Hamburg. Cat Stevens und Hollywood Vampires verlangen Mondpreise. Aber nicht nur die Stars füllen sich die Taschen. Eine Abrechnung.

Wenn an diesem Sonnabend die Stadtpark-Konzertsaison beginnt, ist eigentlich alles wie immer: Lotto King Karl schließt die Bühne auf, spielt drei Stunden „Bis der Arzt kommt“ von „Wieder im Ballbesitz“ bis „Hamburg, meine Perle“ und das zum fairen Mitnahmepreis von 36 Euro im Vorverkauf. Der Auftakt für 42 Freiluftabende mit Ava Max (21. Mai), Silbermond (26. und 27. Mai) und vielen weiteren Lieblingsbands. Revolverheld, Nile Rodgers & Chic, Beth Hart, Incubus, Bastille, Tocotronic, Johannes Oerding – sogar Nena darf wieder dort spielen.

Aber: Manche in Winterhude kommen den Konzertfan teuer zu stehen. Eine voraussehbare Entwicklung, denn nicht nur ökonomische Faktoren drehen an der Preisspirale für Eintrittskarten. Tickets sind neben dem Verkauf der Urheberrechte von Songs für dreistellige Millionenbeträge an Fonds und Investoren der letzte große Goldesel für Rockstars und Popsternchen.

Livemusik: Festivaltickets für mehr als 1000 Dollar? Längst Alltag in den USA

Wohin die Reise noch gehen könnte, zeigt ein Blick in die USA: Das „Power Trip“-Festival im Oktober 2023 in Indio, Kalifornien, wartet mit dem für Hardrock-Fans wohl unfassbarsten Programm seit Erfindung der Stromgitarre auf: Metallica, AC/DC, Iron Maiden, Ozzy Osbourne, Guns N’ Roses und Tool. Und mit den unbezahlbarsten Karten: Ab 664 US-Dollar für ein Drei-Tagesticket mit Stehplätzen ganz hinten auf dem riesigen „Coachella“-Areal geht es los, Sitzplätze (Heavy Metal!) schlagen mit 874 bis 1524 US-Dollar auf das Konto, und wer in den ersten Reihen headbangen will, ist mit 1749 US-Dollar dabei.

Parkplätze, Bus-Shuttle, Camping, Hotel kommen noch je nach Paket für einige Hundert Scheine obendrauf, von Anreise und Verpflegung ganz zu schweigen. Für sechs Bands an drei Abenden, wohlgemerkt, nicht für 80, 120, 160 Bands wie in Wacken oder auf dem Hellfest.

Zehn Millionen US-Dollar Gage – für eine Show

Zugegeben, die sechs Giganten spielen komplette, ungekürzte Sets, begleitet von Medien-, Licht- und Tontechnik der Extraklasse. Als Maßstab darf das – kaum weniger teure – „Desert Trip“-Festival 2016, auch „Boomerchella“ genannt, in Indio mit Rolling Stones, Paul McCartney, Bob Dylan, Neil Young, Roger Waters und The Who gelten. An drei Wochenenden kamen jeweils 75.000 Fans und sorgten mit 130 Millionen US-Dollar für einen Umsatzrekord in der Festivalbranche. Die Künstler bekamen bis zu zehn Millionen US-Dollar Gage. Für eine Show.

Metallica spielt am 26. und 28. Mai im Volksparkstadion,
Metallica spielt am 26. und 28. Mai im Volksparkstadion, © Paul Bergen

Das ist natürlich absolut kein Rock’n’Roll mehr, aber die wohlhabenden Teile der Generation X greifen sicher gern in die Tasche, um ihre Idole, die ihren kreativen Zenit seit Jahrzehnten hinter sich haben und sich teilweise wirklich nur noch mühsam auf die Bühne schleppen (Ozzy hatte aus Gesundheitsgründen seine Tour 2023 abgesagt), im Paket zu erleben.

Inflation, Energiekosten und Fachkräftemangel treiben die Preise hoch

In Amerika ist alles größer, auch die Rechnung. Aber es ist ja nicht so, dass Konzertkarten für die großen Namen in Deutschland noch erschwinglich sind. Zwar ist es nicht das teuerste Konzertland in Europa, aber mit 12 Prozent über dem europäischen Durchschnitt auch nicht günstig. Und die Kartenpreise steigen und steigen, besonders seit Ende der Pandemie.

Inflation, Energie- und Transportkosten, Mangel an Fachkräften und einfachem Personal sind der eine Teil. Hallenmiete, Verpflegung, Versicherungen: Alles ist teurer geworden. Und natürlich verdienen nicht nur Bands, Künstlerinnen und Künstler an einem Konzertticket, sondern auch Tourveranstalter, lokale Veranstalter, Labels und Ticketbörsen wie Eventim und Ticketmaster.

