Hamburg. Hamburgs Bürgermeister über die Zukunft der Köhlbrandbrücke, den Standort neuer Windräder und seinen Umgang mit der Letzten Generation.
Der erste Teil seines Sommerurlaubs liegt bereits hinter Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), als er entspannt und sichtlich erholt die Abendblatt-Reporter zum Interview im Bürgermeisteramtszimmer des Rathauses begrüßt. Doch der aktuelle Streit zwischen den Koalitionspartnern von SPD und Grünen über die Köhlbrandquerung lässt die Stimmung gleich ernster werden.
Hamburger Abendblatt: Die Mitglieder der rot-grünen Koalition beharken sich in aller Öffentlichkeit, nicht zum ersten Mal. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) plädiert gegen die Senatslinie plötzlich für den Erhalt der Köhlbrandbrücke, und SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf nennt Kerstans Äußerung „reines Sommertheater” und rät ihm, „nicht mit Halbwissen in den Fachbereichen anderer Senatsmitglieder unterwegs” zu sein. Wann kommt das Machtwort des Ersten Bürgermeisters, um dem Treiben Einhalt zu gebieten?
Peter Tschentscher: Das ist gar nicht nötig, denn es ist alles geklärt. Der Senat hat eine Position, die seit Langem bekannt ist. Die Köhlbrandquerung muss erneuert werden. Die Äußerung des Umweltsenators ist von der Zweiten Bürgermeisterin (Katharina Fegebank, Grüne, die Red.) zutreffend eingeordnet worden. Das war eine persönliche Äußerung, die an der Senatsposition nichts ändert.
Der Umweltsenator eckt ja häufiger mal an beim Koalitionspartner, auch bei Ihnen persönlich. Genießt Jens Kerstan eine Art Narrenfreiheit?
Tschentscher: Er äußert sich in den Medien in wenig hilfreicher Weise und lässt dadurch seine Denkart erkennen, zum Beispiel bezogen auf den Hafen. Insofern verstehe ich auch, dass die Zweite Bürgermeisterin diese Dinge dann zurechtrücken muss.
Sind Sie eigentlich sehr genervt vom Verhalten des Umweltsenators?
Tschentscher: Ich bin ganz entspannt, denn im Senat ist alles geklärt. Betrüblich ist, wenn ein mediales Durcheinander entsteht in einer Frage, die grundlegend ist für den Hamburger Hafen. Wer solche Diskussionen anzettelt, muss sich zuschreiben lassen, dass er die Positionen, die wir in der Hafenwirtschaft vertreten, und damit auch die Hafenwirtschaft insgesamt, nicht stärkt.
Man sagt, Sie und Jens Kerstan grüßen sich nicht mehr und Sie sprechen auch nicht mehr miteinander.
Tschentscher: Das ist nicht so.
Stichwort Köhlbrandbrücke: Können Sie nachvollziehen, dass viele Menschen aus nostalgischen Gründen an der Brücke festhalten?
Tschentscher: Das verstehe ich gut. Aus Denkmalschutz- und Stadtbildgründen haben wir überlegt, ob die Pylonen erhalten werden können, falls man einen neuen Tunnel baut. Sollte es eine neue Köhlbrandbrücke geben, könnte ich mir vorstellen, dass sie architektonisch ähnlich gestaltet wird. Aber im Vordergrund steht für uns nicht das Stadtbild, sondern die Funktion, die sichere Anbindung unseres Hafens an das Hinterland, und dazu gehört eine moderne Köhlbrandquerung.
Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) prüft jetzt noch mal alle Varianten, die es gibt. Möglicherweise ist es ja so, dass die Kosten für den eigentlich schon beschlossenen Tunnelbau deutlich höher ausfallen werden, weil die Erkenntnislage eine andere ist. Wie wahrscheinlich ist der Tunnel aus Ihrer Sicht noch, und wann muss diese Entscheidung fallen?
