu besuchen und zurückzuschauen auf 31 Jahre Fettes Brot und 50 Jahre Hip-Hop. Und vielleicht lassen sich die drei ja noch umstimmen ...

Hamburger Abendblatt: Um es mit einem eurer ersten Lieder zu sagen: „Schade Schokolade“: Im September gehen drei Jahrzehnte Hip-Hop-Geschichte zu Ende. Was hat euch zu dem überraschenden Schritt bewogen, Fettes Brot aufzulösen?

„Drei Leute, 30 Jahre, dreimal so lang Musik gemacht wie die Beatles – aber nur halb so lang wie die Stones
„Drei Leute, 30 Jahre, dreimal so lang Musik gemacht wie die Beatles – aber nur halb so lang wie die Stones": Dokter Renz, König Boris und Björn Beton (v. l. n. r.) von Fettes Brot auf der Abbey Road. © Fettes Brot Schallplatten

König Boris: Es gibt viele Gründe. Oder keinen. Wie man es nehmen will. Corona hat die Idee aufpoppen lassen, nach der erfolgreichen „Lovestory“-Tour 2019 mal etwas anderes zu machen – daraus wurden zweieinhalb Jahre Pause. Und was uns immer gut gefallen hat, war die Idee, ein selbstbestimmtes Ende zu finden, statt irgendwann auf ein komplett desinteressiertes Publikum zu stoßen.

Björn Beton: Wir wollen gehen, wenn es uns und unserem Publikum auch ein bisschen weh tut. Drei Leute, 30 Jahre, dreimal so lang Musik gemacht wie die Beatles – aber nur halb so lang wie die Stones.

Aber die Leute kommen doch noch, in Massen. Bei „Brotstock“ werden es 50.000 an zwei Abenden sein. Klar, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Aber das ist doch Irrsinn.

Dokter Renz: Wir wussten ja noch nicht, wie schön das jetzt noch mal wird mit der Abschiedstour. Wir haben uns zwar Gedanken gemacht, wie wir eine New-Orleans-Beerdigung mit lachendem und weinendem Auge auf die Beine stellen und eine große Tour gebucht, aber die echte Bestätigung mit 50.000 in wenigen Stunden vergriffenen Tickets war nicht abzusehen. Das erfüllt uns mit großer Dankbarkeit.

König Boris: Blöd wäre es natürlich, wenn man eine Abschiedstour ankündigt und keiner kommt. So was gilt es unbedingt zu vermeiden.

Fettes Brot: „Es gab nicht einen Moment, wo ich gedacht habe: Oh, jetzt sind wir oldschool“

Aber wenn man zurückschaut auf eure Gratis-Bootskonzerte auf der Elbe vor einem Jahr, wo Zehntausende in den Hafen strömten, oder auf die bisherigen Konzerte der Abschiedstour, beginnt man da nicht wie die Scorpions seinerzeit, das Vorhaben Frührente zu hinterfragen?

Dokter Renz: Dass noch viele Leute kommen, war uns schon klar. Aber das hat weniger mit der Entscheidung zu tun, dass wir uns auflösen.

Schauen wir 30 Jahre zurück. Ihr wart nicht die ersten Rapper in Deutschland, aber maßgebliche Schrittmacher, um das Genre im Mainstream zu etablieren. Gab es einen Zeitpunkt, wo ihr gemerkt habt: Oh, jetzt sind wir kein neuer heißer Scheiß mehr, sondern oldschool?

Dokter Renz: Man hört auf unseren ersten Platten definitiv, dass wir The Pharcyde, De La Soul, Public Enemy und Beastie Boys rauf und runter gehört haben, und als Musikfan kriegt man zwangsläufig mit, wie sich das Underground-Phänomen Hip-Hop zu einer Massenbewegung entwickelt hat. Auch ich würde uns als Schrittmacher bezeichnen, wir sind den Weg mitgegangen vom ersten Auftritt mit „Schade Schokolade“ in einem Jugendzentrum in Osnabrück in die großen Arenen. Aber oldschool? Ich werde gerne älter, und bei oldschool schwingt ja mit, dass man sich zu alt für etwas fühlt, und dieses Gefühl habe ich noch nicht gehabt.

