Hamburg. Entzweit das Rettungsdienstgesetz die Koalitionspartner in Hamburg weiter? Es geht um prominente Posten – und mehr.
Nur ein Gedankenspiel: Man stelle sich vor, es bräche eine Pandemie aus, eine weltweite Seuche mit einem Killervirus, wie es in Blockbuster-Filmen aus Hollywood („Outbreak“, „12 Monkeys“ oder „I am Legend“) wütet. Was würden die politisch Verantwortlichen im Hamburger Rathaus tun? Genau: einen Krisenstab bilden, Expertinnen und Experten dazuholen, beraten, entscheiden.
Nur ein Gedankenspiel? Nein, so war es in der Realität, als die Corona-Pandemie begann und Sars-CoV-2 seinen infektiösen Weg um die Erdkugel begann. Bürgermeister Peter Tschentscher – als promovierter und habilitierter Laborarzt ein Glücksfall für seriöse Lageeinschätzung – bat Infektiologen, Virologen und Krankenhausärzte in sein Krisenteam. Vor allem die Fachleute aus dem Universitätsklinikum Eppendorf, wo er selber mal tätig war, mussten neben der Übertragbarkeit des Virus und der möglichen Folgen für Isolation oder Lockdown eine essenzielle Frage klären: Kann unser Gesundheitssystem, können die Kliniken einen „Massenanfall“ von Patienten verkraften?
Feuerwehr Hamburg: UKE-Ratschläge beim Rettungsdienstgesetz erwünscht?
In diesen Tagen erhält Tschentscher wieder ein wissenschaftliches Feedback zu einem gewichtigen Thema aus dem UKE, von dem nicht klar ist: Ist es im Bürgermeister-Amtszimmer überhaupt erwünscht? Es geht um eine Konsequenz aus der Pandemie. Denn die Behandlung von medizinischen Notfällen in Hamburg soll und muss auf neue Füße gestellt werden. Die Erkrankungswellen mit etwas Corona und viel Grippe- sowie tückischen RS-Viren im vergangenen Winter haben Hamburgs Krankenhäuser und die Praxisärzte über die Belastungsgrenze hinaus in die Knie gezwungen.
Die Notfallnummern 116 117 und 112 sollen zusammengelegt werden, die Notaufnahmen neu organisiert – und ein zeitgemäßes Hamburger Rettungsdienstgesetz alles in die richtigen Bahnen lenken. Was die Bürger in ihrem Vertrauen auf eine moderne Notfallversorgung kaum bewegt, hat sich im politisch-medizinischen Komplex der Gesundheitsmetropole Hamburg zu einem derart heißen Thema entwickelt, dass es selbst das schrille Singspiel um die Köhlbrandbrücke bloß wie eine Ouvertüre zur großen Disharmonie zwischen SPD und Grünen erscheinen lässt.
Notfälle: Andy Grotes Gesetzentwurf heftig kritisiert
Denn was Innensenator Andy Grote (SPD) und seine Behörde als Gesetzentwurf (liegt dem Abendblatt vor) in die Behördenabstimmung gaben, löste kopfschüttelndes Entsetzen aus innerhalb der Feuerwehr, bei Fachleuten im UKE und der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Der Text enthält fachliche Mängel, soll nach Auffassung vieler „durch die Bürgerschaft gepeitscht werden“, und die Position des Ärztlichen Leiters im Rettungsdienst (ÄLRD) wäre nicht mehr unabhängig wie bisher. Denn er soll in Teilzeit bei einem Krankenhaus angestellt sein und nicht mehr in Gänze bei der Feuerwehr. So kritisiert es das UKE in einer harschen Replik. So sehen es auch die Grünen.
Tschentscher könnte das „seine Leute“ regeln lassen: Senator Grote, den SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Doch wie steht der – richtig: von wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitete – Senatschef da, wenn er seine Ex-Kollegen im UKE mal ernst nimmt – und mal nicht? Und wie stünde die Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank da, wenn sie Einwände des UKE ignoriert, das sogar darauf hinweist, beim Rettungsdienstgesetz müsse Fegebank mitreden?
„Kleine“ Personalie belastet rot-grüne Koalition in Hamburg
Mehr noch: Das UKE fordert Fegebank via Stellungnahme zum Rettungsdienstgesetz sogar dazu auf, bei der Position des Ärztlichen Leiters mitzuentscheiden: „Aus Sicht des UKE ist es vor diesem Hintergrund unerlässlich, dass die für Wissenschaft und Forschung zuständige Behörde, bei der – via UKE – die medizinische Forschung und Lehre verortet sind, bei der Besetzung dieser zentralen Position ein vollwertiges Mitspracherecht hat.“ Durch die Blume heißt das: Wenn das Grote allein bestimmt, geht es schief.
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Die in einem Gesetzentwurf versteckte, vergleichsweise „kleine“ Personalie soll die rot-grüne Koalition belasten? Dafür spricht viel. Grote agiert bei Tschentscher als Senator „auf Bewährung“. Die Corona-Party während der Lockdown-Maßnahmen, die Affäre um den P. (reimt sich auf Himmel) sowie die Ungereimtheiten in der Waffenbehörde im Zusammenhang mit dem Alsterdorf-Amoklauf setzen Grote unter Druck. Dass er sich in der Sicherheitsoffensive des Senats für den Hauptbahnhof und das Umfeld neuerdings als „Sheriff Gnadenlos“ inszeniert und Polizisten um sich schart, zielt nach außen und innen.
Innensenator Grote wegen Affären „auf Bewährung“
Die Öffentlichkeit muss von der Ernsthaftigkeit der Maßnahmen überzeugt werden, Tschentscher von Grotes Erfüllungswillen. Die Grote-Kritiker tragen ihm nach: Während in der Pandemie Impfärzte Morddrohungen erhielten und die Strafverfolgung lahmte, sei die Kavallerie ausgerückt, als ein verpeilter Twitter-Honk ihn bloß beleidigt habe. Bei dem Mann gab es eine Hausdurchsuchung.
Das grüne Unbehagen an Grote schimmert kaum öffentlich auf. Denn der „kleine“ Koalitionspartner schleppt mit Justizsenatorin Anna Gallina ebenfalls eine umstrittene Politikerin durch den Rest der Legislaturperiode bis 2025. Auch sie kämpft nach dem Prozess gegen ihren Ex-Partner Michael Osterburg und dessen Spesenrittertum (Untreue: ein Jahr und sechs Monate) sowie der Aufarbeitung nach dem Attentat im Regionalzug bei Brokstedt um ihre politische Zukunft.
Tschentscher und Fegebank haben sich zu einer zwangsharmonischen Schicksalsgemeinschaft entwickelt. Zwischen ihnen stehen die Makel ihrer jeweiligen Mannschaft – vermutlich unausgesprochen wie Tabus in einer eingeschlafenen Beziehung. Die Frustrationstoleranz scheint grenzenlos. Beide eint dasselbe Ziel: den anderen im direkten Duell im Bürgerschaftswahlkampf 2025 zu besiegen.