Hamburg. Das Hamburger Hip-Hop-Trio trat an diesem Freitag gleich mehrfach gratis auf dem Wasser auf. So hat es unser Kritiker erlebt.
„„Hey Boris, wo genau spielt ihr gleich?“, ruft ein Typ an der Strandperle in Övelgönne rüber. „Keine Ahnung, ich bin nicht König Boris!“ Da muss eine Verwechslung vorliegen, das passiert öfter, wenn man zum Schutz vor Sonne oder Regen einen albernen Hut trägt. Jan Delay, Roger Cicero, König Boris, alles schon gehört. Schmeichelhaft. Aber König Boris, Dokter Renz und Björn Beton und ihr treuer Tour-DJ exel.pauly sind am Freitagnachmittag tatsächlich auch ganz in der Nähe.
Zur Mittagsstunde hatte das Hamburger Hip-Hop-Trio Fettes Brot auf seinen Kanälen in den Sozialen Netzwerken nach tagelangem Anheizen mit Informationsbröckchen gleich drei spontane Gratiskonzerte im Hamburger Hafen angekündigt. Hier in Övelgönne soll am frühen Nachmittag die erste Sause steigen – „Drei Hamburger mit’m Monsterbass saßen auf der Straße und erzählten euch das“. Aber wohin geht es jetzt? Strandperle? Museumshafen? „Schon Störtebeker wusste, dass der Norden rockt, und hat mit seinem Kahn hier gleich angedockt“. Aber wo genau?
„Wer sich Freitag zwischen 15 und 20 Uhr in der Hamburger Hafengegend tummelt, kann uns nach fast drei Jahren mal wieder live sehen“, hieß es in der ersten kurzen Ankündigung auf Facebook, Twitter und Instagram am Dienstag. Tatsächlich war es, natürlich auch bedingt durch pandemische Umstände, recht ruhig um die Brote seit dem Tourabschluss im November 2019 in der Hamburger Barclays Arena.
Das damals veröffentlichte Album „Lovestory“ stieß zwar auf deutlich weniger Gegenliebe als die Vorgänger, aber 10.000 Fans nahmen das Motto „3 sind ne Party“ damals wörtlich und sangen sogar noch nach Konzertende eine halbe Stunde die Rausschmeißer-Musik vom Band mit, inklusive Klaus Lages „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“. Als hätten sie geahnt, dass es mit der Feierei bald lange Zeit düster aussehen würde.
Fettes Brot feiern mit Gratiskonzert Geburtstagsparty im Hamburger Hafen
Aber jetzt steigt in Övelgönne 1022 Nächte und ebenso vielen Zoom-Konferenzen nach dem Abend in der Barclays Arena eine Party zum 30. Geburtstag der 1992 gegründeten Band. An der Strandperle versammeln sich über den Daumen gepeilt tausend Schau- und Soundlustige, die es dank frühem Feierabend mit der von Touristen verstopften Fähre 62 oder dem nach Lust und Laune fahrenden Bus 112 oder radelnd an die Elbe geschafft haben.
Das Wetter hält noch, erste Pläne zur Weiterfahrt zum nächsten Auftritt an den Landungsbrücken werden diskutiert. Bierdosen zischen wie aufgeschreckte Schlangen.
Dann sind sie da, „Moin Moin“, ruft es von der Elbe. Dokter Renz, Björn Beton und – ohne Hut – König Boris stehen auf dem Dach der unter Piratenflagge heranzuckelnden Barkasse „Flottbek“. „Hebt mal Eure Hände!“ Es ist eine „Wackelige Angelegenheit“, dem ersten Song entsprechend. Die Beats und Ansagen werden vom Winde verweht, Wellen rauschen, das schaukelnde Boot bleibt 200 Meter entfernt in der Fahrrinne: „Wir würden gern näher kommen, aber der Fluss hat was dagegen.“
Passanten fragen, wer da spielt. „Lauter“, fordern die Fans. Man sieht und hört wenig. „Wo sind meine Leute da draußen“, fragt das Trio, als es endlich näher ans Ufer schaukeln darf. Jubel und eine La-Ola-Welle läuten „Nordish by Nature“ ein. Die Hamburger Jungs und Deerns am Strand kommen gerade in Schwung, da verreckt bei „Erdbeben“ die Anlage. Wackelkontakt-Angelegenheit.
„Caravan of Love“ wird mit reichlich Schieflage improvisiert. Dreimal wird „Erdbeben“ gestartet und wieder abgebrochen. Wenn schon scheitern, dann mit Schwung. Nach „Emanuela“, „Hamborger Veermaster“, „Schwule Mädchen“ dreht die „Flottbek“ nach einer halben Stunde ab Richtung Landungsbrücken.
Publikum zieht Fettes Brot wie Polonaise hinterher
Hastig wühlen Füße im Sand auf dem Weg zu Fahrrädern und Fahrzeugen. Aufsitzen! Hinterher! Gerade noch rechtzeitig schaffen es viele. Sehr viele. Und da sind auch schon viele. Es sieht aus wie ein Flughafen bei der Ankunft der Beatles in den 1960er-Jahren; Menschentrauben über mehrere Ebenen.
An der Landungsbrücke 10 dampft Fettes Brot mit „Nordisch by Nature“ und „1996“ los elbaufwärts zur „Rickmer Rickmers“. Motorboote und Barkassen werfen die Ruder herum und folgen, Elbfähren tröten grüßend oder genervt. Das Publikum zieht wie eine riesige Polonaise singend hinterher: „Es ist 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee.“
Eine Dame fragt, ob das die Fantastischen Vier sind. „Jein“? Äh. Nein. Erneut gibt es „Schwule Mädchen“ und „Emanuela“, dann ist der Spuk schon wieder vorbei.
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Eine neue Runde, eine neue Wahnsinnsfahrt. Es wird der „Flottbek“ hinterhergewinkt, die zur dritten Station, den Magellan-Terrassen in der HafenCity, fährt. Wenn das Wetter es zulässt, soll es sogar noch zwei weitere Stationen geben. Entenwerder wird tatsächlich noch drangehängt, Dockville Uferpark nicht mehr.
Aber, Matrosen ohe, einmal muss es auch vorbei sein. Nur Erinnerungen an Stunden der Liebe bleiben an Land zurück.