Hamburg. Das Ende einer Ära: Humor statt Haftbefehl, Pop statt Pistolen – ein Nachruf auf das Hip-Hop-Trio, das Maßstäbe setzte.

  • Anfang September endet die große Abschiedstour von Fettes Brot in Hamburg.
  • Unsere Autoren erinnern sich an König Boris, Björn Beton und Doktor Renz und was ihre Musik so einzigartig macht.

Kennen Sie Moses Pelham noch? Den Frankfurter Sprechsänger, der aus Lokalpatriotismus unter dem Namen Rödelheim Hartreim Projekt in die Öffentlichkeit trat? Wenn ja, sind Sie höchstwahrscheinlich älter als 40 und in den 1990er-Jahren sozialisiert. Das ist das Jahrzehnt, in dem es noch Discmans gab, Helmut Kohl, MtViva, in der niemand Veganer, „Poppen“ ein leicht ordinäres Wort für Geschlechtsverkehr war und Moses Pelham, der raue Straßenrapper, Stefan Raab eine Kopfnuss verpasste und über die Spaßrapper aus Stuttgart und Hamburg nur lachen konnte.

Tatsächlich war Fettes Brot immer eine der Lieblingsbands von den Leuten, die eigentlich keinen HipHop hören oder doch nur als eine Pop-Disziplin unter vielen. Am Mittwoch hat das Trio König Boris, Björn Beton und Dokter Renz das Ende von Fettes Brot nach einer Abschiedstournee im kommenden Jahr verkündet, und ein bisschen kommt einem das nun auch vor wie ein verspätetes Ende der Humor-Ära des deutschen 90er-Jahre-Hip-Hops, zu dem wir Deichkind wegen der zeitlosen Tendenz zur Genialität jetzt mal nicht zählen wollen. Und die Beginner? Waren und sind eine ganz eigene Liga.

Fettes Brot: Für uns Kinder der Mittelschicht

Hamburg war in den Neunzigern, als Akteure wie Eins Zwo, Fünf Sterne Deluxe und Fettes Brot ans Mikrofon traten, fett auf der Karte des deutschen HipHop verzeichnet. Dabei waren „die Brote“ (Selbstbezeichnung), die in ihrer Abschiedsankündigung („Als wir anfingen, rappten kaum Menschen in der hiesigen Muttersprache, außer Advanced Chemistry und Fanta 4“) keinen Zweifel an ihrer Bedeutung aufkommen lassen wollen, immer die hemmungslos fröhlichste Gemeinschaft im bunten Garten des Rap.

Deswegen mochten wir sie ja so. „Silberfische in meinem Bett“, das kannten wir als Studenten, als Kinder der Mittelschicht, die anders als manch späterer Parteigänger der Aggro-Berlin-Abteilung des Rap nie auf die gefährlich-prollige Attitüde des angeblich authentischen Gangsta- oder Battle-Raps abfuhr.

Fettes Brot war moralisch auf der richtigen Seite

Fettes Brot verhielt sich zu 187 Strassenbande, um auf Hamburg zurückzukommen, immer so wie wie ein Pudel zum Bullterrier. Wir liebten es, dass Fettes Brot es nie nötig hatte, zuzubeißen, und lieber in „Bettina, zieh dir bitte etwas an“ über die nudistisch-sexistische Tendenz des Privatfernsehens spotteten.

Und moralisch auf der richtigen Seite war man eh, siehe „Schwule Mädchen“, einem Song, in dem das Trio die Homophobie des HipHops addressiert. Das ganze in Gestalt eines Partykrachers, der einem auch im Nachhinein noch mit seiner Energie, seinem Beat, seinem Gefiepe und dem Remmidemmi-Video die Tränen vor Freude in die Augen treibt.

Fettes Brot: Ein paar Reime, die bleiben

Die derbsten, niedlichsten, gewitztesten, unvergesslichsten Lines, die von Fettes Brot auch nach 2023 bleiben:

„Wichtiger, mien Jung, merk’ das Dir ohne Flachs/Die im Süden essen Stäbchen und wir essen Lachs“ (aus „Nordisch by Nature“, 1995).

„Es ist 1996/Meine Freundin ist weg und bräunt sich/In der Südsee (allein?)/Ja, mein Budget war klein (na fein)/Herein, willkommen im Verein“ (aus „Jein“, 1996).

Dann wird’s jetzt Zeit für den Sound von den Jungs/Die schon weit vor ihrer Schullaufbahn cool drauf waren/Pass mal auf, hört mal zu; ich hab’ an euch ‘n Haufen Fragen/Warum seid ihr so hektisch, wie elektrisch aufgeladen?/Warum kennt man mich mit ‘nem Charme wie Süßwaren/Und dich kennt man so nicht – nur mit ‘nem Gesicht wie‘n Griesgram/Ihr seid so nervös, ich bin locker und gelöst/Ich bin schon beim fiesen Gruselschocker eingedöst“ (aus „Ruf mich an“, 1999).

„Ewald Lienen, es reicht, wenn wir auf Platz 15 stehen/Ewald Lienen, wenn’s mehr wär, könnt ich eh nicht mit umgehen“ (aus „Ewald Lienen“, 2015).

Fettes Brot: Für Puristen war das alles fake

„Die Definition von Fett“ war so herrlich „Nordisch By Nature“: Kenner hören natürlich die plattdeutsch-dänisch-niederländisch ergänzte Langversion mit Beiträgen von Jan Delay, Der Tobi und das Bo, Fischmob, Super Mario, Tabula Rasa und MK Kram. „Cypher“ oder „Posse Cut“ nennt man die große Versammlung verschiedenster Rapper, und die Brote waren mit die ersten in Deutschland, die dieses Prinzip im Mainstream bekannt machten.

Sie gehörten neben den Fanta4 auch zu den Pionieren des HipHop-Pop-Crossovers und begannen, auf ihren Tourneen nicht nur auf die Beats ihrer DJs (DJ Rabauke und DJ exel.pauly) zu bauen, sondern auf die Begleitung von großen Livebands. Für Puristen war das natürlich wieder alles „fake“.

„Ich bin der letzte der geht/wenn alle anderen walken/bin der letzte der spricht/ wenn alle anderen talken“ (aus „Da draußen“, 2000).

Fettes Brot: Ein letztes Heimspiel in Hamburg?

Über die Jahre haben sich Dokter Renz, König Boris und Björn Beton musikalisch auseinander gelebt, Solo-Karrieren angestoßen und sich jeden ihrer Schritte sehr gut überlegt, so auch die letzten. Am Tag der Verkündung der baldigen Trennung von Fettes Brot veröffentlichten Die Fantastischen Vier übrigens einen Werbesong („Like A Bosch“) für einen Elektro-Konzern. Es darf stark angenommen werden, dass Fettes Brot so nicht enden wollen, sondern mit einem sicher bald verkündeten letzten Heimspiel in Hamburg. Wir erwarten Großes.

„Ich bin n’ Grosser/ich bin n’ Spinner/ich häng als Poster/in deinem Zimmer“ (aus „The Grosser“, 2001).