In wenigen Tagen tritt das Gesetz auf dem Kiez in Kraft. Das Abendblatt guckte sich um. Die Partygänger interessiert es noch nicht.
Hamburg. Kurz nach 22 Uhr. Die blaue Stunde auf der Reeperbahn: Der Tag geht, das Partyvolk kommt. Aus der U-Bahn-Station drängen Pulks junger Menschen auf die Meile. Sie lachen, grölen und trinken - der Weg zur Party ist schon die Party. Fast jeder hat eine Flasche dabei. Bei den ganz Jungen häufig Bier aus der Stadt mit dem Schlüssel, bei Älteren auch mal die Holstenknolle oder ein Schnapsfläschchen.
Ab Ende des Monats könnten sie alle zur Kasse gebeten werden. Denn sobald das neue Glasflaschenverbotsgesetz im "Amtsanzeiger" veröffentlicht ist, werden in der Waffenverbotszone rund um die Reeperbahn von Freitagabend bis Montagmorgen jeweils von 22 bis sechs Uhr sowie in den Nächten vor und nach Feiertagen Flaschen aus Glas verboten sein. Wer dann eine Glasflasche in der Hand hält, macht sich strafbar und muss mit einem Bußgeld von bis zu 5000 Euro rechnen.
Heute Nacht scheinen sich alle verschworen zu haben, noch einmal die Glaspulle wie ein Erkennungszeichen vor sich herzutragen. Auch Sven Jeremias (24), Hafenarbeiter aus Iserbrook, hält ein Astra in der Hand. Am Kinn hat er eine Narbe. "Das ist vor zwei Monaten passiert, da war ich in 'ne Schlägerei verwickelt, und plötzlich hat einer mit 'ner Flasche zugeschlagen", sagt er. "Bier aus der Plastikflasche zu trinken ist zwar doof, aber mit Umfüllen in 'nen Becher hab ich kein Problem. Dann kann so was nicht mehr passieren."
2008 kam es auf St. Pauli im Schnitt jeden zweiten Tag zu einer Attacke oder einem Überfall mit einer Glasflasche. Das Spiel ist immer das Gleiche: Schluck um Schluck schlendert man die Meile runter. Ist die Flasche leer oder hinderlich, wird sie einfach abgestellt. Die Flaschensammler, die zu Dutzenden wie aus einem anderen Reich auftauchen, kommen gar nicht mehr hinterher, die vielen gläsernen Schätze in ihren Rucksäcken, Plastiktüten oder Hartschalenkoffern abzutransportieren. Wie auf einem Förderband zieht das Partyvolk die Reeperbahn rauf und runter. In der Nacht vor dem Schlagermove herrscht Goldgräberstimmung oder wenigstens goldene Anbaggerstimmung.
Die einzige Untat mit einer Flasche kann man in einer Gruppe von vier aufgedrehten Damen mittleren Alters beobachten. Die Blonde unter ihnen schlürft Kleinen Feigling, schmeißt die Mini-flasche über die Schulter. Ihre Mittrinkerin schimpft: "Lass das! Das machen nur Russen." Ein Partygänger kickt das Fläschchen vom Kantstein, die Damen steuern auf den nächsten Kiosk zu. Glasflaschen gibt es überall zu kaufen. Besonders gut läuft das Geschäft im Mini-Market an der Silbersackstraße. Obwohl noch ein Schild draußen hängt, dass hier ab 20 Uhr keine Glasflaschen verkauft werden sollen, kommt kaum ein Kunde ohne heraus. Das Schild ist noch ein Relikt aus der Zeit, als eine Gemeinschaft von Händlern, Kioskbetreibern, der IG St. Pauli und den Brauereien einen freiwilligen Flaschenverzicht durchsetzen wollte. Was nicht klappte, weil die meisten Kioske nicht mitmachten.
Wie soll das nun alles mit Plastikflaschen funktionieren? "Geht gar nicht", sagt Lars Schmidt (29), Student aus Barmbek, der mit seiner Freundin Isabel (27) unterwegs ist. "Das Waffenverbot auf dem Kiez hat doch auch nix gebracht, bei jeder Razzia werden immer noch alle möglichen Waffen gefunden. Und die Glasflaschen sind doch sowieso nur Mittel zum Zweck. Wenn die verboten sind, werden andere Waffen gesucht. "
Auch an der Großen Freiheit und am Hans-Albers-Platz geht ohne Glasflasche in der Hand gar nichts. Mittlerweile ist es nach Mitternacht und auch hier eine Stimmung wie im Hans-Albers-Film: Hamburger Seligkeit. Keiner rempelt den anderen an. Die Massen der dunkel gekleideten Gestalten schieben sich aneinander vorbei, verhaken sich allenfalls im kurzen Gespräch oder mit ein paar flüchtigen Anbaggersätzen. "Wo gehen wir rein?" ist hier die Frage, das Getränk für unterwegs ist selbstverständlich. Schließlich will niemand seinen teuer erkauften Alkoholpegel unnötig senken. Dass sich der auch mit einem hochprozentigen Schluck aus der Plastikflasche aufrechterhalten ließe, hat noch kaum jemand entdeckt. Nur an der Esso-Kulttanke sind Jugendliche mit den PET-Flaschen unterwegs. Dann die Entdeckung: An der Großen Freiheit gibt die 99-Cent-Bar Getränke nur in Plastikbechern aus. Davor eine Gruppe junger Menschen, die - Gelassenheit zeigend - das Bier genießt.