Hamburg. Der umstrittene Musiker setzte in der Barclays Arena auf Überwältigung durch Bombast. Kritikern empfahl er den Gang zur Bar.
Sein Publikum hob zehn Minuten vor Beginn des Konzerts den Daumen: Ein Gericht in Frankfurt habe entschieden, er sei kein Antisemit. Als diese lauten Worte, auf Band eingesprochen von Roger Waters, aus den Lautsprechern der Barclays Arena tönten, brandete Applaus auf. Und dann noch mal, als sich Waters („Um es klar zu sagen, ich verdamme Antisemitismus“) weltanschaulich auf die sichere Seite begab.
Roger Waters: In Hamburg tat sich vor dem Konzert nicht viel
Das war also der Kommentar des englischen Musikers zu den Querelen der vergangenen Wochen, der vor seinen Konzerten übrigens rituell all denjenigen vorschlägt, die „Pink Floyd mögen, aber ein Problem mit Rogers politischen Ansichten haben“, sich „an die Bar zu verpissen“. Waters und die Politik also: In Köln, wo Roger Waters am 9. Mai auftritt, ist eine Protest-Kundgebung geplant.
Und in Frankfurt, dort ist der umstrittene Musiker für den 28. Mai angekündigt, steht die Front gegen Waters ohnehin. Das Recht aufzutreten hat sich der ehemalige Kopf von Pink Floyd dort vor Gericht erkämpfen müssen, nachdem die Stadt seinen Auftritt zunächst untersagt hatte. Zum Konzerttermin soll es eine Protestaktion geben.
Und in Hamburg beim ersten Deutschland-Konzert? Tat sich nicht viel. Zwei Kamerateams auf Stimmenfang und vermutlich einer vagen Suche nach der Antwort auf die Frage, ob sich die Leute an Waters’ Nähe zur antiisraelischen Kampagne BDS stören – dies war das einzig auffällige.
Antisemitismus-Vorwürfe gegen streitbaren Roger Waters
Das war auch schon im Vorfeld vernehmbar: Dass die Antisemitismus-Vorwürfe gegen den streitbaren Waters vor Ort, in Form von Plakaten und klaren Ansagen etwa durch Megafone, nicht wiederholt werden würden. Die Leute kamen, das zeigte der Applaus nach seinem Statement hinsichtlich der Gerichtsentscheidung, um seine Musik zu hören.
Und schlugen damit auch die Anregungen der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank („Alle Fans und Konzertbesucher sollten sich überlegen, ob sie Waters eine Bühne bieten wollen“) in den Wind, Waters womöglich zu boykottieren. Die Halle war ganz gut gefüllt. Komplett bestuhlt, die Bühne inmitten der Arena. Schätzungsweise 6500 Menschen mögen da gewesen sein.
Roger Waters’ Strahlkraft hat nicht abgenommen
Die Strahlkraft des bald 80-Jährigen hat also nicht abgenommen. Auf seiner „This Is Not A Drill“-Tour spielt Waters viele Klassiker aus dem Werk Pink Floyds. Auch in Hamburg ging es gleich mit „Comfortably Numb“ los, später dann folgten noch mehr als ein Dutzend weitere Pink-Floyd-Songs. „Wish You Were Here“, „Another Brick In the Wall“ sehr früh schon, „Shine On You Crazy Diamond”.
Und auch Stücke von seinen Soloalben, „Is This The Life We Really Want“ etwa, Waters‘ desillusionierter Kommentar auf den Zeitgeist, Xenophobie, die Mediengesellschaft, den Kapitalismus. Wäre Waters nicht so schrecklich (mindestens) borniert in der Israel-Frage, man könnte den Zorn dieses alten Mannes, der ja auch Sorge ist, für ehrenvoll halten. Aber es ist halt so: In diesem Fall kann zumindest für manche das Tun des Künstlers außerhalb der Kunst die moralische Stichhaltigkeit derselben beschädigen.
Visueller Overkill beim Konzert in der Barclays Arena
Und wenn es so ist, ist da dann aber halt noch die Show, das Waters-Spektakel – mit dieser Form der Überwältigung muss der kritische Geist dann auch mithalten: Auf den riesigen LED-Leinwänden unterfütterte eine gigantische Bilder- und Wortflut die Songs. Visueller Overkill.
