Der Superstar fuhr Akrobatik, Emotionen und Wasser auf. Dann gab es ihr ganz persönliches „Herzbeben“.
- Tourauftakt für Superstar Helene Fischer in der Hamburger Barclays Arena.
- Die Sängerin weist darauf hin, dass sie tatsächlich alles live singe.
- Plötzlich schwebt Tänzer und Lebenspartner Thomas Seitel zu ihr herab.
Hamburg Über Helene Fischers körperliches Leistungsvermögen muss man sich keine Gedanken mehr machen. Die Rippe der Nation hält! Kollektives Aufatmen im Land des Rauschs. So heißen Album und Tournee gleichermaßen – „Rausch“. In der Hamburger Barclays Arena begann am Dienstagabend die große Konzertreise durch die Republik. Mit Hits und Akrobatik, wie man es von der Entertainmentmaschine Helene Fischer kennt.
Laute Helene-Rufe im Publikum um 20.03 Uhr, dann gingen die Lichter aus. Diamanten glitten über die Leinwand. Um 20.06 Uhr ertönte Fischers Stimme, dann schwebte sie genau da über der Bühne, wo eben noch ein riesiger roter Diamant aus Stoff Platzhalter war. Erster Knalleffekt. „In nur einem Moment kann sich alles dreh’n/Wir hab’n uns schon so lang nach diesem Tag gesehnt“, das waren die Zeilen aus „Null auf 100“, mit denen die in einen schwarzroten Einteiler gekleidete Sängerin ihre Tournee eröffnete.
Worte ans Publikum richtete sie schon früh. Es sei ein „so schöner Moment, bei euch zu sein“, rief Fischer. „Hoch emotional“, lange Vorbereitung für die Tour, klar, und dann die Ansage an alle in Hamburg an diesem ersten Abend: „Wir werden heute sehen, was geht und was nicht.“
Ein Wort über ihre Physis verlor sie dann unter dem Jubel des Publikums auch noch, mit klarer Message: „Macht euch keine Sorgen um mich, mir geht es fantastisch, die Ärzte haben grünes Licht gegeben.“ Ein bisschen weh tue die Rippe noch, so Fischer. Aufhalten könne sie aber nichts.
Helene Fischer liefert in Hamburg erstaunlichen Körpereinsatz ab
Die Künstlerin, die für ihre Fans den Schmerz wegtanzt – so hätte sie alle auf ihre Seite gekriegt. Wenn da nicht schon alle gewesen wären. Es sind die Artisten von Cirque du Soleil, die sich die 38-jährige Unterhalterin erneut zur Unterstützung ihrer aufwendigen Show auf die Bühne geholt hat. Was Athletik angeht, lieferten Fischer und Entourage von den ersten Songs „Genau dieses Gefühl“ und „Fehlerfrei“ an erstaunlichen Körpereinsatz ab. Das muss man anerkennen: Völlige Verausgabung ist der Grund, auf dem Deutschlands größter Star sein Schlagerimperium gebaut hat. Außerdem ist Fischer eine Frau des Volkes. Vor Konzertbeginn lief Lidl-Werbung. Der Discounter ist offizieller Helene-Partner.
In Hamburg, wo bis zum 16. April insgesamt fünf Konzerte stattfinden, begann die Tour wegen einer vor dem eigentlichen Tourauftakt in Bremen zugezogenen Rippenfraktur also verspätet. Der Motor läuft jetzt aber wieder wie geschmiert. Bei „Herzbeben“ zeigten die Tänzerinnen und Tänzer erstmals durchaus spektakulär ihr Können und bewegten sich akrobatisch mit großen Ringen. Später, bei „Volle Kraft voraus“, umrahmten sie die Sängerin mit Bändern. An zweien turnte dann ein Artist in großer Höhe zu einem E-Gitarren-Solo waghalsige Übungen. Frau Fischer hat es auf Überwältigung abgesehen.
Besonders bei „Wunden“: Da sang Helene Fischer ungesichert am Trapez hängend und luftakrobatisch einige Meter hoch über der Bühne. Ein Pas de deux mit einem Turner, unter ihr ein Trampolin, zu dem sie erst hinabsank, um sich dann erneut nach oben zu katapultieren. So was muss man können.