Björn Beton: Es gab nicht einen Moment, wo ich gedacht habe: Oh, jetzt sind wir oldschool. Es ist aber ganz normal, wenn man 31 Jahre eine Band hat, dass man irgendwann als oldschool wahrgenommen wird, weil es immer neue Generationen von Rap-Musikerinnen und -Musikern gibt. Das ist der Kreislauf in der Popwelt.

„Wir haben nie nur geschaut, welcher Sound gerade aktuell der derbe Scheiß ist“

Fettes Brot beim Auftakt der Abschiedstournee am 5. April 2023 in der Stadthalle Rostock
Fettes Brot beim Auftakt der Abschiedstournee am 5. April 2023 in der Stadthalle Rostock © dpa | Danny Gohlke

Ihr habt Euch stetig am Puls der Zeit weiterentwickelt, nachdem ihr ganz klassisch angefangen habt, zum Plattendrehen von DJ Rabauke zu Rappen. Immer mehr Pop-Genres wurden in euren Tracks verschmolzen, Mariachi in „Jein“ ist ein gutes Beispiel, später habt ihr mit kompletten Livebands getourt – eigentlich müsstet ihr 2023 mit Autotune und Halbplayback auftreten.

König Boris: Nee. Wir haben nie nur geschaut, welcher Sound gerade aktuell der derbe Scheiß ist, sondern immer unser Ding durchgezogen. Das waren sowohl aktuelle Einflüsse, aber auch völlig verrückter Kram wie französische Chansons. Wir sind Musikfans mit einem sehr diversen Musikgeschmack, was immer Widerhall in unseren eigenen Liedern gefunden hat.

Hip-Hop ist jedenfalls seit vielen Jahren die absolut dominante Jugend- und Musikkultur in Deutschland. Deutlich mehr Mainstream als Schlager oder Rock oder Metal. Würdet ihr sagen, Hip-Hop ist langweilig und angepasst geworden?

König Boris: Nein, dafür gibt es innerhalb dieser Richtung viel zu viel Ausnahmen vom vermeintlich Formelhaften. Es gibt Disarstar, Badmómzjay, Fatoni, Alligatoah, Antilopen Gang, Yung Hurn und so viele weitere. Es gibt nicht mehr nur den einen Hip-Hop-Sound, es ist total fragmentiert. Natürlich finde ich nicht alles toll, aber wir haben uns immer nur darauf konzentriert, was wir geil finden.

Björn Beton: Bei mir war es so, dass ich das, was ich toll fand, erst Underground und dann Mainstream wurde, und was ich jetzt gut finde, wieder Underground ist. Aber wenn man Kool Hercs erste Block Partys in New York als Geburtsstunde des Hip-Hop sieht, geht das jetzt exakt seit 50 Jahren so. Da ist es normal, dass man sagt: Damals war es gut, heute ist es schlecht. Das ist so genauso wie bei Jazz, Pop oder Stoner Rock. Warum sollte es bei Hip-Hop anders sein?

Dokter Renz: Genau das muss Musik doch machen: Einen Vibe setzen, ein Gefühl erzeugen, das die alte Generation erst einmal vor den Kopf stößt, erschrecken lässt und in ihren Grundfesten bedroht. Das ist dieser Punkrock-Moment, den ich total liebe: Zuerst habe ich eine starke Abwehrhaltung und zwei Jahre später die Erleuchtung. Innerhalb von Hip-Hop gibt es ganz viele Punkrock-Momente. Leute, die sich sagen, „Fettes Brot denken wohl, sie sind Pink Floyd“, und besoffen ihr Vollplayback abfahren.

