Hamburg. Der Konzertbeginn der Hamburger Hip-Hop-Combo ist etwas langatmig. Wie die Band das Publikum doch noch von den Stühlen reißt.
Was ist eigentlich Sillium? Ein gerade erfundenes neues chemisches Element? Ein illegales Betäubungsmittel? Oder eine Substanz aus der Gallenblase eines Mammuts? Dabei ist die Erklärung einfach: „Sillium“ ist der Titel des Debütalbums der Hamburger Hip-Hop-Combo Fünf Sterne deluxe aus dem Jahr 1998, benannt nach einem Rastplatz an der A 7.
Wenn so eine bahnbrechende Platte Jubiläum feiert, reicht ein normales Konzert nicht aus, um dieses frühe Meisterwerk aus der Hip-Hop-Hochburg Hamburg zu präsentieren. „Sillium Extravaganza“ heißen zwei Abende auf Kampnagel, bei dem sich alles um Sillium dreht. Die Show ist weniger Konzert, sondern vielmehr eine theatrale Performance mit dem Auftritt der drei Rapper und ihres DJs als Höhepunkt des fast dreistündigen Spektakels.
Kampnagel: Fünf Sterne deluxe haben Electro-Künstler verpflichtet
Bei Hip-Hop-Konzerten übernehmen DJs es, die Fans auf Betriebstemperatur zu bringen. Auch Fünf Sterne deluxe haben einen Electro-Künstler verpflichtet und ihn in einen weißen Ärztekittel gesteckt. Doch als Anheizer taugt er nicht. Er hantiert mit einem Wassergefäß und zwei großen Topfpflanzen, die er verkabelt, er erzeugt Schwingungen und projiziert die immer neu entstehenden Ornamente auf eine Leinwand.
Diese psychedelische Esoterik mit ihren sphärischen Klängen ist Teil der Versuchsanordnungen und des wissenschaftlichen Nonsens, den die Hip-Hop-Künstler sich für das Jubiläum ausgedacht haben. Als dann auch noch zu einer Sillium-Wissenschaftlerin nach Japan geschaltet wird, die mit pseudowissenschaftlichem Vokabular die Erforschung des Elements beschreibt, werden Teile des Publikums ungeduldig, rufen nach der Band oder versorgen sich im Foyer mit Getränken.
Fünf Sterne deluxe trinken erst mal aus Reagenzgläsern Silliumsaft
Nach einer Stunde fällt endlich der Vorhang und gibt den Blick frei auf die Band ToyToy und DJ Coolman, der auf seiner DJ-Kanzel mit den beiden Plattentellern und dem Laptop thront. Auch die drei Rapper, ebenfalls in weißen Kitteln, kommen auf die Bühne geschlurft. Doch die Erwartungen der Fans werden erst einmal unterlaufen.
Die Idee einer theatralen Umsetzung des Sillium-Konzepts wird durchgehalten. Das Bo, wie immer mit Beenie-Hat, Tobi Tobsen und Luis Baltes, seit 2018 als dritter Rapper und Beatboxer Teil der Fünf Sterne, trinken erst mal aus Reagenzgläsern blauen Silliumsaft, bevor der Beat einsetzt und Sillium, das Metaphysikum, besungen wird.
Kampnagel: Fünf Sterne deluxe – Publikum im Ü-40-Alter
Bei der zweiten Nummer mit dem Titel „Fünf Sterne deluxe“ erheben sich die ersten Fans von ihren Stühlen und fangen an zu tanzen, doch so ausgelassen wie bei den legendären Flash-Konzerten im Stadtpark geht es noch lange nicht zu. Die Fans sind nicht mehr 18, sondern gehören zur Generation Ü 40, einige haben sogar ihre Kinder dabei. Da braucht es manchmal etwas länger, um in Schwung zu kommen. Die fetzigsten Nummern hat sich die Combo, dramaturgisch geschickt, für den Rest der Show aufgehoben.
