Hamburg. Beim Konzert war nicht nur an den Bierständen viel los. Die Lautstärke ließ zu wünschen übrig, dennoch wurden die Fans belohnt.

Es ist ein offenes Geheimnis in der Branche, dass beim Kartenvorverkauf für unbestuhlte Konzerte auch ein gewisser „Herrenfaktor“ eingerechnet wird: Wenn im Durchschnitt mehr ältere männliche Besucher zu erwarten sind, werden entsprechend weniger Karten in den Verkauf gegeben. Ganz einfach, weil bei Nazareth, Jethro Tull oder Deep Purple insgesamt mehr „Mensch“ anwesend ist als beispielsweise bei einer Teenie-Boyband.

Bei Deep Purple am Donnerstag im Hamburger Stadtpark wurde dieser Faktor offensichtlich nicht eingerechnet. Das grüne Rund in Winterhude ist nicht nur ausverkauft, sondern die 4000 Fans kippen fast über die Hecke wie in einem vollen Fass.

Deep Purple im Stadtpark: Lange Schlangen an Bierständen

Lange Schlangen an den Bierständen, viel Verkehr auch nach Konzertbeginn im Umlauf, nicht wenige bekommen sich nicht mehr durch die Durchgänge gequetscht. Interessanterweise ist es vorne an den Seiten aber luftig, fast kann man noch alte Abstandsregeln einhalten. Auch auf der Grillwiese neben der Stadtparkbühne ist kein Quadratzentimeter Rasen mehr frei.

„Wir haben einst entschieden, nie modisch zu sein, und wir waren nie modisch“, sagte Sänger Ian Gillan vor zwei Jahren. Aber bei den Fans kam Deep Purple nie aus der Mode, sie ziehen immer noch, auch wenn die vorherigen drei Auftritte der britischen Hardrock-Pioniere in der Barclays Arena zu erleben waren. Sie sind ja auch immer noch gut im Saft. Die achte Besetzung mit Ian Gillan am Gesang, Steve Morse an der Gitarre, Don Airey an den Keyboards, Roger Glover am Bass und Schlagzeug-Metronom Ian Paice ist seit 20 Jahren stabil, und den Spaß, den das Quartett hat, hört man auch auf dem aktuellen Album „Whoosh!“ (2020).

Den Fleiß und die Spielfreude hört man auch auf der 2021 erschienenen Coverplatte „Turning To Crime“, auf der Ray Charles, Bob Dylan, Fleetwood Mac, Yardbirds und Cream interpretiert werden. Auf der laufenden Tour wird Steve Morse allerdings durch Simon McBride vertreten, Morse muss seine sehr kranke Frau pflegen.

Deep Purple: Unrockbare Zimmerlautstärke im Stadtpark

Im Stadtpark geht es aber mit einem alten Klassiker los, „Highway Star“ vom bahnbrechenden Album „Machine Head“ 1972. Die fünf zocken das Stück mit der ganzen Routine der Jahrzehnte herunter, und das Gillan stimmlich natürlich längst keine 20 mehr ist (der Heuler „Child In Time“ fehlt deshalb seit 20 Jahren auf der Setliste), ist deutlich zu hören – auch bei der im Stadtpark mittlerweile unrockbaren Zimmerlautstärke. Macht aber nix, der Nostalgiefaktor rechnet das wieder raus, und auch die neuen Lieder von „Whoosh!“, „No Need To Shout“ und „Nothing At All“ fügen sich ideal ein in den Classic-Rock-Sound mit wimmernder Orgel, Gitarrenläufen und dem Gedonner des unzerstörbaren Ian Paice.

Band wie Publikum lassen es in der Abendhitze entspannt angehen. Niemand macht einen Schritt, einen Effekt oder eine Pose zu viel. Die wilden Zeiten, als ganze Säle zerlegt wurden oder sich der streitbare Gitarrengott Ritchie Blackmore mit seinen Bandkollegen auf der Bühne zoffte, sind lange vorbei. An die wilden 70er erinnert im Stadtpark höchstens das reife Paar, dass sich zu zweit auf das Herren-WC schmuggelt, um sich die Nasen zu pudern. Ob das so gut ist für die Pumpe? Dingelingeling – Don Airey zitiert bei seinem Keyboard-Solo „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“.

Deep Purple: Fans warten geduldig auf „Smoke On The Water“

„We’re meeting all the groovy people, We’ve rocked the Milky Way so far“, singt Ian Gillan bei „Space Truckin’“. Bislang rocken sie die Milchstraße und den Stadtpark. Aber wie immer bei Konzerten von Deep Purple wartet ein nicht unerheblicher Teil des Publikums auf „Smoke On The Water“. Das prägnante Riff, vielleicht das bekannteste der Rockgeschichte, wird natürlich nicht vergessen. Der Refrain schwappt wie eine La-Ola-Welle und raus auf die Grillwiese, wo er ebenfalls mitgesungen wird. Von dort aus zieht Rauch auf den Stadtparksee.

Aber das ist noch nicht das Ende. Bis zum traditionellen Rausschmeißer „Black Night“ nach 100 Minuten ist noch ein wenig Zeit. Deep Purple beginnt die Zugaben mit dem Medley „Caught In The Act“ vom neuen Coveralbum und zitiert Zeitgenossen wie Allman Brothers, Led Zeppelin und Spencer Davis Group. Neuere Lieder fanden auf dem Coveralbum kein Platz, denn wie sagte Roger Glover im Interview mit dpa: „Ich will nicht der alte Typ sein, der sich über neue Musik beschwert, aber sie ist sch...“. Das muss man nicht unterschreiben, aber die Ansicht sei ihm ebenso gegönnt wie sein Bass-Solo nach „Hush“. Dann ist nach „Black Night“ Feierabend. Aber die Sommernacht ist noch nicht schwarz, eher tieflila.