Björn Beton: Das Absetzen von der vorherigen Generation, dass meine Kinder völlig andere Musik hören: Das ist Popkultur. Allerdings hat meine Tochter gerade Dr. Dre entdeckt – über TikTok.

König Boris: Alles ist im Fluss, vieles wiederholt sich, und jeder kann sich die Früchte pflücken, die er mag.

Björn Beton: Schau dir Joost und Ski Aggu an, die sich einen 30 Jahren alten Otto-Hit, der eigentlich ein bald 40 Jahre alter Sting-Hit ist, schnappen und damit einen Nummer-eins-Hit schaffen. Das ist so absurd, ich wäre nie auf die Idee gekommen, „Friesenjung“ zu nehmen.

„Wir hatten Angst davor, nur auf ,Nordish By Nature’ reduziert zu werden“

Flottbek statt Yasmin: Fettes Brot spielte im August 2022 mehrere Spontankonzerte an verschiedenen Orten im Hamburger Hafen. Kurz darauf wurde die kommende Auflösung der Band bekannt gegeben.
Flottbek statt Yasmin: Fettes Brot spielte im August 2022 mehrere Spontankonzerte an verschiedenen Orten im Hamburger Hafen. Kurz darauf wurde die kommende Auflösung der Band bekannt gegeben. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Stichwort Erschrecken als Punkrock-Moment: Stimmt, es, dass ihr schockiert wart, als „Nordish By Nature“ 1995 eurer erster Charterfolg wurde?

König Boris: Ja, wir hatten Angst davor, nur auf diesen Song reduziert zu werden, ohne dass man unsere Gesamtidee wahrnimmt. Deshalb haben wir die Single, als sie drohte zu erfolgreich zu werden, vom Markt genommen und eine Todesanzeige geschaltet: „Nordisch By Nature muss sterben, damit Fettes Brot leben kann“. Um den Song zu hören, mussten sich die Leute dann das Album „Auf einem Auge blöd“ kaufen.

Dokter Renz: Dabei war „Nordisch“ ja nicht mal ein aktueller Sound, sondern eine Oldschool-Hommage an Sugarhill Gang und die 80er. Daraus ist dann kurzfristig etwas sehr Großes geworden, und das hat uns ein bisschen nervös gemacht. Das Lied vom Markt zu nehmen war natürlich ein genialer Schachzug, und mit „Jein“ hatten wir danach das große Glück, auf einmal zwei Hits zu haben.

Der Erfolg der ersten Hamburger Hip-Hop-Welle Ende der 90er mit Absolute Beginner, Eins Zwo, Deichkind, Ferris MC und Fünf Sterne Deluxe, die beim „Flash“-Festival 2000 am Millerntor ihren Höhepunkt erreichte, überforderte viele Rapper. Bands lösten sich auf oder änderten ihren Stil. Ihr habt euer Ding durchgezogen. Oder gab es auch vor 2023 schon Zeitpunkte, wo Fettes Brot vor der Auflösung stand?

Dokter Renz: Nein. Die Frage war eher: Wie lange kann man so etwas machen anstelle eines anständigen Berufes und einer normalen Lebensentwicklung mit Ausbildung, Studium, Job? Es war ein Abenteuer, was unsere Eltern gut fanden, weil wir in der Pinneberger Zeitung und im Abendblatt erwähnt wurden. Dass das unser richtiges Leben wurde, entwickelte sich erst mit den Jahren. Genau wie die Frage: Will ich auch einmal jemand anderes sein als Dokter Renz?

Fettes Brot mit großem Abschied: Das müssen Fans wissen

„Mit dem Goethe-Institut ging es 2000 In die Ukraine und nach Russland“

Gibt es für euch einen Abschnitt in 30 Jahren, der „Die Definition von Fett“ ist? Der großartigste, einzigartige Moment? Etwas, das aus der Bildergalerie, die bei den Konzerten auf der Abschiedstour gezeigt wird, heraussticht?

