Es geht um „Mobbing“ und „Maulwürfe“: Vier Feuerwehrchefs reden Klartext. Die Opposition fordert nun politische Konsequenzen.

  • Mehrere Führungskräfte der Feuerwehr Hamburg erheben schwere Vorwürfe gegen Innensenator Andy Grote (SPD) und seine Behörde.
  • Kronzeugen beklagen ein „Klima der Angst“, „Mobbing“, „Befehl und Gehorsam“.
  • Als Konsequenz auf die Abendblatt-Recherche beantragt die CDU eine Sondersitzung des Innenausschusses.

Hamburg. Alles begann mit einem Brief. Ein Leserbrief. Anonym. Ohne Absender. Nur eine Seite. Gerade einmal 13 Sätze, die es aber in sich hatten. Die darin formulierten Vorwürfe klagen heftig. Berichtet wurde über angebliches Mobbing bei der Feuerwehr, dass mit „polizeilichen Methoden“ die Arbeit der Führungskräfte durchleuchtet werden würden und über zahlreiche Erkrankte unter den leitenden Angestellten. Verantwortlich sein soll – laut dem Brief – Innensenator Andy Grote (SPD).

Nun ist ein anonym zugestellter Leserbrief zunächst einmal keine gute Quelle. Was ist die Motivation des Schreibers? Wie glaubwürdig ist er oder sie? Und stimmen die Vorwürfe überhaupt?

Feuerwehr Hamburg: Leserbrief mit schweren Vorwürfen gegen Innensenator Andy Grote

Trotzdem war der Brief für das Abendblatt ein Ausgangspunkt, um bei möglichst vielen Beteiligten einmal nachzufragen, was da wirklich gerade bei der Feuerwehr und vor allem in der Führung der Feuerwehr los ist. Erste Recherchen führten schnell zu vier Artikeln im Mai und im Juni. „Notruf aus der Feuerwehr – wie sehr brennt es?“, „Burn-out und Überlastung – wer löscht den Feuerwehrbrand?“, „Feuerwehr fast 21.000-mal zu spät: Politik schaltet sich ein“ und „Feuerwehr-Probleme: Schwere Vorwürfe gegen die Innenbehörde“.

Im Kern ging es bei all diesen Texten um strukturelle Probleme beim Rettungsdienst, um Überlastung, um die Probleme zwischen Innenbehörde und der Feuerwehr, um die monatelangen Krankschreibungen der Feuerwehr-Chefs und um Innensenator Andy Grote. Jeder dieser Abendblatt-Artikel führte zu neuen Kontakten, neuen Gesprächen, neuen Vorwürfen. Nun, knapp zwei Monate nach der Zusendung des Leserbriefes, scheint möglich: Vielleicht ist die Situation in der Feuerwehr-Führung sogar noch schlimmer.

Vorwürfe bei der Feuerwehr Hamburg: CDU beantragt Sondersitzung des Innenausschusses

Als das Ergebnis der Abendblatt-Recherchen bekannt wurden, meldete sich am Freitag umgehend die CDU zu Wort. „Bei der Feuerwehr Hamburg brennt es lichterloh. Brandursache: Senator Grote, dem schwere Fehler im Führungsstil vorgeworfen werden und der bei der Berufsfeuerwehr seit Monaten immer größeren Schaden anrichtet“, befand Dennis Gladiator, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft.

„Jetzt muss endlich alles auf den Tisch, die Situation wird zusehends unhaltbar.“ Seine Fraktion beantrage deshalb eine sofortige Sondersitzung des Innenausschusses. „Die Beamtinnen und Beamten, die tagtäglich für unsere Sicherheit unterwegs sind, leisten eine großartige Arbeit. Umso wichtiger sind vernünftige Arbeitsbedingungen und Wertschätzung. Sie dürfen nicht länger Spielball des Innensenators sein.“

Oberbranddirektor und sein Stellvertreter seit Monaten krankgeschrieben

Aber noch einmal zurück zur Ausgangslage: Sowohl Oberbranddirektor Christian Schwarz als auch dessen Stellvertreter Stephan Wenderoth sind seit vielen Monaten offiziell krankgeschrieben. Über ihr zerrüttetes Verhältnis zur Innenbehörde hat das Abendblatt bereits mehrfach berichtet. Doch sie sind nicht die einzigen aus dem erweiterten Führungskreis der Feuerwehr, die sich aufgrund der Belastung oder des Arbeitsklimas bei der Feuerwehr haben krankschreiben lassen. Die Feuerwehr behauptet in einer Stellungnahme: Von 41 Personen aus dem höheren Dienst seien lediglich drei längerfristig erkrankt.