Tschentscher: Darüber spekuliere ich nicht. Die Entscheidung fällt sobald wie möglich. Der Zeitpunkt wird dadurch bestimmt, dass wir eine detailliertere Planung für eine Brücke benötigen. Auch die ursprünglich für die Brücke angenommenen Kosten können aufgrund der allgemeinen Kostensteigerung und möglicherweise auch wegen zusätzlicher technischer Anforderungen höher sein als ursprünglich angenommen. Es ist verantwortungsvoll und im Hinblick auf die Kosten auch geboten, die Tunnel- und die Brückenlösung in gleicher Genauigkeit zu planen, um beide Varianten miteinander vergleichen zu können.
Sie haben den Bund jetzt erneut aufgefordert, sich an den Kosten der neuen ...
Tschentscher: Nein, ich habe auf die Frage eines Journalisten geantwortet, wie es mit der Kostenteilung des Bundes ist, und gesagt, dass dazu seit Längerem eine Vereinbarung besteht, nämlich dass der Bund zugesagt hat, hier eine Kostenteilung vorzunehmen. Ich erwarte, dass solche Vereinbarungen, die ja auch schriftlich fixiert sind, umgesetzt werden. Es gibt aber keinen Grund, irgendetwas anzumahnen, weil es bisher keinen Hinweis darauf gibt, dass der Bund sich aus einer Finanzierungsverantwortung zurückziehen möchte.
Was sagen Sie zu dem folgendem Satz Ihrer Parteifreundin Bettina Hagedorn, immerhin Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages, mit Blick auf die neue Köhlbrandquerung und den Bau der A26-Ost: „Wer glaubt, zwei so große Projekte so nah beieinander realisieren zu können, hat den Schuss nicht gehört.”
Tschentscher: Das zeigt Frau Hagedorns mangelnde Kenntnis von dem Projekt. Diese Auffassung teile weder ich noch alle anderen, die maßgeblich an den Entscheidungen mitwirken.
Auch beim Bau der neuen U-Bahn-Linie U5 schießen die Kosten in die Höhe. Da müssen riesige Baugruben ausgehoben werden, womit auch nicht alle Anwohner zufrieden sein dürften. Wird es immer schwieriger, größere Infrastrukturprojekte in Hamburg zu realisieren?
Tschentscher: Das war auch früher schon schwierig. Das bestehende U-Bahn Netz ist nicht vom Himmel gefallen, sondern mit großem Aufwand von früheren Generationen gebaut worden. Sie haben Hamburg nach dem Krieg insgesamt wieder aufgebaut, und wir können jetzt nicht aus Bequemlichkeit sagen, wir machen Hamburg zum Museum. Das Erfolgskonzept in der jahrhundertelangen Geschichte unserer Stadt war immer die Bereitschaft zu Innovation, zur Fortentwicklung und Modernisierung. Das bezieht sich auch auf die Mobilitätsfragen. Durch die hohe Inflation, die wir derzeit erleben, wird alles teurer, das Bauen ganz besonders. Insofern muss man schon naiv sein anzunehmen, dass Kostenschätzungen, die vor dem Ukrainekrieg entstanden sind, immer noch zutreffen. Aber wir sind solide aufgestellt. Es gibt ein Sondervermögen Schnellbahnausbau, in dem bereits große Beträge als Rücklage eingestellt sind.
Sie haben an die Aufbauleistung in Hamburg nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Der große Unterschied ist ja, dass die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger heute ganz andere sind, eben auch bezogen auf die Realisierung von Infrastrukturprojekten. Macht das die Sache nicht erheblich schwieriger?
Tschentscher: Bürgerbeteiligung ist ein Anspruch, den wir in der modernen Demokratie haben. Deswegen braucht es auch seine Zeit, solche großen Projekte zu planen. Wir sehen aber gerade am Beispiel der U5, dass Vorhaben dieser Art auch heute erfolgreich umgesetzt werden können. Die Planfeststellung für den östlichen Abschnitt ist fertig, die Bauarbeiten haben bereits begonnen. So wird es schrittweise weitergehen. Das war beim Bau der Stadtbahn anders. Schon die ersten Teilstrecken haben zu wütenden Bürgerprotesten geführt, sodass der damalige Senat entschieden hat, dies nicht gegen den Willen der Bevölkerung weiterzuverfolgen. Diese Entscheidung war richtig, auch aus verkehrlichen und technischen Gründen.