Musikalisch klappt die Umsetzung des 25 Jahre alten Albums bestens, was auch an der fünfköpfigen Hamburger Band ToyToy liegt. Die Songs bekommen viel mehr Druck. Die Zeiten, in denen ein DJ mit zwei Turntables ausreichte, sind lange vorbei. Immer mehr Hip-Hop-Künstler lassen sich von Livebands begleiten, um einen wuchtigen Sound hinzubekommen.
Konzert von Fünf Sterne deluxe – Timing ist leider nicht perfekt
Im Sillium-Deutsch heißt das dann: „Mit dem musikalischen Expert*innenteam ToyToy vom Statement Series Forschungszentrum (SSFZ) wird durch analogen Schwingungszusatz die Aufnahme amplifiziert und somit die Wirkung potenziert.“ Kann man auch einfacher ausdrücken, etwa mit „ToyToy rockt!“ Aber eine Performance ist eben kein Konzert.
Das Timing, oder im Hip-Hop-Jargon: der Flow, ist leider nicht perfekt. Auch die kurzen Snippets, die auf dem Album zwischen die Songs geschnitten sind und dort Sinn machen, zerhacken hier bei der Show den Fluss. Die Größe des Albums liegt in dem Wortwitz von Bo und Tobi. Die Texte strotzen vor lustigen Anspielungen auf populäre Persönlichkeiten aus Kultur, Sport und Politik.
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Fünf Sterne deluxe ohne Sexismus und gewaltverherrlichende Sprache
„Wir blasen euch den Marsch wie Ernst Mosch“, rappen sie oder „Ich bin der Karl Dall der Reime, der Mike Krüger des Rap“. Für den Track „Sowieso“ taucht plötzlich Ferris MC im Ärztekittel auf, ein weiterer Höhepunkt ist das Gedicht „Schund“, eine frühe Form des Poetry-Slams. Als Edgar Allan Bo stellt Bo sich vor und skandiert einen fünf Minuten langen irrwitzigen Text, der von Zahnspangen über Teenagerbriefe an die „Bravo“ bis zu Humphrey Bogart und dem Bo-Sillium reicht.
Fünf Sterne deluxe kommen in ihrer Lyrik ohne Sexismus und gewaltverherrlichende Sprache aus, sie sind Wortkünstler im besten Sinne und wurden dafür – genau wie die anderen Hamburger Combos dieser Ära – gefeiert und geliebt. Ein Großteil der Fans ist immer noch textsicher, wenn Hits wie „Willst du mit mir geh’n?“ oder „HipHop Clowns & Party Rapper“ angestimmt werden.
Fünf Sterne deluxe auf Kampnagel – mit Ohrwurm am Schluss
Zum Schluss der Performance drehen Rapper, DJ und Band noch mal richtig auf. „Deluxe Im Kopf“, „Discotizer“ und „Willst du mit mir geh’n?“ bringen jeden im ausverkauften Saal auf die Beine und zum Tanzen. „Sillium“ ist damit abgefeiert, aber ein Fünf-Sterne-Konzert ohne die größten Hits, die zu Gassenhauern des deutschen Sprechgesangs geworden sind, wäre unvollständig.
Also gibt es im Zugabenteil „Die Leude“, „Ja, ja, deine Mudda“ und „türlich, türlich (sicher Dicker)“. Jetzt fühlt sich das Konzert doch wieder an wie das kollektive Ausrasten vor 25 Jahren, der etwas langatmige Beginn ist vergessen, und jeder geht mit einem beschwingten Gefühl nach Hause. Manch einer auch mit einem Ohrwurm: „türlich, türlich, sicher Dicker / türlich, türlich, ist alles klar? / türlich, türlich, sicher Dicker / türlich türlich, seid ihr da? / Bass, Bass, wir brauchen Bass / Was geht’n Alter?/ Bass, Bass, wir brauchen Bass.“