Hamburg. Die neue Taskforce von Krankenhäusern und Ärzten einigt sich auf erste Maßnahmen gegen den Notstand im Notdienst.
Die Notaufnahmen der Hamburger Krankenhäuser werden verstärkt, die Öffnungszeiten der Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ausgeweitet. Das ist das Ergebnis der innerhalb weniger Tage einberufenen Taskforce bei der neuen Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD). Sie sagte, die Lageeinschätzung sei gemeinsam erfolgt.
Aus der Erklärung der Behörde war herauszuhören, dass der verbal eskalierte Streit zwischen dem Krankenhausbetreiber Asklepios und den Kassenärzten über die richtigen Maßnahmen angesichts der überfüllten Notaufnahmen, der Grippewelle und RSV sowie der anhaltenden Infektionsdynamik beim Coronavirus offenbar zunächst ausgeblendet wurde.
Notaufnahmen in Hamburg: Taskforce beschließt Maßnahmen
Schlotzhauer sagte am Dienstagnachmittag: „Bei dem heutigen Treffen wurden bereits umfangreiche Vorschläge diskutiert, um die Hamburger Notfallversorgung zu entlasten und für die Zukunft noch besser aufzustellen. Dazu gehören auch Kooperationen von Krankenhäusern und Kassenärztlicher Vereinigung. Alle Vorschläge werden geprüft und sollen auch in weniger herausfordernden Lagen zum Einsatz kommen. Die Beteiligten haben bei dem heutigen Termin an die gute Kooperation aus den Zeiten der Corona-Pandemie angeknüpft. Weitere Gespräche auf Arbeitsebene werden folgen.“
Die KV betreibt ohnehin sieben ihrer acht Notfallpraxen an Krankenhäusern. Zwischen den Praxisärzten und den Krankenhäusern gibt es jedoch Differenzen, ob die Ausstattung dieser Notfallpraxen, der fahrende Notdienst und die Versorgung der Heimbewohner nicht verändert werden müssten.
Asklepios-Vorstand Gemmel: "Zusätzliche Kapazitäten"
Asklepios-Vorstand Joachim Gemmel, der auch der 1. Vorsitzende der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft ist, erklärte: Die Patientinnen und Patienten sollten „von vorneherein optimal in der Notfallversorgung“ gelotst werden. „Wir dürfen die Menschen nicht alleine lassen. Das Gesamtgefüge der Notfallversorgung kann nur funktionieren, wenn alle, die daran teilhaben, sich ihrer Kernaufgabe und -funktion stellen.“ Die Notaufnahmen der Kliniken seien zum Beispiel verantwortlich bei Herzinfarkten, Schlaganfällen und Unfallverletzten. Den Rest erledigten die Arztpraxen. Die Notaufnahmen der Häuser schaffen nun „zusätzliche Kapazitäten“.
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KV-Vorstandschef John Afful sagte: „Die KV Hamburg wird zur Bewältigung der gegenwärtigen Notlage ihre Notdienstangebote ausweiten. Patientinnen und Patienten können sich grundsätzlich immer an den Bereitschaftsdienst Arztruf Hamburg über 116 117 wenden. Über die Feiertage haben alle acht Notfallpraxen des Arztrufs längere Öffnungszeiten, im fahrenden Besuchsdienst sind wir mit zusätzlichen Fahrzeugen unterwegs.“ Die KV plane zusätzliche „Infektpraxen" als neues Notfallangebot.
Rat an die Hamburger: Masken und Hygiene!
Feuerwehrchef Christian Schwarz ermahnte die Patienten, den Notruf 112 „nur bei lebensbedrohlichen Erkrankungen oder Verletzungen“ zu wählen. Er sagte aber auch, dass die Notdienste der Praxisärzte enger mit der Feuerwehr zusammenarbeiten sollten. „Dabei ist insbesondere eine engere Verzahnung zwischen Ärztlichem Bereitschaftsdienst und unserer Rettungsleitstelle ein wichtiger Aspekt, den wir weiterverfolgen werden."
Die neue Taskforce ermunterte die Hamburgerinnen und Hamburger außerdem, eine FFP-2-Maske zu tragen, sich an die Abstands- und Hygieneregeln zu erinnern und sich impfen zu lassen.
Hamburger Notaufnahmen: Neues System geplant
Schon vor dem Krisengipfel war klar: Die Notaufnahmen und Rettungsdienste in Hamburg werden künftig digital besser vernetzt. Seit Wochen tagen Experten zu dem Thema. Ähnlich wie bei dem in anderen Bundesländern praktizierten System Ivena („Interdisziplinärer Versorgungsnachweis“) soll es eine Plattform geben, die quasi minutenaktuell anzeigt: Welches Krankenhaus hat noch Kapazitäten für einen Notfallpatienten? Wo ist ein Schockraum frei, wo wäre ein Herzkatheter verfügbar? Wie ist die Auslastung einer Intensivstation?
In bisherigen Terminen zwischen Behörde und Experten wurde das mögliche System bereits besprochen. Es soll außerdem mit Schleswig-Holstein abgestimmt werden. Schon heute müssen bei ausgelasteten Notaufnahmen Patientinnen und Patienten Richtung Norden gefahren werden. Zuletzt traf das auf erheblich erkrankte Kinder zu, weil die großen Hamburger Kinderkrankenhäuser überlastet waren (das Abendblatt berichtete). Gleichzeitig gibt es bereits eine enge Kooperation mit Schleswig-Holstein am Krankenhaus Reinbek und am Hamburger Asklepios Klinikum Nord.
Expertenrat zu Grippe und RSV: Schlotzhauer war gewarnt
Der Expertenrat der Bundesregierung hatte bereits im Sommer eine Warnung ausgesprochen, Tenor: Da kommen gefährliche RS-Viren, die echte Grippe wird heftiger als zuletzt – und Atemwegserkrankungen bringen Herbst und Winter sowieso. Die Praxen und Notaufnahmen dürften in die Knie gehen. Die damalige Gesundheitsstaatsrätin Schlotzhauer war in E-Mails darauf hingewiesen worden. Kinderärztinnen und -ärzte schrieben zudem einen Brandbrief.
Erstaunlicherweise kommt mitten in die Diskussion ein Vorstoß aus einer anderen Ecke: Das finanziell angeschlagene Krankenhaus Groß-Sand in Wilhelmsburg könnte zum Vorreiter einer neuen Gesundheitsversorgung werden. Groß-Sand testet demnächst ein System, um Notaufnahmen zu entlasten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken hat Groß-Sand neben wenigen anderen Standorten bundesweit ausgewählt, um eine „Flying Nurse“ zu etablieren.
Dr. Michael Groening, der das Projekt mitangestoßen hat, sagte: „Flying Nurse bezeichnet ein neu entstehendes Tätigkeitsfeld, in welchem spezialisierte Pflegekräfte, telemedizinisch ausgerüstet, auch in der Häuslichkeit oder im Pflegeheim tätig werden können. Indem wir das Krankenhaus ‚beweglich‘ machen, behandeln wir Patienten dann bereits mit der Expertise eines Krankenhauses, bevor sie überhaupt aufgenommen werden müssen.“ Das Projekt heißt StatAMed und soll auch die niedergelassenen Ärzte entlassen.