Vor einem Jahr haben sie im Sommerinterview mit dem Abendblatt das Ziel ausgegeben, die Zahl der damals 70 Windräder in der Stadt mindestens zu verdoppeln. Viele sind seitdem nicht dazugekommen. Am neuen Naturschutzgebiet Vollhöfner Weiden sollen jetzt fünf Anlagen entstehen. Warum ist die Ausweisung neuer Windkraftanlagen so schwierig?
Tschentscher: Weil es unendlich viele Rechtsvorschriften gibt, die eingehalten werden müssen. Das sind zum Teil bundes-, aber auch landesrechtliche Vorgaben. Deswegen mussten wir, und diese Arbeit ist gut vorangeschritten, das gesamte Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg einmal komplett durchprüfen: Wo kommen Windenergieanlagen überhaupt infrage? Und dabei haben wir die Kriterien erst einmal sehr weit gefasst. Natürlich brauchen wir Abstand von Wohnbebauung, aber alles andere haben wir zurückgestellt, sodass wir jetzt einen großen Katalog an Potenzialflächen haben.
Wie geht es weiter?
Tschentscher: Wir verfolgen eine doppelte Strategie: Zunächst nehmen wir die Flächen, die möglich sind, ohne dass es Beschränkungen gibt, die eine Windenergieanlage behindern. Danach betrachten wir Flächen, auf denen im Prinzip Windenergieanlagen gebaut werden könnten, bei denen es aber rechtliche Beschränkungen gibt, die wir auflösen müssen. Der Bundeswirtschafts- und Klimaminister (Robert Habeck, Grüne, die Red.) hat mir zugesichert, dass er offen ist für Vorschläge, die Rechtslage so zu ändern, dass ausreichend Flächen für Windenergie ausgewiesen werden können.
Sie hatten vor einem Jahr auch Windräder in Naturschutzgebieten ins Gespräch gebracht und damit Ihren Koalitionspartner erzürnt. Ist der Vorstoß mittlerweile stillschweigend begraben?
Tschentscher: Im neuen Naturschutzgebiet Vollhöfner Weiden und den dafür vereinbarten Ersatzflächen wird es voraussichtlich fünf Windenergieanlagen geben. Dort wird man sehen, dass sich Windenergieanlagen bestens mit Naturschutzflächen vertragen. Fünf Anlagen sind keine Kleinigkeit. Ich freue mich, dass wir uns darauf verständigen konnten.
Ein zweiter Vorschlag Ihrerseits bestand darin, entlang den Autobahnen Windenergieanlagen zu errichten, auch wenn dort unmittelbar Naturschutzgebiete beginnen.
Ja. Das müssen wir ermöglichen. Wir können nicht über den Klimawandel klagen und jeden Tag mehr Klimaschutz fordern, um dann, wenn es konkret wird, andere Dinge wichtiger zu finden. Wir haben einen sehr begrenzten Stadtraum und müssen daher alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben.
Die spannende Frage ist ja, ob die Grünen das auch so sehen.
Tschentscher: Das Beispiel der Vollhöfner Weiden zeigt, dass es akzeptiert wird, da wir auf einer Fläche, die eigentlich ausschließlich als Naturschutzgebiet vorgesehen war, jetzt auch Windenergieanlagen errichten.
Können Sie schon sagen, wo aus Ihrer Sicht, wenn es denn rechtlich möglich ist, an Autobahnen Windkrafträder auf Hamburger Staatsgebiet errichtet werden?
Tschentscher: Zum Beispiel an der A1, an der schon vier Windkraftanlagen stehen. Auch an anderen Stellen ist es möglich. Ich möchte der behördlichen Prüfung aber jetzt nicht einzelne Punkte vorwegnehmen.