Tickets für einige Stadtpark-Konzerte kosten bereits mehr als 100 Euro

Und so sind die Zeiten vorbei, in denen man einen Weltstar wie Pink vor 20 Jahren im Hamburger Stadtpark noch für relativ übersichtliche 45 Euro erleben konnte. Sting hatte dort schon vor der Pandemie 2019 die 100-Euro-Marke gerissen, dieses Jahr lassen sich an der Saarlandstraße unter anderem die Hollywood Vampires (85 bis 120 Euro) und Deep Purple (81 Euro) fürstlich bezahlen, während Lotto King Karl mit der kürzesten Anreise – aus Winterhude nach Winterhude – bei seinem 53. Stadtpark-Konzert knapper kalkulieren kann.

Heimspiel im Wohnzimmer: Lotto King Karl eröffnet am 13. Mai die Konzertsaison im Stadtpark.
Heimspiel im Wohnzimmer: Lotto King Karl eröffnet am 13. Mai die Konzertsaison im Stadtpark. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Sicher, aufwendige Produktionen wie bei Elton Johns Abschiedstour oder die Gigantomanie bei den Stadionshows von Helene Fischer oder Rammstein haben ihren Preis, auch wenn man sich streiten mag, ob ein Platz im „Golden Circle“ vor der Bühne bei Elton John wirklich 782 Euro wert ist. Zumindest freut sich Sir Elton über Weltrekord-Einnahmen von mehr als 800 Millionen Euro.

Eine Karte für Cat Stevens kostet sage und schreibe 115 Euro

Die – vielleicht – letzte Gelegenheit, eine Ikone live zu erleben, hat sich zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell entwickelt, oft mit der Pointe, dass die Herren Scorpions, a-ha oder Howard Carpendale nach getrockneten Tränen einfach weitermachten, als wäre nichts gewesen. Aber solange die Fans in Scharen in die Hallen, an die Fanartikel-Stände und an die Bierpilze strömen, macht kein Sting, keine Helene Fischer, kein Lars Ulrich (der trommelnde Geldeintreiber von Metallica) etwas falsch. Der Markt regelt das.

Aber wann ist das Ende der Fahnenstange erreicht? Nehmen wir Yusuf alias Cat Stevens: Da sitzt am 15. Juni ein freundlicher britischer Märchenonkel mit Wanderklampfe auf der Bühne im Stadtpark und vertreibt mit seiner Band die Wartezeit auf „Morning Has Broken“ und „Father And Son“. Keine Konfettikanonen, keine Pyros, keine LED-Leinwände groß wie Fußballfelder. Das kostet der sanfte Spaß den Fan: 115 Euro.

Wer verdient eigentlich was an einem verkauften Konzertticket?

Das muss man erst mal sacken lassen. Das ist … viel Geld. Was rechtfertigt 35 Euro mehr als bei den Lands- und Altersgenossen von Deep Purple? Statt das zu kommentieren, sei völlig ohne Zusammenhang aus einem Lied von Deichkind zitiert: „Ey Leute, sagt mal, geht’s noch? Das kann doch wohl nicht sein?“

Schon 2019 hatte Cat Stevens 99 Euro für seinen Abend im Stadtpark aufgerufen. Inflationsbereinigt ist er also vielleicht sogar günstiger geworden. Trotzdem wäre es interessant zu wissen, wer wie viel an den 115 Euro für eine Cat-Stevens-Karte verdient. Was bekommen die Stadtpark-Betreiber? Was der Veranstalter? Und was bekommt Cat Stevens selbst davon ab?

Die Spitze des Schneeball-Systems Popwelt schaufelt sich den Rachen mit Scheinen voll

Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt und geben wird. Die Konzertbranche wie auch die Künstlerinnen und Künstler auf Starniveau lassen sich ungern in die Karten schauen, mehrere Anfragen nach konkreten, auch anonymisierten Rechenbeispielen an verschiedene Konzertagenturen wurden abgelehnt oder ignoriert.

Klar ist: Die Spitze des Schneeballsystems Popwelt schaufelt sich den Rachen mit Scheinen voll, ob auf dem Livemarkt oder im Streamingsektor. Transparenz würde nur stören bei der Frage, warum eine angeblich sozialistische, hoch politisch engagierte, „Bewaffnet die Obdachlosen“ propagierende Band wie Rage Against The Maschine im September 2022 in Hannover 117 Euro kosten sollte. Bevor es peinlich wurde, verletzte sich Sänger Zack de la Rocha und die Europatermine wurden abgesagt.

Viele wollen ein Stück vom Konzertkarten-Kuchen abhaben.