Dennoch hat das Abendblatt in den vergangenen Wochen versucht, mit mehr als einem Dutzend aus der Feuerwehr-Führung Kontakt aufzunehmen. Keiner hat die Vorwürfe aus dem Brief bestritten. Obwohl manch einer selbst längere Zeit krankgeschrieben war, wollten nicht alle offiziell reden, manch einer gab an, Sorgen um seinen Job zu haben. Am Ende blieben vier übrig, die trotz aller Angst genug hatten und auspacken wollten. Ihre einzige Bedingung: Auch sie wollten aus Sorge vor möglichen Konsequenzen anonym bleiben.

Innenbehörde wollte sich zu zahlreichen Vorwürfen nicht äußern

Das Abendblatt hat sich nach zahlreichen Vorgesprächen entschieden, ihre Vorwürfe ernst zu nehmen und die Innenbehörde und die aktuelle Interimsleitung der Feuerwehr damit zu konfrontieren. Am Montagnachmittag um 15 Uhr schickte das Abendblatt der Innenbehörde elf Fragen und der Feuerwehr sechs Fragen und bat um Antworten innerhalb von zwei Tagen. Am Mittwoch wurde um eine Fristverlängerung gebeten, woraufhin das Abendblatt um Antworten bis zum Donnerstagmorgen bat. Schließlich erhielt das Abendblatt die Antworten kurz vor Redaktionsschluss am späten Donnerstagnachmittag – und entschied sich endgültig zur Veröffentlichung der Aussagen der Kronzeugen. Einfachheitshalber werden diese im Folgenden als Feuerwehrmann 1, Feuerwehrmann 2, Feuerwehrmann 3 und Feuerwehrmann 4 bezeichnet.

Feuerwehrmann 1 trägt ein rosafarbenes Poloshirt, eine Jeans und Latschen. Bei dem vereinbarten Treffpunkt bei einem Bäcker gönnt er sich einen Kaffee, ein Mettbrötchen und jede Menge Klartext. Den aktuellen Zustand der Feuerwehr Hamburg bezeichnet er als „desolat“. Auf insgesamt 15 DINA-A4-Seiten hat sich Feuerwehrmann 1 seinen Frust von der Seele geschrieben.

Die Mehrzahl seiner Vorwürfe widerspricht die Feuerwehr in ihrer verspäteten Stellungnahme. „Einen strukturell desolaten Zustand, wie Sie ihn herbeischreiben, können wir nicht erkennen und weisen wir in aller Deutlichkeit zurück“, heißt es.

Innenbehörde: Erster Kronzeuge kritisiert politische Führung

Trotzdem bleibt Feuerwehrmann 1 bei seinen Vorwürfen: „Die derzeit immer weiter ausufernden Probleme der Feuerwehr sind aus meiner Sicht zum großen Teil das Verschulden der BIS (die Innenbehörde, die Red.) und der politischen Führung in Hamburg“, schreibt er – und gibt an, dass die Arbeit ihn krank gemacht habe, er aktuell in psychologischer Behandlung sei, er mehrfach versucht habe, Dinge intern anzusprechen, aber auf ein „Klima der Angst“ bei der Feuerwehr gestoßen sei. „Die Feuerwehr ist meines Erachtens von ,Maulwürfen‘ unterwandert, die Informationen, Aussagen von Kollegen und teilweise auch vertrauliche Gesprächsinhalte aus Besprechungen an die BIS – speziell an Frau Schuol – weitergegeben haben.“

Kathrin Schuol also. Die Abteilungsleiterin für Öffentliche Sicherheit (A4) war im vergangenen Jahr von Innensenator Grote der damaligen Feuerwehrleitung mit dem Auftrag vorgesetzt worden, den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Eine ganze Reihe von Führungskräften klagte danach über die Umgangsformen und den Ton der studierten Kriminologin. Mehrere Zeugen berichteten von einem lautstarken Streit mit dem damaligen Stellvertreter Wenderoth, nach dem sich dieser im Anschluss krankgemeldet habe. Bis heute.

