Hamburg. Ob Bob Dylan, Shakira oder Metallica-Produzent Bob Rock: Immer mehr Rock- und Popgrößen verkaufen die Rechte an ihren Songs.

Der Rubel rollt wieder. Seit der Etablierung der kostenpflichtigen Musik-Streamingdienste Mitte der Zehnerjahre steigen die jährlichen Einnahmen der Musikindustrie in beachtlichem Maße. In den USA liegt der Anteil von Abo-Einnahmen beim Musikumsatz bei 80 Prozent, Tendenz steigend und die Corona-Krise 2020 noch nicht eingerechnet: Mit dem Brachliegen des internationalen Livemusiksektors richtet sich das ganze Augenmerk der Branche auf Spotify, Apple Music und Co. – und ihre fast 500 Millionen Abonnenten.

Für den einzelnen Künstler außerhalb der Star-Regionen mag noch nicht viel vom Boom ankommen, aktuelle Hit-Giganten wie Ariana Grande, Billie Eilish, Drake oder The Weeknd mit Songzugriffen im Milliardenbereich hingegen dürfen sich über ein regelmäßigen Geldregen freuen.

Verwertungsrechte für astronomische Summen abgegeben

Andere sichern sich die entsprechenden Gewinne im Voraus: Seit einiger Zeit häufen sich die Meldungen über Rock- und Pop-Ikonen wie Bob Dylan, Neil Young, Shakira oder Stevie ­Nicks (Fleetwood Mac), die Verwertungsrechte an ihren Songs für astronomische Summen an Musikverlage und Investmentfonds abgeben.

Damit verzichten sie auf zukünftige Einnahmen aus Tantiemen und Lizenzgebühren, Streaming-Auszahlungen und Tonträgerverkäufen der betreffenden Lieder. 300 Millionen Dollar soll Dylan von der Universal Music Publishing Group für die Verlagsrechte an 600 Liedern bekommen haben. Neil Young verkaufte die Hälfte seiner Verwertungsrechte an den Hipgnosis Songs Fund, die BBC schätzt die Kaufsumme auf 150 Millionen Dollar.

Auch Produzenten machen fleißig mit

Aber nicht nur die Bühnen-Lichtgestalten trennen sich von ihren Rechten, auch Produzenten und Songschreiber für andere Künstler machen in diesem florierenden Geschäft fleißig mit: Produzenten-Guru Bob Rock verkaufte seine Anteile an Metallicas Megaseller „Metallica“ und Michael Bublés Platinscheibe „To Be Loved“, und Jimmy Iovine (Dire Straits, U2) die Produzentenrechte an 259 Liedern.

Die Motivation der Künstlerinnen und Künstler ist klar: Die zukünftigen Einnahmen aus Streaming, Coverversionen und der Benutzung von Songs in Filmen und Serien, Werbeclips oder Videospielen erhalten sie auf einen Schlag. Gerade Pophelden im Herbst des Lebens können so gut ihren persönlichen wie künstlerischen Nachlass ordnen, sich eine dritte Insel kaufen, eine Stiftung gründen oder wie im Fall von Jimmy Iovine eine Schule bauen.

Oberste Etage der Star-Pyramide profitiert

Doch ebenso wie bei Streaming-Einnahmen profitiert bei diesem Handel besonders die oberste Etage der Star-Pyramide, die wie Dylan weitgehend alle Rechte in der Hand hat und sie nicht mit Teams von 20 und mehr Textern, Songschreibern und Produzenten teilen muss.

Auch wer früh ungünstige Verträge unterschrieb, hat das Nachsehen: Die Verwertungsrechte an Taylor Swifts ersten sechs Alben wurden 2020 zum zweiten Mal weiterverkauft, der Country-Pop-Superstar, der sich für gerechtere Verteilung von Streaming-Einnahmen und ein Mitbestimmungsrecht der Künstlerinnen und Künstler einsetzt, hat keinen Einfluss darauf.

Besonders im Gespräch: Hipgnosis Songs Fund

Besonders im Gespräch derzeit ist das Portfolio des Hipgnosis Songs Fund. Der Name erinnert an die berühmte Grafikdesign-Agentur, die in den 70ern die Plattenhüllen von Pink Floyd, Genesis und Led Zeppelin gestaltete. Dahinter steckt aber der ehemalige Manager von Beyoncé, Elton John und Iron Maiden, der US-Kanadier Merck Mercuriadis.

Nile Rodgers gründete die Firma

2018 gründete er mit Chic-Gitarrist Nile Rodgers in London die auf der Kanalinsel Guernsey ansässige Firma. Sie spekuliert darauf, dass seit Jahrzehnten bewährte Pophits krisensichere Investitionen sind und ihre Werte und damit die Einnahmen durch Tantiemen und Streaming-Erlöse stetig steigen werden.

Seit 2018 hat Hipgnosis mehr als 1,4 Milliarden Dollar für den Erwerb der Rechte an 60.000 Songs investiert, den Löwenanteil im Corona-Jahr 2020. Im Katalog finden sich Mark Ronson, Timbaland, Shakira, The Chainsmokers und auch klassischer Rock und Pop von Journey, Barry Manilow, Blondie oder Bon Jovi.