Magie hat Fischer ihren Fans vor Tourstart versprochen. Und Magie lieferte sie fraglos. Die Zauberhand, die die Barclays Arena über zweieinhalb Stunden in einen Kitschkessel verwandelte, war, hex, hex, mit Erfolgstiteln wie „Nur mit dir“ und „Rausch“ am Start. Bei Letzterem stand Fischer im Feuerring, neben ihr tanzende Fackelträger, dann schon wieder tanzte sie synchron mit ihrer Tanzcrew zu Beats, die den Schlager in die Disco holten.
Das sah schon alles gut aus, und nur böse Menschen behaupten, bei Helene Fischer sei immer so viel los auf der Bühne, weil schlichte Schlagertexte auf die Dauer etwas seien, wovon man auch ein wenig ablenken müsse. Magie also: Es war tatsächlich der stets faszinierende Zauber der kollektiven Begeisterung, der im mit etwa 12.000 Besucherinnen und Besuchern gefüllten Rund um sich griff. Viele von ihnen kamen wegen des bei Fischer längst etablierten Bühnenprogramms und der Helene-Lizenz zur fröhlich von keinerlei Tiefe beschwerten Feierei.
Anderen bedeuten die eingängigen Stücke gerade wegen deren Instant-Sentimentalität alles – nicht wenige Helene-Ultras dürften dieser Tage mehr als einmal in die Arena kommen. Um dort wiederholt Mitglied der schlagernden Verbindung zu sein. Heiße Herzen, hüpfende Hüften, alle sind eins mit Helene, der teutonischen Liedgut-Superpower.
Die sah beim Tourdebüt so aus, dass Fischer in rhythmischer Top-Akrobatik, mit Tanzeinlagen und Showeffekten Emotion auf Emotion schichtete. Bei „Never Enough“ stürzten Wasserschwälle auf die Bühne, sie stand dann in einer edlen Pfütze und sang „Hand in Hand“, ein von ihr selbst geschriebenes Lied.
Und dann schwebte der Tänzer Thomas Seitel mit nacktem Oberkörper zu ihr herab. Ihr Lebenspartner also. Mehr Wasser. Noch mal Trapez. Dann war Pause. Erst mal durchatmen.
Danach ging es weiter mit den Liedern ihrer Erfolgsalben. Hatte Fischer vorher mit ihren Bühnenpartnern den Schauwert des Konzerts Lied für Lied hochgejazzt, stand jetzt auf der vorgelagerten kleinen Bühne im Publikum die Musik im Mittelpunkt. Die Show ist professionell, was sonst, durchchoreografiert; das Fitness-Level der, wie wir natürlich aus den Klatschspalten wissen, Mittlerweile-auch-Mama Fischer bemerkenswert.
Aber einfach nur mitsingen will der Helene-Fan halt auch mal – dafür war das Hit-Medley da. „Von hier bis unendlich“, das war dann Kirmeszelt-Delirium oder jedenfalls fast, und Helene Fischer („Das ist ein Megastart hier heute Abend“) trug dabei das grob gezählt fünfte Outfit des Abends, diesmal in klassischem Schwarz.
Dann gab es wieder harte Beats und Artistik, bei der man schwindelfrei sein muss. Die Sängerin fühlte sich übrigens bemüßigt, darauf zu verweisen, dass gesangsmäßig tatsächlich alles live sei. Und erinnerte an ihre lange Konzertpause – „ich muss erst wieder Kondition bekommen“.
Wem die formale Schlager-Perfektion und das Image des Pop-Phänomens Fischer als beseligende Banal-Poetin mit dem Auftrag der Verzückung von Hunderttausenden immer verdächtig vorkam, wer der Devise „Auschecken vom Alltag“ um den Preis des Absinkens in sprachliche Niederungen nichts abgewinnen kann, der wurde wohl auch diesmal nicht missioniert.
Aber das Illusionstheater „Schlager“, das große Gefühle barrierefrei auf die Bühne bringt, wird dank Helene Fischer auch in dieser Saison die finanziell einträglichste Unternehmung sein. Mehr als 70 Konzerte wird Fischers Truppe am Ende der Tour, sollte alles laufen wie geplant, gespielt haben. Da wird der Rubel rollen, und fast alle werden bekommen, was sie wollen: Ekstase, Spaß, Gefühlsüberschwang – und, fast ganz zum Schluss, „Atemlos durch die Nacht“.