Weiter mit dem Klimaschutz. Sowohl nach der letzten Farbattacke auf das Rathaus als auch bereits im Frühjahr hatten Sie gesagt, keine Gespräche mit der Letzten Generation führen zu wollen. Wenn die Aktivisten jetzt morgen an Ihre Tür klopfen würden, würden Sie dann immer noch Nein sagen?
Tschentscher: Ich habe bereits vor der Farbattacke auf das Rathaus gesagt, dass ich mich nicht erpressen lasse. Die sogenannte Letzte Generation hat die Diskussion mit einem Erpressungsversuch eröffnet, und deshalb habe ich noch am selben Tag entschieden, dass es mit mir keine Gespräche gibt. Die dann folgenden Blockadeaktionen haben bestätigt, dass es hier um eine kriminelle Vorgehensweise geht, die ich strikt ablehne.
Und was sagen Sie grundsätzlich zu den Forderungen der Letzten Generation, die ein Tempolimit, dauerhaftes 9-Euro-Ticket und einen Gesellschaftsrat umfassen?
Tschentscher: Das 9-Euro-Ticket war keine Idee der Letzten Generation, sondern der Ampel-Koalition. Vor allem sind Forderungen sinnvoll, die auch umsetzbar sind. Und davon gibt es im politischen Raum viele, die bereits bearbeitet werden. Das hat mit den Aktivitäten der Letzten Generation aber nichts zu tun. Hier wird eher Akzeptanz verspielt, es werden große materielle Schäden angerichtet und zusätzliche CO2-Emissionen produziert. Das alles hat mit dem Ziel, möglichst bald klimaneutral zu werden, nichts zu tun.
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Das heißt aber, Sie finden die Forderungen nicht grundsätzlich falsch?
Tschentscher: Ich befasse mich gar nicht mit den einzelnen Forderungen, denn das Vorgehen der sogenannten Letzten Generation ist grundsätzlich falsch. Außer von den Blockadeaktionen habe ich von der Letzten Generation nicht viel mitbekommen, und ich werde auch nicht mit ihnen sprechen.
Wie stehen Sie zur Vier-Tage-Woche? Der Fraktionsvorsitzende Dirk Kienscherf sagte, die SPD wolle prüfen, ob der Vorschlag sinnvoll wäre, nachdem die Grünen verkündet hatten, die Forderung in ihr Wahlprogramm für die kommende Bürgerschaftswahl aufzunehmen. Auch Saskia Esken (SPD) hat sich bereits auf Bundesebene offen gezeigt.
Tschentscher: Es gibt Unternehmen, die damit gute Erfahrungen gemacht haben, weil es die Attraktivität für ihre Beschäftigten erhöht. Es gibt sogar Berichte, dass die Produktivität in diesen Tagen höher ist als im Rahmen der bisherigen fünf Tage. Das sind aber unternehmerische Entscheidungen. Keinem Unternehmen ist es verboten, eine Vier-Tage-Woche einzuführen. Die Frage ist, ob sich das für alle Branchen umsetzen lässt. Bei einer gesetzlichen Vier-Tage-Woche habe ich große Bedenken. Mitarbeitergewinnung und -bindung gehören zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft. Dafür kann es aber auch weitere Möglichkeiten geben wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und insgesamt gute Arbeitsbedingungen.
Auch die öffentliche Verwaltung hat mit Personalmangel zu kämpfen. Wäre die Vier-Tage-Woche eine Idee für die Stadt Hamburg?
Tschentscher: Nein, das sehe ich nicht, weil wir ja rund um die Uhr öffentliche Dienstleistungen zu erbringen haben. Wir können nicht einfach die Schulen am Freitag schließen. Die Stadt muss im Grunde sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag funktionieren. Mein Wunsch ist, dass wir auch samstags öffentliche Dienstleistungen anbieten. So hat es sich ja auch bereits entwickelt. Meiner Ansicht nach müssen wir das städtische Angebot noch weiter verbessern, digitalisieren und ausweiten.