Hamburg. „Partytime in Hamburg“: PUR um Sänger Hartmut Engler spielt sich mit 12.000 Fans in der Barclays Arena in einen wahren Rausch.
PUR ist in der deutschen Popszene für nicht wenige Kritiker so etwas wie der Teddybär im Schlafzimmer von über 40-Jährigen: voll der Abturner. Nicht sexy. Und das ist ziemlich gemein. Denn so ein Teddy, so ein „Häuptling Kuschelnder Bär“, wie sich PUR-Sänger Hartmut Engler in „Hör gut zu“ selbst bezeichnet, ist ein Freund für das Leben. Er tröstet, wärmt, hört sich klaglos Probleme an, geht durch dick und dünn. Seit über 40 Jahren. So wie die Band aus Bietigheim-Bissingen.
Am Sonntag sind Hartmut Engler und seine Jungs in Hamburg und beginnen mit „Keiner will alleine sein“. Und alleine sind sie ganz sicher nicht. 12.000 Fans sind in die Barclays Arena gekommen. Engler freut sich sichtlich über „drei Generationen im Publikum und drei Generationen auf der Bühne“. Das Publikum ist für eine schon so lang aktive Band im Schnitt eine erstaunlich junge bunte Mischung.
Konzert Hamburg: Gitarrist Severin von Sydow ist das Nesthäkchen von PUR
Auch die Besetzung an den Instrumenten spiegelt das wieder: Keyboarder Ingo Reidl gründete 1975 die Schülerband Crusade, in die Engler 1976 einstieg und aus der zehn Jahre später PUR wurde. Der 2022 zu PUR gestoßene Gitarrist Severin von Sydow hingegen war da noch nicht mal geboren: Mit 27 Jahren ist er das Nesthäkchen der Band, aber auf seiner ersten großen Tournee ein so abgeklärter wie bewegungsfreudiger Hingucker.
Das Stichwort für den zweieinhalb Stunden langen Abend in der Barclays Arena liefert definitiv der dritte Song „Freunde“, wie auch Engler es ankündigt, nachdem er einen minutenlangen Begrüßungsapplaus abwarten musste: „Was für ein Empfang, das ziehen wir uns richtig rein, dieses Geräusch, Applaus genannt.“ 2019 war PUR zuletzt in Hamburg im Stadtpark, und seitdem ist eine Menge passiert.
PUR mag lieb und harmlos sein – ist aber eine Band mit Haltung
PUR hat einiges davon auf dem aktuellen Album „Persönlich“ (2022) verarbeitet, zum Beispiel im Lied „Verschwörer“: „Ich bin dein Verschwörer, ich trink’ das Blut der Kinder, verschwinde dann im Internet und tauche wieder auf. Da wo das Hirn – brachliegende Synapsen – an die flache Erde und nicht an das Virus glaubt“, heißt es da. Auch das folgende „Kein Krieg“, erschienen 1991 auf dem Album „Nichts ohne Grund“, ist wieder aktuell. PUR mag eine liebe, harmlose Band sein. Aber eine mit Haltung.
Und mit Beständigkeit. 17 Alben hat die Band seit 1983, als sie noch Opus hieß und vor 20 Leuten im Logo spielte, veröffentlicht. Und seit 30 Jahren sind sie immer fest auf den ersten drei Chartplätzen gebucht. Es gibt wenig, was die fleißigen Schwaben nicht erlebt oder ausprobiert haben. Dabei drehte sich das Besetzungskarussell kaum (Martin Stoeck, Schlagzeuger von 1995 bis 2015, starb leider vor zwei Jahren). Eigentlich fehlt in der Sammlung nur ein „MTV Unplugged“-Album, aber das wurde wie die dazugehörige Konzertreise 2020 durch die Pandemie zu den Akten gelegt. Also zurück zum Üblichen, Studioalbum und Arenatour.
Bei den Hits hält es niemanden mehr auf den Sitzen
Der Saal ist jedenfalls begeistert. Nach „Seiltänzertraum“ schwillt der erste von mehreren „Oh wie ist das schön“-Massenchören durch das Rund. „Wenn sie diesen Tango hört“ wird von Tausenden Handy-LEDs illuminiert. Band und Publikum scheinen so eng verbunden, als seien nicht nur Instrumente, drei große Videoleinwände und ein schwenkbarer großer Licht-Doppelring von der Crew aus den Trucks entladen, sondern auch die Fans. Hingabe pur.
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Bei den Hits Marke „Hör gut zu“, „Abenteuerland“ und „Ich lieb’ dich“ sowie einem langen Medley von „Neue Brücken“ bis „Mein Freund Rudi“ hält es niemanden auf den Sitzen. Nicht zu vergessen „Indianer“. Dem Zeitgeist entsprechend betont Hartmut Engler, dass es bei diesem Lied nicht um die nordamerikanischen Stämme geht, sondern um Kindheitserinnerungen.
Konzert Hamburg: Naturally 7 und Peppa kommen als Gäste auf die Bühne
Keiner will alleine sein. Bei „Funkelperlenaugen“ und „Allein vor dem Spiegel“ kommen sieben Gäste auf die Bühne: Der Tour-Support Naturally 7. Das New Yorker A-cappella-Ensemble gehört zu den guten Freunden von PUR und durfte im vergangenen September auch vor 70.000 Menschen bei der PUR-Stadionshow auf Schalke ran.
Und seit der Tournee 2019 gehört auch die Kreuzberger Sängerin Peppa zum erweiterten Familienkreis, sie begleitet Engler bei den ersten Zugaben „Ist es mein Gesicht“ und „Drachen sollen fliegen“. Und alle zusammen vereinen sich bei „Komet“ und „Zu Ende träumen“. „Partytime in Hamburg“, ruft Engler begeistert.
Aber auch die längste Party hat irgendwann ein Ende. Bei PUR mit „Lena“. Trotzdem haben einige Fans immer noch nicht genug. An der Buskehre am Fußgängertunnel zur Haltestelle Stellingen hat noch ein Bierbüdchen offen. „Abenteuerland“ dröhnt aus den Boxen und durch den Tunnel: „Du kannst tanzen, taumeln, träumen und die Schule versäumen“. Ein Träubchen bildet sich am Tresen und ordert weitere Kannen Bier. Tanz in den Mai am gottverlassensten Ort Hamburgs.