Ein Drittel der von Hipgnosis erworbenen Songs soll zehn Jahre und älter sein, es handelt sich vor allem um Top-Ten-Hits. Mercuriadis setzt laut „Guardian” bei den Oldies auf den „Livin’ On A Prayer“-Effekt: Die unkaputtbare Rockhymne von Bon Jovi aus dem Jahr 1986 hat ihren jährlichen Umsatz auf Spotify seit 2013 um 153 Prozent gesteigert.

Der große Streaming-Boom für alte Hits kommt erst noch

Wenn man jetzt einrechnet, dass die Ü50-Generation bis zu zehn Jahre braucht, um neue Netzwerke und Medien – YouTube oder Facebook haben es gezeigt – zu erschließen, kommt der große Streaming-Boom für alte Hits erst noch. Nur knapp ein Viertel der Streaming-Kunden ist bislang 55 Jahre oder älter, da geht noch einiges. Die Hipgnosis-Aktionäre freuten sich 2020 jedenfalls bereits über einen Jahresüberschuss von 25 Millionen Dollar, für 2021 werden 120 Millionen erwartet.

Das mit Popmusik wie mit Wertpapieren an der Börse spekuliert wird, sehen nicht nur konservative Analysten, hoffnungslose Musikromantiker und die letzten idealistischen Dylan-Fans (His Bobness war bekanntlich stets ein Meister der Selbstvermarktung) kritisch.

Deutsche Musikschaffende können Urheberrechte nur lizensieren

„Pop und Geld gehörten schon immer zusammen, darüber macht sich niemand Illusionen“, sagt auch die Hamburger Anwältin und Medienmanagerin Kirsten König, die zahlreiche Künstlerinnen und Künstler durch das Dickicht der Musikrechte führt.

„Aber dass man nach amerikanischem Recht das Copyright komplett wie einen Gegenstand kaufen und weiterverkaufen kann, kann dazu führen, dass ein Urheber nicht mehr an den Erlösen aus der Verwertung seiner Werke beteiligt ist.“

Allerdings: In Deutschland bleiben Urheberrecht und Urheberpersönlichkeitsrecht als Band zwischen Musikerinnen und Musikern sowie ihren jeweiligen Schöpfungen als „Mutterrecht“ immer personengebunden bestehen. Senderechte, Aufführungsrechte und Vervielfältigungsrechte sind daran gebunden.

Am Ende der Verwertungskette bleibt der Urheber

So können deutsche Musikschaffende ihre Urheberrechte nicht an Verlage oder Investmentfonds verkaufen, sondern nur lizensieren. Heißt: Man kann zum Beispiel über die entsprechenden Plattenfirmen Nutzungsrechte an bestimmten Musiktiteln erwerben, sowie Vervielfältigungsrechte, Aufführungs- und Streamingrechte über die Verwertungsgesellschaft GEMA. Am Ende der Verwertungskette bleibt aber der Urheber. Dieser kann eine bestimmte Nutzung – etwa zu politischen Zwecken – auch untersagen.

In den USA verkauften Verwertungsgesellschaften zwar Lizenzen für 15.000 Millionen Popsongs an Wahlkampf-Organisatoren, aber wer bei einer Trump-Parade nicht gespielt werden wollte, konnte auf eine Klausel zurückgreifen, die das untersagt. Allerdings nur wenn die betroffenen Künstler noch das Copyright besaßen.

"Der Ansturm auf Musikrechte beginnt erst"

Hipgnosis-Boss Mercuriadis indes garantiert auch nach dem Erwerb der Songrechte einen Umgang mit den Liedern ganz im Sinne der Stars. Eines seiner Idole ist Neil Young und der erklärte bekanntlich 1988 im Song „This Note’s For You“ weder für Pepsi noch für Coca-Cola zu singen. Inwiefern sich diese Haltung aber mit dem Wunsch nach Gewinnmaximierung durch Reichweite – Unterbringung in TV-Serien, Produktwerbung oder Social-Media-Kampagnen – verträgt, wird sich zeigen.

In den kommenden zwei Jahren will Hipgnosis seine Aufkäufe abgeschlossen haben, dann ist der lukrativste Teil des Songrechte-Markts, in dem neben etablierten Verlagen auch Fonds wie Primary Wave oder Round Hill Music mitmischen und die Preise hochtreiben, verteilt.

Gezerre um Beatles-Rechte half Mariah Carey

„Der große Ansturm auf Musikrechte beginnt erst“, wird Hartwig Masuch, Chef des Musikverlags und -Labels BMG Rights Management in der „FAZ“ zitiert. Und wie bei jedem Goldrausch sind Opfer zu befürchten, platzende Blasen und im Alles-muss-raus-Paket über viele unübersichtliche Stationen verramschte Verwertungsrechte.

Branchenexperten erinnern gern an den Streit zwischen Paul McCartney und Michael Jackson, nachdem Jackson 1985 die Rechte an 251 Beatles-Songs ergattert hatte. Jacksons Erben verkauften sie 2016 an Sony/ATV, und McCartney hätte diese Rechte heute ebenso gern wie Merck Mercuriadis.

Das Gezerre um die Beatles-Rechte half übrigens auch Mariah Carey am Anfang ihrer Karriere bei der grundsätzlichen Entscheidung, keine Verwertungsrechte an ihren Songs abzutreten, wie sie in ihrer 2020 veröffentlichten Autobiografie berichtet. Allerdings ging es seinerzeit auch nur um 5000 Dollar. Vielleicht überlegt sie es sich jetzt angesichts der hohen Millionensummen, die im Spiel sind, noch einmal anders.