König Boris: Es sind sehr, sehr viele. Man erinnert sich zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedliche Dinge und Gefühle. Ein Highlight herauszuheben, fiele mir schwer.

Björn Beton: Wie Boris es sagt. Zu viele, um sich eines herauszupicken.

Dokter Renz: Vieles wird auch erst Jahre später zum Highlight. Der Videodreh zu „Jein“ war eine tolle Reise, aber Boris hatte eine eitrige Mandelentzündung. Trotzdem war es einer der schönsten Momente meines Lebens, mit Boris und Björn durch Mexiko zu reisen, auf Eseln zu reiten und sich Kaktusstacheln aus dem Hintern zu ziehen. Oder Rock am Ring 2008 vor 80.000 Leuten. Wenn ich das heute auf YouTube sehe, fällt es mir schwer zu glauben, dass ich da auf der Bühne stehe.

König Boris: Eigentlich die Reisen. Mit dem Goethe-Institut ging es 2000 In die Ukraine und nach Russland und nach Rumänien, wo man uns in Bukarest Steine für die Hosentasche gab wegen der Straßenhunde.

Steile Frisen aus Halstenbek, Schenefeld und Pinneberg: Fettes Brot in den frühen 90er-Jahren
Steile Frisen aus Halstenbek, Schenefeld und Pinneberg: Fettes Brot in den frühen 90er-Jahren © Sven Simon | picture alliance

Was werdet ihr am meisten vermissen?

Björn Beton: Ehrlich gesagt, haben wir uns noch nie aufgelöst und wissen noch nicht genau, wie sich das anfühlen wird. Wir machen das zum ersten Mal. Was werde ich als Allererstes vermissen? Wer weiß. Aber ich glaube, das Reisen im Auftrag der Musik könnte mir fehlen. Und Musik ist ja so schön, weil man den Kontakt zum Publikum sucht. Ich mag unser Publikum sehr gern, von den Superfans, die bei fast jedem Konzert dabei sind bis zu exel.Pauly, der zuerst Fettes-Brot-Fan war und seit über 20 Jahren unser DJ ist.

Dokter Renz: Ich werde vermissen, dass meine Mutter unsere Artikel aus dem Abendblatt ausschneidet und mitbringt, wenn sie mich besuchen kommt.

Fettes Brot: „Bislang zählten Westernhagen und Carpendale nicht zu unseren Vorbildern“

Was werdet ihr nicht vermissen? Den Geruch von nassen Socken im Tourbus?

König Boris: Wir sind mittlerweile eigentlich recht reinlich.

Dokter Renz: Nee, ich fand letztes Mal roch der Bus richtig fies.

Björn Beton: Oh ja, das war schlimm.

König Boris: Stimmt, alle Viertelstunde wurde irgendein merkwürdiges Erdbeerspray versprüht.

Westernhagen, Howard Carpendale und Scorpions haben es vorgemacht: Wie lange dauert es von eurer Abschiedstour bis zu eurem Comeback?

Björn Beton: Bislang zählten Westernhagen und Howard Carpendale nicht zu unseren großen Vorbildern.

König Boris: Aber die Scorpions?

Björn Beton: Ich weiß nicht, ob das jetzt ein Argument dafür oder dagegen ist.

Dokter Renz: Wir haben aber auf der Tour häufiger gehört: „Wann können wir denn wieder mit euch rechnen?“ Die Leute glauben zwar, dass wir es ernst meinen, aber sie haben noch Hoffnung. Ich will das auch nicht ausschließen. Das ist tatsächlich das, was mir wirklich Horror bereitet: Zu wissen, dass ich auf der Trabrennbahn das letzte Mal „Jein“ singe und bei „Schwule Mädchen“ in die Luft springe. Das ist schon ein … krasser Gedanke. Ich muss gleich anfangen zu heulen.

Björn Beton: Brot weint nicht.

Fettes Brot - „Brotstock“ Fr 1.9., Sa 2.9., Trabrennbahn, ausverkauft; www.fettesbrot.de