Hamburg. Der Musiker und Autor verarbeitet in seinem Buch die ersten Corona-Monate in der Märkischen Schweiz, Berlin und Hamburg.

Wollen wir noch einmal mitten hinein in die Anfänge der Corona-Zeit? Diese Frage drängt sich durchaus auf vor der Lektüre des neuen Buchs von Dirk von Lowtzow, seines Zeichens Autor sowie Sänger und Musiker bei der Rockband Tocotronic. Die Antwort in diesem Fall, auch wenn es unangenehm erscheinen mag: unbedingt. Denn der Titel „Ich tauche auf“ ist wohlweislich gewählt. Jetzt, im Ausklang der Pandemie, spielt das Leben wieder verstärkt im Außen. Doch dieser Transit, dieses Auftauchen, bedarf der künstlerischen Reflexion.

Was genau ist da passiert in den ersten Monaten von Schock und Schutzmaßnahmen? Autor Von Lowtzow liefert so etwas wie eine literarische Echtzeitverarbeitung. Eine Mischung aus Seismographie und Fantasterei. Schon länger hatte er sich vorgenommen, zwischen seinem 49. und 50. Geburtstag Tagebuch zu führen. Sein Vorhaben fiel jedoch ausgerechnet in die ersten Corona-Monate zwischen dem 21. März 2020 und dem 21. März 2021. Sein Plan: „von diesem traurigen Jahr erzählen, als wäre es die schönste Zeit meines Lebens gewesen“. Doch „wie kann man die Ereignislosigkeit erzählen, wie den Stillstand, wie die Starre? Wie erzählt man die schwüle Luft, die Wolken und den Himmel“, notiert von Lowtzow am 24. Juli 2020 in Buckow. Der Ort in der Märkischen Schweiz ist neben Berlin einer der Hauptschauplätze. Doch auch seine alte Hamburger Heimat wird prosaisch und real durchmessen.

Tocotronic: „Ich tauche auf“ ist letztendlich auch ein Buch eines Privilegierten

All die kurzen Texte in „Ich tauche auf“ entfalten einen großen Sog, der einem die Corona-Zeit noch einmal poetisch erschließt. Es geht nicht um die bloße Schilderung des Ausnahmezustands. Sondern vor allem darum, welche Erinnerungen, Dämonen und auch Schönheiten die Einschränkungen und Entschleunigungen hervorgebracht haben. Wie so viele im Lockdown fokussiert sich auch von Lowtzow stärker auf sein direktes Umfeld und die darin liegenden Details. Unter dem Motto „Bleib zu Hause“ wird er somit zum „Anti-Kerouac“. Während er einerseits sein „Selbst als Spießbürger“ auslotet, wird das Nahe und Unmittelbare andererseits immer wieder zum Tor in assoziative und fiktive Welten.

Von Lowtzow schreibt Miniaturen zu Land- und Gesellschaft, zu Psyche und Kultur. Es geht um Gespräche auf Parkbänken und Gespräche mit sich selbst. Um Freibad- und Galeriebesuche. Um Mozart, Mad Max und Muff Potter. Um Panikattacken, Plüschtiere und Popproduktion. Um Schmerzen im Rücken und Erlösung durch Musik. Und wenn er lockdown-bedingt die Wände hochzugehen droht, dann imaginiert er sich lieber durch diese hindurch: Sein Teddy, das Bärchen, steigt da durch die Mäntel an der Garderobe in eine andere Realität hinab. Eine Aus- und Zuflucht gleichermaßen. Letztlich ist dieses Buch auch die Chronik eines Privilegierten. Kurz wird einmal das Antragsformular für eine Corona-Hilfe erwähnt. Aber ansonsten scheinen finanzielle Überlebenskämpfe ebenso wenig präsent wie Dauerüberforderung durch Broterwerb, Homeschooling und Hausarbeit. Der rote Faden ist vielmehr die Stimme eines Künstlers, der die Welt als konstante Inspiration begreift. Und dem sich in der gedehnten Zeit der Pandemie auch Räume in die Vergangenheit eröffnen.

Tocotronic: Auch die Anfänge in Hamburg werden erzählt

Bei Stippvisiten in Hamburg erinnert er sich an die Anfänge seiner Band. Er taucht kurz ab in den Moment, als er gemeinsam mit dem künftigen Tocotronic-Bassisten Jan Müller den Schlagzeuger Arne Zank bei einem Bernd-Begemann-Konzert in der Barmbeker Zinnschmelze kennenlernt. Die geschilderte Episode liest sich wie eine Spiegelung zu Jan Müllers Coming-of-Age-Roman „Vorglühen“, der ebenfalls eine Hamburger Band-Werdung erzählt. Alles hängt mit allem zusammen. In seinem zweiten Buch nach der Selbststudie „Aus dem Dachsbau“ kultiviert von Lowtzow dieses Prinzip weiter.

„Entdeckungen und Verweise machen die Arbeit erst zu dem, was sie ist. Es gibt keinen luftleeren Raum, in dem sie überleben kann. Darüber bin ich sehr glücklich“, schreibt er etwa am 28. Juni 2020, nachdem er zuvor einen Bogen von Regisseur Christian Petzold über Schriftstellerin Ingeborg Bachmann bis hin zu Anja Plaschg geschlagen hat. Mit der österreichischen Sängerin hatte er 2022 bereits ein wunderbar somnambules Duett unter dem Titel „Ich tauche auf“ eingesungen. Mit „Sehnsucht nach unten“ veröffentlichte er zudem einen Song extra zum Buch. In der leichtfüßigen Intensität eines Klassikers wie „These Days“ wird da das eigene Verschwinden verhandelt. Seine Rockband Tocotronic wiederum feiert 2023 ihr 30. Jubiläum. Die Geschichte schreibt sich fort. Ob in der Musik. Oder als Tagebuch.

Dirk von Lowtzow: „Ich tauche auf“ Lesung und Konzert: 26.4., 20.00, Schauspielhaus, Tickets zu 25,- unter www.schauspielhaus.de