Hamburg. 1,5 Jahre auf Bewährung: Ex-Lebensgefährte von Justizsenatorin Anna Gallina hatte Fraktionsgelder veruntreut. Wie ordnet sie das Urteil ein?
Nur wenige Minuten, nachdem André Hienzsch am Mittwochmittag das Urteil gegen den früheren Grünen-Bezirkspolitiker Michael Osterburg im gut gefüllten Saal 300 am Landgericht Hamburg verlesen hatte, übernahm der Vorsitzende Richter auch direkt eine Bewertung. Gerade erst hatte er den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden im Hamburger Bezirk Mitte zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, als Hienzsch noch ein paar deutliche Sätze hinterherschob: „Ihr Ruf ist ruiniert, im politischen Raum sind Sie verbrannt“, sagte der Richter – und guckte bei seinen Ausführungen Osterburg tief in die Augen: „Sie haben einer Menge Menschen sehr geschadet.“
Der frühere Lebensgefährte der heutigen Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) hatte bereits in der vergangenen Woche gestanden, sich zwischen 2015 und 2019, als die beiden noch ein Paar waren, mehr als 26.000 Euro Privatausgaben zu Unrecht aus der Fraktionskasse erstatten lassen zu haben. Dabei ging es unter anderem um Restaurantbesuche, Reisen, teure Anschaffungen und Kinderbetreuungskosten. Weil sich Osterburg der Untreue teils zusammen mit Betrug und Urkundenfälschung schuldig gemacht hatte, wurde der 55-Jährige zudem dazu verurteilt, den noch verbliebenen Schaden bei der Grünen-Bezirksfraktion in Höhe von 10.061,11 Euro auszugleichen. 16.000 Euro hatte Osterburg erst vor wenigen Tagen an die Fraktion zurücküberwiesen.
Michael Osterburg: Anderthalb Jahre Haft auf Bewährung für den Ex-Grünen-Chef
Mit dem Urteil blieb die Kammer hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft zurück. Die hatte wegen gewerbsmäßiger Untreue zwei Jahre auf Bewährung sowie eine Geldauflage in Höhe von 10.000 Euro gefordert. Richter Hienzsch erklärte das in seiner knapp einstündigen Begründung damit, dass Osterburg geständig gewesen sei, Reue gezeigt („auch wenn Ihnen das schwergefallen ist“) und durch seine frühzeitige Einlassung den Prozess beschleunigt habe.
Bereits vergangene Woche hatte Osterburg ein umfassendes Geständnis abgelegt. Über seinen Rechtsanwalt Nils Fock hatte der 55-Jährige 112 der 121 Anklagepunkte eingeräumt. Lediglich neun Vorwürfe (die Anschaffung von Mac minis, MacBooks, Milchaufschäumern, einer Laptoptasche, einem Drucker, einem Dreibein-Stativ, einem Wasserkocher, Malerutensilien und Aufklebern) hatte Fock zurückgewiesen. Und auch Osterburg selbst hatte sich in der vergangenen Woche erstmals überhaupt zu den Vorwürfen geäußert: „Ich stehe zu meiner Schuld“, hatte er im Anschluss an die Plädoyers gesagt.
Durch Osterburgs Geständnis wurde Gallina eine Aussage erspart
Durch Osterburgs Geständnis hatte er seine ehemalige Lebensgefährtin Anna Gallina vor einer möglicherweise höchst unangenehmen Aussage vor Gericht bewahrt. Auf Abendblatt-Nachfrage, wie sie das Urteil bewertet und ob sie erleichtert sei, nicht vor Gericht aussagen zu müssen, antwortete ein Sprecher der Justizbehörde: „Die Justizsenatorin äußert sich grundsätzlich nicht zu Gerichtsverfahren und kommentiert auch diese Entscheidung nicht.“
Die Kommentierung übernahm dafür Richter Hienzsch, der explizit darauf hinwies, dass Osterburg neben der Fraktion der Grünen und sich selbst vor allem auch seiner früheren Partnerin, mit der er ein gemeinsames Kind hat, schwer geschadet habe. Er habe ihr beispielsweise ein Weihnachtsgeschenk gemacht, das er von veruntreuten Fraktionsgeldern bezahlt habe. „Das ist menschlich ganz, ganz bitter“, sagte der Richter.
Osterburg schüttelte vor Gericht immer wieder ungläubig den Kopf
Am letzten Prozesstag wurde allerdings auch deutlich, dass Osterburg nicht vollumfänglich reumütig ist. Immer wieder schüttelte der frühere Politiker bei den Ausführungen des Richters den Kopf. So auch beim Tatkomplex der Bewirtungskosten, bei denen er sich die Gründe und die Gesellschaft seiner angeblichen Geschäftsessen überwiegend ausgedacht hatte.
Besonders viel Wirbel hatte bereits im Vorfeld des Prozesses ein „Hummer-Essen“ für 230 Euro im Zuge eines Besuchs bei Flüchtlingshelfern auf Malta ausgelöst, bei dem 2017 neben Osterburg auch Gallina anwesend war und für das sie sich später entschuldigt hatte: „Ich habe Verständnis dafür, dass ein solches Essen Irritationen und Empörung bei den Menschen hervorruft.“ Sie selbst esse im Übrigen gar keinen Hummer. Richter Hienzsch erwähnte das Essen am Mittwoch erneut – und erntete ebenfalls wieder von Osterburg nur Kopfschütteln.
Richter: „Sie sind Symbol einer angeblich korrupten Politikerkaste“
„Sie sind zum Symbol einer angeblich korrupten Politikerkaste geworden“, sagte Hienzsch, der auch für seinen Tadel im Zusammenhang mit der unrechtmäßig abgerechneten Kinderbetreuung in Höhe von 9234 Euro wieder nur Kopfschütteln von Osterburg erntete. Bei der Auflistung der zu Unrecht angeschafften Gerätschaften wurde Hienzsch sogar persönlich. „Ein Bezirkspolitiker muss technisch nicht besser aufgestellt sein als ein Richter vor Gericht“, sagte er.
Erst nach einer knappen Stunde wurde Richter Hienzsch noch einmal milde. „Sie sind mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte er zu Osterburg, dem er wärmstens empfahl, in der Bewährungszeit keine vergleichbaren Taten zu begehen: „Dann müssen Sie damit rechnen, dass Sie ins Gefängnis müssen.“
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Statt ins Gefängnis durfte Osterburg um kurz nach 14 Uhr nach Hause. Bewaffnet mit Kapuze, Sonnenbrille und einem blauen Aktenordner vor dem Gesicht – wegen der wartenden Fotografen – verließ er gemeinsam mit seinem Anwalt das Landgericht. Das versöhnliche Schlusswort vom Richter: „Ich wünsche Ihnen alles Gute – und dass wir uns in diesem Zusammenhang nicht wiedersehen.“