Bei „The Powers That Be“ flimmerten die Opfer rassistischer Übergriffe über die Leinwand: Schwarze, Juden, Palästinenser, USA, Bergen-Belsen und der Nahe Osten, Unrecht bleibt Unrecht, überall, ist die Aussage. Waters, der mal Bass spielte, mal Klavier, mal Gitarre, mal nur sang, blieb klar in seinen Ansagen. Rot eingefärbt erschienen alle US-Präsidenten seit Reagan auf der Leinwand: Allesamt Mörder und Kriegstreiber.
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Alle seien an diesem Abend „wie gemeinsam in einer Bar“, sagte Waters einmal. In einer Bar, in der man sich treffe und Ideen austausche – das war dann die menschenumarmende Botschaft. Man kann ja nicht immer nur schlechte Laune verbreiten, nur weil die Menschen, gerade die Mächtigen, oft so schlecht sind.
Roger Waters ein „von Neid zerfressener Größenwahnsinniger“?
Man denkt zwischendurch, gemeinerweise, an die englische Schriftstellerin Polly Samson, die mit Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour verheiratet ist und vor nicht allzu langer Zeit aggressiv zu Protokoll gab, dass Waters „leider“ antisemitisch bis zu seinem „verfaulten Kern“ sei. Waters sei zudem „ein Putin-Apologet“, „ein lügender, stehlender, heuchlerischer, Steuern umgehender“ und, Achtung, ein „zum Playback die Lippen bewegender, frauenfeindlicher, von Neid zerfressener Größenwahnsinniger“.
Nun, Größenwahn wohnte zum Beispiel seinen Kompositionen immer inne. Was das Playback angeht – muss offen bleiben, es klang in der Barclays Arena insgesamt live. Es war jedenfalls eine nicht immer sehr nuancierte Stimme, die da ins Rund tönte, die Singstimme eines alten Mannes. „Wish You Were Here“ war, wo der Text auf der Leinwand die Geschichte von Pink Floyd, von Roger Waters und Syd Barrett, erzählte, durchaus anrührend. Ein starker Konzertmoment, ein frühes Kapitel aus der Rock-Oper über Waters’ Leben.
Roger Waters: Der Mann hat eine Mordswut
Es war aber alles schon sehr, sehr lang und viel, die geistige Spannkraft für all die Botschaften, deren Kern beißende Kritik an den USA und dem Westen ist, wollte man irgendwann jedenfalls nicht mehr aufbringen. Pink Floyd, Roger Waters, sind die etwa irgendwie auch langweilig mit ihrem pompösen, komplexen Sound? Und, sagen wir, Radiohead lieben, aber bei Waters fast wegdösen: Sollte eigentlich nicht so sein, war aber an dem Abend so. Waters’ böser Song „Sheep“ ist, fiel einem in der Barclays Arena endgültig auf, eigentlich unerträglich in seinem Rockpomp. Wenigstens schwebte ein Helium-Schaf durchs Rund.
Und nach der Pause dann das berühmte Schwein (“Steal from the poor, give to the rich“), ein mit einer Fake-Maschinenpistole ballernder Waters, ein Drohnenangriff auf Zivilpersonen im Irak auf der Leinwand. Der Schriftzug „Free Julian Assange“, Jubel in der Menge. „Fuck the Patriarchy“, kein Jubel, weniger griffig, auch bei „Fuck Bombing Weddings“ nicht. Dann heißt es, als Waters „Déjà Vu“ singt, „You can’t have occupation and human rights“. Waters ist das Sprachrohr aller Unterdrückten, nicht nur in Nahost. Der Mann hat eine Mordswut.
In den besten Momenten destillierte sich aus dieser in der Barclays Arena feuriger Rock ’n’ Roll, dargeboten von Waters’ hervorragender Band mit Gitarrensoli, Saxofon-Delirien und sattem Backgroundgesang.
Das tanzende Kapitalistenschwein durfte dabei nicht fehlen.