Und auch dem krankgeschriebenen Chef Schwarz wird ein desolates Verhältnis zu Schuol nachgesagt. Feuerwehrmann 1 behauptet sogar in sehr drastischen Worten, dass sie gegen die beiden nun kranken Feuerwehr-Chefs gehandelt habe. Beweisen lässt sich das nicht. Auf Abendblatt-Nachfrage verweist die Innenbehörde auf ein internes Interview, in dem die intensive Zusammenarbeit von Schwarz und Wenderoth explizit gelobt werde.

Kronzeuge Nummer 2 hat Sorge, dass sein Handy abgehört wird

Doch auch Feuerwehrmann 2 geht mit Kathrin Schuol in seinen Ausführungen hart ins Gericht – genauso wie mit der Feuerwehr Hamburg insgesamt. Erster Treffpunkt ist ein abgelegener Parkplatz in Stellingen, ein zweites Treffen wird bei ihm zu Hause stattfinden. Nummer 2 ist freundlich, aber misstrauisch. Das Handy wird beim Gespräch ins Nebenzimmer gebracht, die Kommunikation findet vor und nach den Treffen lediglich über Telegram statt. E-Mails? WhatsApp? SMS? Alles zu unsicher. Die Sorge, dass das eigene Handy abgehört werden könnte, ist groß. Und er ist nicht der einzige, der diese Sorge, dass Vieraugengespräche nicht privat bleiben würden, in den zahlreichen Gesprächen äußert.

„Wenn klar identifizierte und valide aufgezeigte Probleme dem Ansehen der Behördenleitung schaden könnten, (…) ist man sofort als Teil des Problems identifiziert und die Karriere faktisch beendet“, schreibt Feuerwehrmann Nummer 2 in seiner Beantwortung der Abendblatt-Fragen. Auch ihn mache die Arbeit krank, auch er sei bereits wegen seines Jobs in psychologischer Behandlung gewesen, auch er schreibt von Mobbing. Mehrere Führungskräfte hätten zudem ein Überstundenkonto von deutlich über 1000 Stunden. Hierzu räumt die Feuerwehr ein: „Der Feuerwehr Hamburg ist eine mittlere einstellige Zahl von Mitarbeitenden bekannt, deren Zeitkonten mehr als 1000 Stunden aufweisen.“

Kronzeuge 3: Konstruktive Führungskultur fehlt

Feuerwehrmann 3 ist ebenfalls schon lange dabei, ist am Telefon ebenfalls sehr vorsichtig, ist in seinen Ausführungen aber um einen etwas moderateren Ton bemüht. Er schreibt: „Es fehlt vielen an einer positiven Perspektive für die Feuerwehr“. Seine Erklärung: „Das Zwischenmenschliche, moderne Organisationsstrukturen und eine konstruktive Führungskultur fehlen an vielen Stellen.“

Hat auch ihn die Arbeit krank gemacht? „Wenn man nicht zu sehr an der Sache hängt und Dienst nach Vorschrift macht, ist es auszuhalten“, schreibt Nummer 3. „Man muss nur aufpassen, nicht in der Gruppe der bei der Amts- oder Behördenleitung schlecht angesehenen Personen zu landen. Viele wissen nicht, wie sie in die Gruppe gekommen sind, aber es gibt sehr ausgeprägte Schubladen.“ Ob er diese Probleme schon mal intern angesprochen habe? „Für diese Gespräche gibt es keine Kultur innerhalb der Feuerwehr“, schreibt er. „Die Belastung und der Ressourcenmangel werden von vielen gesehen, es wird aber niemand geschützt.“ Und auch er bestätigt ein „Klima der Angst“: „Beruht vermutlich auf der fehlenden Transparenz und der dadurch gefühlten Willkürlichkeit von Entscheidungen.“ Er konkretisiert: „Einige werden strafversetzt, einige bekommen Wunschposten.“

Beförderung ohne entsprechendes Verfahren?

Feuerwehrmann Nummer 2 gibt ein Beispiel. Ohne entsprechendes Verfahren sei schon bald eine Beförderung von einer A14-Besoldungsgruppe auf eine (besser verdienende) A15-Stelle geplant, obwohl die betreffende Person (Name und Fall ist dem Abendblatt bekannt) zuletzt acht Jahre bei vollen Bezügen zu Hause geblieben sei. Der angebliche Grund: Die betreffende Person sollte durch weitere Klagen nicht alle Verfahren blockieren. Die Innenbehörde verwies in ihrer Stellungnahme auf eine alte, sehr allgemeine Antwort aus dem Juni.