Aber basteln wir mal mit ein paar Zahlen, die bekannt sind oder zumindest durch Branchengemunkel abschätzbar, ein sehr vereinfachtes, absolut nicht für jedes Konzert anwendbares Rechenbeispiel. Nehmen wir an, ein international bekannter Sänger im Herbst seines Lebens würde mit seiner Band im Stadtpark spielen. Ein Konzertticket kostet 115 Euro, und es kommen tatsächlich 4000 Fans. Das klingt nach 460.000 Euro, allerdings sind sieben Prozent Umsatzsteuer fällig.

Weltrekord: Mit seiner laufenden Abschiedstournee nahm Elton John bislang über 800 Millionen Euro ein.
Weltrekord: Mit seiner laufenden Abschiedstournee nahm Elton John bislang über 800 Millionen Euro ein. © picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Die aktuellen Mietgebühren für den Stadtpark werden nicht veröffentlicht. 2017 betrugen sie 12,5 Prozent der umsatzsteuerbereinigten Einnahmen aus Kartenverkäufen, mindestens jedoch 13.500 Euro. Sollte doch eine Konfettikanone abgeschossen werden, kamen damals 2000 Euro Reinigungsgebühr dazu. Es ist anzunehmen, dass diese Mietgebühren gestiegen sind.

Auch GEMA, Eventim und Ticketmaster langen kräftig zu

Dann die GEMA. Auch die Autorengesellschaft für Musikwerke möchte an der öffentlichen Aufführung finanziell beteiligt werden. Die anfallenden Gebühren anhand von Zuschauerzahl, Art der Musik, Rabatten und anderen Faktoren exakt zu berechnen ist extrem kompliziert, daher nehmen wir den für 4000 Besucher halbwegs passenden Regel-Vergütungssatz von 7,6 Prozent aus dem Netto-Kartenverkauf (exklusive Umsatzsteuer, Vorverkaufs- und Systemgebühren).

Ach ja, Vorverkaufs- und Systemgebühren: Eventim, Ticketmaster und ähnliche Portale schlagen beim Vorverkauf in der Regel zehn Prozent auf den Kartengrundpreis für Marketing und Vertrieb drauf. Vertrieb heißt 2023: Eine E-Mail mit PDF-Ticket verschicken.

Je populärer der Star, desto höher sein Anteil am verkauften Ticket

Knapp ein Drittel der 115 Euro sind so bereits verteilt. Mindestens ein weiteres, in seiner Zusammenstellung variables Drittel geht für Veranstalter, Produktion, Technik, Transport, Unterbringung, Ordnungsdienst, Verpflegung inklusive Personal, Versicherungen drauf. Und die letzten 20 bis 30 Prozent der Kartenverkäufe, da sind sich Branchenexperten einig, gehen dann an den Star. Gern zusätzlich zu einer vorab vertraglich festgelegten Gage in unbekannter Höhe. Je populärer der Star, desto größer Anteile und Gagen.

Da besteht natürlich ein erheblicher Unterschied zwischen Newcomerbands, die froh sein dürfen über Benzingeld, und den Superstars, die an einem einzigen ausverkauftem Stadtpark-Abend für 115 Euro pro Karte geschätzte 140.000 Euro reicher ins Bett gehen.

An der Spitze ist kein Absinken der Kartennachfrage festzustellen

Aber: Die Bands, die Backstage mit Käsebrötchen und einer Familienpackung trockener und eingerissener weißer Haribo-Mäuse vorliebnehmen müssen, statt mit veganem Entrecôte und farblich sortierten M&M’s, hatten es schon vor Corona schwer – und jetzt noch schwerer, während der Golden Circle des Pops unbesorgt die Kartenpreise immer weiter in die Höhe treiben kann – Tickets werden ihnen nach wie vor aus den Händen gerissen.

Yusuf alias Cat Stevens, hier im Oktober 2022 in Ankara
Yusuf alias Cat Stevens, hier im Oktober 2022 in Ankara © picture alliance | Mustafa Kamaci

Livemusik: Popkultur ist zu einem Luxusartikel geworden

Kürzlich beschwerte sich ein Abendblatt-Leser, dass eine Karte für eine hierzulande relativ unbekannte französische Rockband im Knust 40 Euro kostete. Was er nicht wusste, nicht wissen konnte: Auf diesem Popularitätsniveau bleiben pro Bandmitglied lediglich zwischen 800 und 1000 Euro übrig. Nicht wenige Musikerinnen und Musiker würden von so einem Umsatz sogar träumen. Aber man muss schon sehr ausgiebig und immer wieder touren, um damit auf lange Sicht über die Runden zu kommen. Es stehen eben nicht alle auf der Cat-Stevens-Sonnenseite des Konzertlebens.

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