Doch auch im Juli erhebt Feuerwehrmann Nummer 4 schwere Vorwürfe. Nach mehreren Telefonaten schickt er elf DIN-A4-Seiten mit seinen Ausführungen. Die Berufsfeuerwehr in Hamburg befinde sich „im freien Fall“, schreibt er. Zudem sei „ein kompletter Vertrauensverlust in die Führungsfähigkeit der nun provisorisch installierten Feuerwehrleitung (und der aus dem Hintergrund agierenden ,Unterstützung‘ durch A40), der vorgesetzten politischen Ebene als auch ein hiermit verbundenes ,Wegerodieren‘ bestehender Prozess- und Handlungsabläufe zu beobachten.“

Ergebnisse der Taskforce „Zukunft der Feuerwehr“ wurden nicht umgesetzt

Dazu muss man wissen: 2020 hat eine sogenannte Taskforce „Zukunft der Feuerwehr“ unter dem nun krankgeschriebenen Feuerwehrchef Schwarz eine Problemfeldanalyse zu den drängendsten Problemen durchgeführt. Diese Projektgruppe hat rund 50 Einzelthemen identifiziert und Lösungsansätze vorgeschlagen. „Leider wurde die Umsetzung von Maßnahmen aus dieser sehr hilfreichen Analyse bis heute im Wesentlichen nicht realisiert“, schreibt Feuerwehrmann Nummer 4. In ihrer Stellungnahme schreibt die Feuerwehr sehr allgemein: „Die Feuerwehr Hamburg unterliegt als große Organisation insoweit einem stetigen Wandel durch neue Anforderungen, technische Entwicklungen und sich ändernde Rahmenbedingungen, sodass im Zuge des Prozesses regelhaft bereits abgearbeitete Themenbereiche entfallen und neu identifizierte hinzugekommen sind.“

Nach Abendblatt-Informationen sollen bislang lediglich zehn Prozent der Probleme angegangen worden sein. Deswegen ist es wahrscheinlich wenig verwunderlich, dass auch Nummer 4 in der Vergangenheit das Gefühl hatte, dass die Arbeit ihn krank gemacht habe, er Mobbing beobachtet habe – und dass auch er von einem „Klima der Angst“ bei der Feuerwehr schreibt. „Der zuvor feuerwehrweit gut bewährte kooperative Führungsstil wurde durch ,Befehl und Gehorsam‘ mit entsprechendem Umgangston ersetzt“, so Feuerwehrmann 4.

Nach Abendblatt-Informationen haben sich bereits mehrere leitende Angestellte juristische Hilfe gesucht. Feuerwehrmann Nummer 1 bestätigt sogar schriftlich, dass er derzeit durch seinen Rechtsbeistand eine Klageerhebung prüfen lasse. Der konkrete Vorwurf: Mobbing. Die Feuerwehr lässt in ihrer Antwort ausrichten, dass sie Mobbing-Vorwürfe sehr ernst nehme.

Bleibt die Frage, ob die offenbar schweren Probleme bei der Feuerwehr überhaupt in den Griff zu bekommen sind. Feuerwehrmann 2 sieht da eher schwarz, beziehungsweise Schwarz. Er plädiert auf eine neue „echte, standhafte Führung“. Eine Rückkehr von Christian Schwarz würde er begrüßen. Er fürchtet zudem „weitere krankheitsbedingte Ausfälle“. Auch Feuerwehrmann Nummer 3 fordert eine „neue Führungskultur und Transparenz“. Die Feuerwehr müsse sich von Amt A in der Innenbehörde emanzipieren.

Feuerwehr braucht einen Masterplan über einen Zeitraum von zehn Jahren

Feuerwehrmann Nummer 4 empfiehlt einen „kompletten Neustart“ und auch für Feuerwehrmann 1 wäre „eine Generalsanierung“ die beste Lösung. Dies könne „nur mit einem Masterplan über einen Zeitraum von geschätzt zehn Jahren angegangen und gelöst werden.“

Zehn Jahre ist eine lange Zeit. Feuerwehrmann Nummer 1 hat sein Mettbrötchen aufgegessen, den Kaffee ausgetrunken. Als Kind habe er immer nur Feuerwehrmann werden wollen, sagt er. Nun sei er krank, habe einen Burn-out, sei in psychologischer Behandlung. Es tue ihm weh, was aus der Hamburger Feuerwehr geworden sei. Ob er es also bereut habe, Feuerwehrmann geworden zu sein? „Keinen einzigen Tag“, sagt er.